Kapitel 20

362 34 0
                                    


Etwas später, nachdem ich mich aus den ekelhaft klebenden Kniestrümpfen gequält hatte und die Zwillinge noch zu uns gestoßen waren, saßen wir alle gemeinsam auf einer der Bänke beim Abstieg zum Trainingsbereich und redeten so, als kannten wir uns schon seit Jahren. „Mir fällt gerade auf, dass ich kaum etwas über euch weiß.", fiel mir schließlich auf. „Wie denn auch, wir kennen uns auch erst seit gestern.", entgegnete Marie. „Da ist wiederum was dran.", lachte ich, um dann in den nächsten dreißig Minuten mit allem Möglichen zugetextet zu werden.

Wie zum Beispiel damit, dass die Familien von Flo und Samuel sich seit mehreren Jahrhunderten kannten und auch die beiden Jungen praktisch wie Brüder aufgewachsen sind – ist ja nicht so, als hätte Samuel nicht schon genug davon. Oder damit, dass Troy und Adrian bereits mit knapp einem Jahr von ihren Fähigkeiten erfahren hatten und seitdem in der Akademie gelebt hatten, nachdem ihre Eltern sie ausgesetzt hatten. Auch ich erzählte das eine oder andere – von dem Briefkasten, den wir betrunken im vergangenen Jahr demoliert hatten und es irgendwie geschafft hatten, dass die Anzeige auf den Klassenstreber fällt; oder der Tatsache, dass ich keine Ahnung hatte, woher ich stammte.

Aber wir redeten auch darüber, mit wem Tiffany, Siebtklässlerin, Schulschlampe, schon alles geschlafen hatte; oder wie rot der Schulstreber geworden sein muss als Marie ein mal als Pflicht neben ihm saß und ihre Hand auf seinem Oberschenkel immer weiter nach oben hatte wandern lassen.

Ich holte quasi den verpassten Klatsch und Tratsch der letzten vier Jahre nach. Fehlten nur noch die verpassten Trainungsstunden.

Gegen zweiundzwanzig Uhr war es schon ziemlich dunkel, und da die Meisten von uns auch noch duschen wollten, entschlossen wir uns, den Tag ausklingen zu lassen und begaben uns auf unsere Zimmer. Als wir in den Gang zu den Zimmern traten ließ mich die Tatsache, dass vor fast jedem Zimmer zwei oder mehr von goldenem Glanz umgebene Papierrollen schwebten, erst ein mal ein paar Sekunden perplex in die Luft starren. „Was.. wie.. hä?", entgegnete ich schließlich geistreich und holte kurz die paar Schritte Abstand zwischen Jason, der noch immer ohne Oberteil herum lief, und mir ein. Dieser jedoch schlenderte gemütlich zu unserem Zimmer, griff nach einer der Rollen, worauf ihr Glanz verschwand, und schlug mich dann damit leicht auf den Kopf. „Unsere Stundenpläne.", erklärte er und drückte mir die Rolle in die Hand. Ich blinzelte ein paar mal überrascht, dann folgte ich Jason in das Zimmer und entfernte sogleich das kleine, goldene Band um die Rolle. Aufmerksam musterte ich das Geschriebene und musste feststellen, dass noch mehr Stunden eingetragen waren, als die, für die ich mich eingetragen hatte. Wahrscheinlich waren das die Stunden, in denen ich alles nachholen musste – eh, durfte.

Ich kam insgesamt auf vierunddreißig Wochenstunden – Jason lag bei neunundzwanzig. Jedoch war in einer Ecke auf meinem Blatt geschrieben, dass das nur für die nächsten drei Monate geplant war; danach würden die überschüssigen Stunden wegfallen. Trotzdem ließ mich die Tatsache, dass ich praktisch jeden Tag Mittagschule hatte, verzweifelt in mein Bett fallen. „Alles klar bei dir?", fragte Jason neugierig, während er seinen Stundenplan auf den Tisch legte. „Nö. Zu viel Schule.", jammerte ich. „Du musst eben alles nachholen." Ich antwortete ihm mit einem Brummen, rollte mich dann auf den Rücken und sagte: „Ich geh mal das Chlorwasser abspülen." „Darf ich mitkommen?", fragte er und grinste mich an, worauf ich ihm meinen Fuß in den Bauch rammte. Er gab ein leises „Uff.."von sich, was ich als ein „Dann halt nicht." ansah. „Also in den Beinen hast du schon mal deutlich mehr Kraft als in den Armen.", meinte Jason dann, während ich mir etwas zu anziehen raus suchte. „Das seh' ich jetzt mal als ein Kompliment an.", antwortete ich grinsend und begab mich ins Bad.

Das warme Wasser tat nach der kalten Abendluft auf den nassen Klamotten ziemlich gut, weshalb ich versehentlich etwas länger als geplant unter der Dusche stand. Als ich wieder ins Zimmer trat saß Jason am Tisch über ein paar Zetteln – naja, mittlerweile lag er darauf, die sonst hochgestylten Haare waren durch das Wasser in ihre ursprüngliche Form verfrachtet worden, weshalb ein paar Strähnen in seine Stirn fielen. „Aw. So schlafend siehst du ja ganz friedlich aus.", murmelte ich leise und fing schließlich leise an, meinen Koffer auszuräumen. Abgesehen von meinen Schritten, ein paar leisen Stimmen auf dem Gang hin und wieder und seinem leisen Atem war es sonst still im Raum.

Als mein nun leerer Koffer in der dafür vorgesehenen Ablage unter dem Schrank lag, beschloss ich, einen Blick auf den Balkon zu werfen, welcher mir einen schönen Ausblick auf die Sportfelder und die dahinter liegende Landschaft bot. Ich genoss die kalte Abendluft und das leise Grillenzirpen für ein paar Sekunden, dann hörte ich von irgendwo eine Turmuhr Mitternacht schlagen. Die Schläge waren relativ laut, weshalb ich kurz darauf ein verschlafenes Brummen aus dem Zimmer hörte. „Mach den Wecker aus, ich will nicht.", murmelte Jason. Lächelnd betrat ich das Zimmer, schloss die Balkontür und zog die Vorhänge zu. „Keine Angst, du hast noch Zeit zu Schlafen.", sagte ich, worauf Jason plötzlich aufschreckte, verwirrt auf die Uhr schaute und dann seinen Kopf auf seinen Händen abstützte.

„Eigentlich wollte ich ja noch duschen.", nuschelte er dann. „Eigentlich?",fragte ich. Erneut schaute er auf die Uhr, strecke sich dann kurz und stand schließlich auf. „Bin in fünf Minuten zurück.", sagte er während er Richtung Schrank lief. „Alles klar.", entgegnete ich und widmete mich erneut meinem Stundenplan.



Feuerfunke *wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt