Vorzüge des Adels

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„Ihr Vater schien sehr wütend zu sein", bemerkte Bleuciel, unterdessen sie durch einen langen Korridor gingen. „Halten Sie es für klug, ihn so stehenzulassen?"

„Ist es denn klug, Unmengen von Wein zu konsumieren?", fragte Perceval, der die vollen Teller mit ausgestreckten Armen vor sich her balancierte. „Obschon wir dies verneinen müssten, hält uns das nicht davon ab, es trotzdem zu tun."

Ein seltsamer Vergleich für Bleuciel, da ihm diese Gunst bisweilen nur selten vergönnt gewesen war. Er beließ es dabei und warf indes einen Blick durch den schier endlosen Gang. Dass die roten, mit Blumen versehenen Tapeten nicht zu dem blauen Teppich passten, schien die Adeligen nicht sonderlich zu stören. Hier zählte womöglich nur, wie teuer die erworbenen Gegenstände waren.

Vor einer der zahlreichen Türen machte Perceval schließlich Halt. „Ich dulde nun mal kein unangebrachtes Verhalten", sagte er. „Mein Vater schimpft über andere, obwohl er selbst keinen Deut besser ist. Verzeiht, dass er Ihnen gegenüber so grob gewesen ist, Monsieur Dubois. Ich werde mein Möglichstes tun, um Sie vor weiterem Ärger zu bewahren." Hilfesuchend sah er zu dem vergoldeten Griff. „Wären Sie so freundlich?"

Nickend öffnete Bleuciel die Tür. Vor ihm erstreckte sich ein gewaltiger Raum, auf dessen Boden nebst zweien Teppichen auch etliche Zeichnungen lagen. Einige galten der Natur, auf denen man weite Wiesen mit Bäumen, Blumen und Sträuchern fand. Auf anderen erspähte Bleuciel Personen in verschiedenen Posen, mitunter eine Frau, die einen Sonnenschirm in ihren behandschuhten Händen hielt und dem Betrachter ein warmes Lächeln schenkte, des Weiteren einen Mann in Arbeiterkleidung, dessen bärtiges Gesicht mit Ruß bedeckt war und der eine Schirmmütze auf dem Kopfe trug.

Jedem dieser Bilder schien eine tiefgründige Geschichte beizuwohnen, welche der Maler anhand von Details und Mimik hervorzuheben versucht hatte. Man brauchte die zwei Bildnisse nur nebeneinander zu halten, um den scharfen Kontrast zwischen arm und reich und zwischen Leid und Freud auf Anhieb erkennen zu lassen. So war die Welt, in der sie lebten. Ein Widerspruch in sich selbst.

Geschickt tänzelte Perceval um die Bilder herum, um die Teller auf seinem Schreibtisch zu platzieren. Dort lagen zudem ein paar Bücher, etwas Papier und eine Schreibfeder.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Tür befand sich ein großes Fenster, an dessen Seiten schwere Vorhänge hingen. Vor dem Fenster stand ein prunkvolles Himmelbett mit geschnitzten Holzpfosten, dunkelgrünem Bettbezug und einem weißen Schleier. Wie gut es sich darauf schlafen ließ, konnte Bleuciel derweil nur erahnen.

Er entdeckte außerdem einen Kamin, eine Staffelei, ein hohes Bücherregal, neben dem ein gepolsterter Stuhl stand, eine Kommode mitsamt Sessel und schließlich einen gewaltigen Schrank, in dem Perceval vermutlich seine Kleidung aufbewahrte. Allein dieses Zimmer war größer, als so manches Haus der ärmeren Schicht.

„Wir könnten auf dem Boden essen", schlug Perceval vor. „Ein Picknick auf dem Grund des reichen Adels." Mit einem Grinsen raufte er sich durch das eigene Haar. „Ließen Sie sich hierfür begeistern, Monsieur Dubois?"

„Wenn ich im Gegenzug eine Frage stellen dürfte?"

„Oh! Wie aufregend!", jauchzte Perceval. „Natürlich, Monsieur, nur zu."

In der Zwischenzeit stellte er die Teller auf den Boden und nahm Platz. Er wartete, bis der Dieb es ihm gleichtat, bevor er sich eins von den köstlichen Gebäcken angelte und herzhaft hineinbiss.

„Weshalb die Behauptung, dass ich Gärtner sei?", fragte Bleuciel offen heraus.

Er beobachtete die Mimik seines Gegenübers, worin er jedoch keine böswilligen Absichten erkennen konnte. Das Gegenteil schien eher der Fall. Drum ging den grünen Augen ein regelrechtes Leuchten einher, als Perceval den Blick auf offenkundige Weise erwiderte.

Le cour voléWo Geschichten leben. Entdecke jetzt