Die Idee der fortwährenden Heimlichtuerei behagte Bleuciel, trotz seiner diebischen Tätigkeiten, nicht sonderlich. Er war ein Mann niederen Ranges, der sich ohne Kenntnis und Erlaubnis des Besitzers auf dessen Grundstück herumtrieb. Sollte Bernard davon erfahren, würde er Dubois mit hoher Wahrscheinlichkeit erhängen lassen. Er malte sich bereits aus, wie sein lebloser Körper an einem dieser gefürchteten Galgenstricke herumbaumelte.
„Haben Sie keine Angst, Monsieur", bemerkte Perceval mit sanftmütiger Stimme, als wären ihm die Sorgen seines Gegenübers zwischenzeitlich zugeflogen. „Gemeinsam werden wir das schaffen. Ich werde Sie niemals im Stich lassen, das verspreche ich Ihnen."
Dabei spürte Bleuciel, wie die Hand des Adeligen seine eigene umfasste, um aufmunternd zuzudrücken.
Bis heute ist die Liebe auf den ersten Blick ein umstrittenes Thema. Während einige fest daran glauben, halten es andere für den reinsten Humbug. Ist die Liebe ein mühsamer Prozess, der über Jahre hinweg gedeihen muss, oder gleicht sie einer magischen Formel, indem sie ihre Auserwählten innerhalb eines Moments verzaubert? Wie abwegig wäre es, zu behaupten, dass sowohl die eine, als auch die andere existiert? Doch welche der beiden Varianten hätte dann mehr Gewicht? Welche davon die größere Bedeutung? Welche von ihnen das längere Durchhaltevermögen?
Mit der spontanen Liebe geht sehr viel Kraft einher. So ist sie beispielsweise in der Lage, jedwedes Hindernis mühelos zu überwinden und dabei alles um sich herum auszublenden. Sie scheut keinerlei Gefahren, lässt sich niemals in ihren Grundfesten erschüttern und besitzt die seltene Gabe, sich trotz heftigster Gegenwehr stets erfolgreich zu behaupten.
Die erarbeitete Liebe hingegen ist wie ein unzertrennliches Band, für dessen Herstellung man viel Blut, Tränen und Schweiß vergießen muss. Je mehr man bereit ist, für sie zu geben, desto mehr erhält man im Umkehrschluss auch wieder zurück. Sie ist das Produkt langwieriger Bemühungen, das man erst nach seiner Vollendung wirklich zu würdigen weiß. Wem es gelingt, bis zum Schluss durchzuhalten, der wird gegen Ende reichlich belohnt. Anschließend ist das Band zwischen den beiden Menschen so stabil, dass selbst der Tod es nicht mehr zu durchtrennen vermag.
In den seltensten Fällen fließt die erste Form in die zweite über, sodass sie nach außen hin hell erstrahlt, ohne jemals an Leuchtkraft zu verlieren.
Mit seinem brennenden Verlangen nach Perceval gehörte Bleuciel zu den Menschen, denen die Liebe auf den ersten Blick durchaus ein Begriff war. Wie ließen sich seine Gefühle anderweitig erklären? Er war bereit sein Leben der Gefahr auszusetzen, um seine Zeit an der Seite dieses wundervollen Mannes verbringen zu dürfen. Etwas Anderes schien dem Dieb plötzlich gar nicht mehr wichtig zu sein.
„Also gut", sagte er schließlich, wobei den Händedruck erwiderte. „Ich bin bereit es zu riskieren, Monsieur."
Percevals Augen strahlten, als er die Worte vernahm. Er zog Bleuciel zu sich heran, um einen intensiven Kuss auszutauschen. Luft und Liebe. Mehr war für ihr beiderlei Überleben nicht mehr von Nöten.
Während des Kusses umfasste Perceval das Revers von Bleuciels Gehrock, um diesen über die Schultern hinweg nach hinten zu schieben. Kurz darauf fiel das Kleidungsstück achtlos zu Boden. Eine Aktion, der Dubois nacheiferte, indem er Perceval ebenfalls daraus befreite. Sie schenkten sich weitere Küsse in deren Verlauf sie zum großen Himmelsbett wankten.
Das stetige Knistern aus dem Kamin untermalte derweil die erotische Stimmung. Dessen Feuer tauchte das Zimmer in ein warmes Orange und spendete hinreichend Licht, ohne aufdringlich zu sein.
An der Längsseite des Bettes angekommen, widmeten sie sich der Weste des jeweils anderen. Kichernd lösten sie die einzelnen Knöpfe, wobei sie sich einen kleinen Wettstreit lieferten. Sie waren so begierig aufeinander, dass keine Sekunde vergeudet werden durfte. In der Zwischenzeit zog das eifrige Gefummel nicht spurlos an Bleuciel vorüber. Er fühlte, wie das Blut aus seinem Kopf sickerte, um den unteren Regionen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
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Le cour volé
القصة القصيرةSchon als Kind war Bleuciel auf sich allein gestellt, weshalb ihn die Not zu einem Dieb heranwachsen ließ. Als nunmehr 20-jähriger bestimmen Misstrauen und soziale Unbeholfenheit über sein Leben. Auf seinen Beutezügen durch Frankreichs Städte des 19...