Das Fenster des Vertrauens

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Ein heißes Bad reinigt neben dem Körper auch den Geist. Man fühlt sich danach wie neu geboren und ist von einem wohlriechenden Duft umhüllt. In Gegenwart anderer Menschen erscheint man selbstsicherer und hegt keine Bedenken in ihrer Nähe zu sein.

So erging es auch Bleuciel, nachdem er sich gebadet und neu angekleidet hatte. Um den Schein des Kammerdieners aufrecht zu erhalten, trug dieser nun ein weißes Hemd mitsamt einer schwarzen Weste, schwarzen Hosen und schwarzen Schuhen. Die eigenen Klamotten fanden ihren Platz derweil in Percevals Schrank. Das Einzige, was bei Dubois' neuem Outfit nicht fehlen durfte, war die wunderschöne Taschenuhr. Diese steckte er in die Außentasche seiner Weste.

„Welche Kleidung Sie tragen, ist nicht von Belang", bemerkte Perceval mit einem flotten Grinsen. „An Ihnen sieht einfach alles fantastisch aus."

Auch der Adelige hatte sich zwischenzeitlich umgezogen, weshalb er nun ein reinweißes Hemd mit einer blauen Weste trug, passend dazu einen dunkelblauen Gehrock, braune Hosen und schwarze Stiefel. Das auffälligste waren die goldenen Knöpfe, die paarweise an der Weste angebracht worden waren.

„Ein Kompliment, das ich so zurückgeben kann", entgegnete Bleuciel.

Im Schutze von Percevals Zimmer konnten sich die beiden bedenkenlos küssen. Etwas, das außerhalb dieser vier Wände nicht mehr funktionieren würde. Obschon sie sich der Gefahren und Risiken durchaus bewusst waren, konnten sie aufgrund ihrer frisch entflammten Liebe nur schwer voneinander ablassen.

Wer einmal in den Genuss von etwas Exquisitem kommt, vermag den vollen Teller neben sich nicht mehr zu ignorieren. Trotz verhängtem Verbot wird man sich selbst dabei ertappen, wie der Blick zur Seite wandert, bis irgendwann die Hand folgt, um rasch einen Happen zu stehlen. Aus dem einmaligen Happen werden schließlich zwei und so weiter. Ein teuflischer Kreislauf, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Im Grunde verhält es sich mit jeder Versuchung so. Wer ihr nachgibt möchte fortlaufend mehr. Nur die wenigsten können solch einer Macht widerstehen. Bleuciel und Perceval gehörten jedenfalls nicht dazu.

Plötzlich wurde der Adelige ganz blass um die Nase. „Mein Gott ...", murmelte er, als er die Taschen seiner vorherigen Kleidung durchwühlte. „Ich vergaß völlig ...", setzte er aufgebracht fort. „..., dass ich noch immer im Besitz des Schlüssels bin." Dabei hielt er das kleine Objekt in seiner Hand. Schnell steckte er diesen in die Außentasche seines Gehrocks, als dürfte niemand von dessen Existenz erfahren. „Sollte mein Vater Kenntnis davon erlangen, wird er mich eigenhändig umbringen", fügte Perceval schweißgebadet hinzu.

In einer guten Liebesbeziehung teilt man stets auch die Sorgen seines Partners und ist gewillt, diesen nach Kräften zu unterstützen.

„Können Sie den Schlüssel nicht in das Schlafzimmer Ihres Vaters legen?", fragte Bleuciel besonnen, woraufhin sein Gegenüber den Kopf schüttelte.

„Die Tür wird stets bewacht und ein erneuter Ablenkungsversuch wird nicht funktionieren", erläuterte der Künstler, dem die Verzweiflung unverkennbar ins Gesicht geschrieben stand.

Die nahezu aussichtslose Situation sorgte für eine zunehmende Unruhe, die allmählich auf Bleuciel überging. Nicht länger gedachte er dieses Leid mit anzusehen, weshalb er kurzerhand einen Entschluss fasste.

Während sich Perceval in fieberhaften Überlegungen verlor und dabei weiter vor sich hinmurmelte, ging Dubois an den Schrank, um eine kleine Feile aus seiner Gürteltasche zu entnehmen. Danach lief er mit einer sanften Berührung an seinem Geliebten vorbei, ehe er sich zu dem Fenster begab.

„Das Geld wird ihm nicht auffallen", ertönte das beiläufige Geflüster des Adeligen. „Doch der Verlust seines Schlüssels wird ihn rasend machen und ..." Perceval stockte. „Wo?" Fassungslos griff er sich in die Taschen. „Das kann doch nicht ..."

Le cour voléWo Geschichten leben. Entdecke jetzt