Kapitel 13

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Wir waren unten angekommen und vor uns erstreckte sich zunächst eine große Fläche, auf der absolut nichts war – erst weiter hinten standen ein paar Trainingsgeräte auf dem Platz, um die sich zahlreiche Kinder tummelten, und ganz in der Ecke stand ein relativ großes, rundes Gebäude, dessen Front man komplett öffnen konnte.Auf dem Gelände davor wurden gerade in etwa fünfzig Meter Abstand Zäune aufgestellt, hinter denen sich weitere Schüler aufhielten.„So, und wo ist jetzt dieser Drache, von dem Herr Farris gesprochen hat?", fragte ich als wir uns den Menschen näherten. „Der kommt jeden Moment.", hörte ich die Stimme von Herr Sacallius, der anscheinend neben uns stand. Ich musterte die Zäune. „Und die sollen ihn davon abhalten in die Menge zu rennen und wild irgendwelche Menschen zu verletzen?", fragte ich. „Unsere Drachen sind vollkommen zahm, sie haben in zweihundert Jahren nichts und niemanden getötet, außer ihr Futter. Die Zäune dienen lediglich dazu, dass die Schüler nicht in den Drachen rennen." „Handzahme Drachen. Fehlt nur noch eine bunte Fee die vor mir Auftaucht und mich mit ihrem Glitzerstaub zum niesen bringt.", murmelte ich. „Keine Sorge, die gibt's nur in den irischen Wäldern.", meinte Marie als wäre es das Normalste der Welt – so wie alles hier. Geschockt schaute ich sie an. „Das ist doch wohl ein schlechter Scherz,oder?", fragte ich, doch sie und Jason schüttelten nur den Kopf und schauten gebannt auf das rote Licht, das über dem Tor blinkte,bis es seine Farbe in grün wechselte. „Gwendolyn, du musst eines wissen – Magie gab es schon immer, sie war und ist immer präsent,immer um uns herum. All die Fabelwesen, und jetzt stell dir alles erdenkbare aus deiner Kindheit vor, sind real. Nur haben die Menschen mit den Jahren ihren Blick versteift und achten nicht mehr auf die Magie, ja, haben sie beinahe vergessen. Und die, die sie spüren haben Angst vor ihr und vernichten sie, weshalb wir uns mit den Jahren immer mehr zurück gezogen haben – ein Beispiel sind die Drachen, die im Mittelalter von all diesen, von den Menschen als Helden bezeichneten, Monstern umgebracht wurden und jetzt nur noch an bestimmten Orten der Welt existieren. Aber das ist eine andere Geschichte, jetzt pass auf.", erklärte Herr Sacallius, worauf ich ihm einen teils erstaunt, teil geschockt und belustigten Blick zuwarf.

Meine Erklärung für das hier war immer noch die Tv-show. Oder ein Traum.Ja, ein ziemlich langer, luzider Traum, und ich würde jeden Moment aufwachen und mir den Arsch darüber ablachen, zurück zu meinen Freunden gehen und den nächstbesten Scheiß machen. Doch leider musste mein Leben mich enttäuschen, denn die Front des Gebäudes begann sich zu öffnen und offenbare wahrhaftig einen Drachen.

Einen echten, bestimmt zwanzig Meter großen, grün schimmernden Drachen,mit tiefschwarzen Augen, die dennoch freundlich in die Menge schauten. Die Schüler jubelten und applaudierten, dann setzten sie ihre Gespräche fort und betrachteten ihn dabei ausgiebig. Der Drache, begleitet von einem Mann Mitte vierzig, lief ein paar Schritte ins Freie und ließen mich einen kurzen Blick auf seine Krallen erhaschen – die wollte ich lieber nicht auf meiner Haut spüren. Als er vollständig auf dem Platz stand tat er etwas, das ich nach wenigen Sekunden als Strecken identifizieren konnte – ja,e streckte sich. Fast wie eine Katze, erst nach Vorne, dann nach Hinten und schließlich breitete er seine Flügel aus.

Ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus, weshalb ich auch nicht bemerkt hatte, dass Samuel plötzlich neben mir stand. Erst seine Stimme ließ mich kurz zusammenzucken und seine Anwesenheit bemerken.„Französischer Walddrache, Jungtier, dreihundertundzwölf Jahre alt. Zweiundzwanzig Meter groß, achtzehn Meter Flügelspannweite.Fünf Meter langer Schweif mit hochgiftigen Stacheln am Ende, die er allerdings nur zeigt, wenn er in Gefahr schwebt.", murmelte Samuel,allerdings laut genug, sodass wir vier es hören konnte.

„Das-", staunte ich und deutete nochmals auf den Drachen, „Soll klein sein? Was ist denn dann bitte groß?!" „Nun, unser größt eDrache ist siebenunddreißig Meter groß mit vierzig Metern Flügelspannweite. Das weltweit größte, lebende Exemplar ist knapp fünfzig Meter groß mit einer Spannweite von sechsundfünfzig Metern und lebt in Russland.", erklärte Direktor Sacallius. „Das ist ein Scherz. Das alles hier ist doch nur ein schlechter Scherz. Ich laufe einfach gemütlich wieder nach oben und werde dann von euch aufgeklärt, dass das nur eine Fernsehsendung war, nicht wahr?",sagte ich beinahe schon verzweifelt, obwohl ich wusste, dass es real war. Ich spürte kurz darauf einen Kniff in meinen Oberarm, der von Samuel kam. „Siehst du? Du bist wach. Und Kameras sind hier auch keine." Ich lachte kurz, dann schaute ich wieder zu dem Drachen,dessen Blick sanft durch die Menge schweifte. Dann sah er mich an,und ich hatte beinahe das Gefühl, als starrte er mich an.Eindringlich, fordernd, aber das bildete ich mir wohl ein, bis ich eine Stimme hörte, ein leises Zischen: „Du lebst."

Irritiert sah ich mich um, doch keiner der um mich stehenden hatte mit mir geredet.

„Bin ich froh."

„Ha– habt ihr das auch gehört?", fragte ich vorsichtig. „Was gehört?", fragte Marie. „Ich – ist nicht so wichtig."

Ich hörte für den Bruchteil einer Sekunde einen Schrei, einen schrillen Schrei, den ich nicht identifizieren konnte, und welcher mich zusammenzucken ließ. Kurz darauf ertönte er wieder, es war wie ein Film bei schlechter Internetverbindung, der nur alle paar Sekunden ganz kurz weiter lief.

„Ist alles in Ordnung?", hörte ich Jason fragen. Ich presste die Lippen zusammen und nickte.

Wieder der Schrei, und auf einmal vernahm ich einen starken Schmerz in meinem Kopf.

Dann verschwamm meine Umgebung, der Schrei verstummte und verwandelte sich langsam, ganz langsam in ein Bild, und als ich die Szene erkennen konnte, wollte ich wegrennen. Sofort, ich wollte nicht sehen, was mir dargeboten wurde, aber mein Körper gehorchte mir nicht.

Mein Kopf zeigte mir den Platz vor acht Jahren, am Tag der Explosion, aus der Perspektive eines Vogels. Wie wir noch als scheinheilig glückliche Familie durch einen Park liefen.

„Nein!",schrie ich, unwissend, wo ich war und wer mich hören konnte, doch meine Worte hallten lediglich in meinem Kopf wieder, waren also nicht laut ausgesprochen worden.

Und erneut wurde ich gezwungen diesen Tag zu durchleben. Ich sah, wie der kleine Junge stumm an uns vorbei lief. Sah, wie ich meine Hand aus der meiner Mutter gelöst hatte und ein paar Meter nach Vorne gesprungen war, um ein Blatt hochzuheben. Sah, wie ich mich umgedreht hatte, einletztes Mal in die glücklichen Gesichter meiner Eltern gestarrt hatte, bis mir die Sicht durch einen gleißend hellen Lichtblitz genommen wurde.

Ich fing an zu schreien.

Ich wollte das nicht nochmal sehen.

Ich hatte es so lange verdrängen können, wieso wurde ich gezwungen diese Erinnerungen zurück in meinen Kopf zu rufen?

Feuerfunke *wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt