Kapitel 2

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"Gleis 4 TGV nach Paris fährt jetzt ein, bitte halten Sie Abstand und bleiben Sie hinter der weißen Linie. Abfahrt 12.10 Uhr.", tönte es aus den Lautsprechern des Bahnhofs. Ich drückte die Zigarette mit dem Absatz meines Schuhs aus und stand auf. "Wobei, wenn du hunderttausend für die Anmeldung hingelegt hast werden sie dich des Geldes wegen angenommen haben.", setzte Samuel unser Gespräch fort. "Zwanzigtausend ist die eigentliche Anmeldegebühr und fünftausend je Semester." "Ist mir relativ egal wie ich da rein gekommen bin. Ein Internat ist zwar nicht gerade meine erste Wahl aber immerhin bin ich aus dem Waisenhaus draußen." Mit lauem Quietschen kam der Zug zum stehen, ich zog meine Karte aus der Tasche um nach meinem Platz zu schauen, und nahm meinen Koffer zu mir.

"Welcher Wagon?", fragte Samuel und strich sich eine der schwarzen Haarsträhnen aus dem Gesicht. "Zwölf, du?", antwortete ich mit einem Blick auf die Karte. "Acht. Ich schätze wir sehen uns in Paris wieder. Au revoir, mon amie!", trällerte er theatralisch und stieg, nachdem ich ihm zum Abschied zugelächelt hatte, schließlich in seinen Wagon. Ach ja, an das Französische würde ich mich ab sofort gewöhnen müssen.

Ich stieg in den Zug und lief in Richtung meines Abteils, stolperte noch einmal wegen der Absätze und suchte meinen Platz. Die fünf weiteren Plätze waren leer und die ersten erst ab Frankfurt reserviert, weshalb ich noch knapp eineinhalb Stunden meine Ruhe hatte vor eventuell auftretenden nervenden Kindern oder sonstigen Leuten. Ich steckte den zweiten Kopfhörer wieder in mein Ohr und beobachtete von meinem Fensterplatz aus, wie wir langsam aus dem Kölner Hauptbahnhof rollten. "Au revoir, ma vie.", flüsterte ich in Gedanken an fast dieselben Worte Samuels vorhin. Willkommen in meinem neuen Leben.


Nach etwa einer Stunde beschloss ich das Boardrestaurant aufzusuchen und mir noch etwas zu essen zu holen, bevor die weiteren Leute mein Abteil betreten würden. Also versicherte ich mich, dass mein Handgepäck vom Gang aus nicht zu sehen war und begab mich in Richtung des sechsten Wagons.

Teilweise drang das Geschrei der Passagiere durch meine Kopfhörer, weshalb ich umso glücklicher war doch noch einen Platz in einem separaten Abteil gebucht zu haben. Kurz vor meinem Ziel blieb ich an einer Macke im Boden hängen und wäre beinahe längs auf den Boden gefallen, hätte mich nicht im letzten Moment jemand aufgefangen. Irritiert wegen des fehlenden Aufpralls blinzelte ich in ein blaues Augenpaar und sah, wie sich die Lippen der Person bewegten. Ich riss die Kopfhörer aus meinen Ohren und hörte nur noch den Rest des Satzes. "..nicht zufällig hier gewesen." Erst mit dem Klang der Stimme realisierte ich, dass Samuel es war, der mich aufgefangen hatte. Ich löste meinen Blick von seinen Augen und stellte fest, dass wir gleich neben einem Abteil standen, aus dem uns vier neugierige Augenpaare musterten. Wobei es schon lustig ausgesehen haben muss, ein Mädchen mit auffällig feuerroten Haaren in Uniform, nur wenige Zentimeter vom Boden entfernt, aufgefangen von einem Jungen, ebenfalls in Uniform, der eine Hand an ihrer Taille und eine an der Fensterscheibe hatte; und beide starrten sie in die Augen von mittlerweile belustigt aussehenden Personen.

Im selben Moment rafften wir uns zusammen und Samuel half mir wieder auf die Beine zu kommen. "Eh, danke.", gab ich schließlich von mir und schob Samuel aus dem Blickfeld der Personen im Abteil.

"Wenn du mich gesucht hast bist du ein Wagon zu weit gelaufen - oder sollte ich sagen gefallen?", sagte Samuel belustigt. "Wie lustig, aber nein, ich wollte eigentlich zum Boardrestaurant.", gab ich zurück, wobei ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. "Und überhaupt, was machst du hier, dass du mich so rein zufällig auffangen konntest?" "Du bist an meinem Abteil vorbei gelaufen also bin ich dir gefolgt." "Und warum?" "Ich bräuchte nochmal dein Feuer." Ich tat so, als würde ich ihm das nicht abkaufen, sagte eingeschnappt "Nö." und lief weiter Richtung Restaurant, wobei ich nach drei Meter anfing dämlich zu grinsen. "Ey, warte!", rief Samuel und lief mir hinterher. "Ich weiß, dass du grinst!", rief er wieder. "Gar nicht!", gab ich zurück und beschleunigte mein Tempo.

Ich bemerkte, dass ich in die falsche Richtung lief, also machte ich auf dem Absatz kehrt und bevor Samuel realisieren konnte, dass ich auf ihn zu lief, war ich auch schon an ihm vorbei. Wieder an dem Abteil vorbei in dem wir wieder belustigt angeschaut wurden, einen Wagon weiter und zur Theke um zu bestellen. Keine drei Sekunden später stand Samuel neben mir, wollte gerade zu sprechen beginnen, als die Frau hinter der Theke ihn unterbrach: "Was darfs sein?" Ich bestellte und widmete meine Aufmerksamkeit dann Samuel. "Also?" "Immer noch das Feuer." Ich bemerkte, dass ich meine Jacke nicht an hatte, also sagte ich: "Musst wohl oder übel mit zu meinem Abteil kommen, ich hab es nicht hier." "Kein Problem."

Ich nahm meine Sachen entgegen und wir liefen zurück zu meinem Abteil, in dem ich feststellte, dass wir nur noch ca 10 Minuten Fahrt bis nach Frankfurt hatten. "Wo sind die anderen?", fragte Samuel und ließ sich gegenüber von mir fallen. "Welche anderen?", fragte ich zurück und kramte nach dem Feuerzeug. "Die, die auch in dem Abteil sitzen." "Die ersten zwei steigen erst in Frankfurt ein, die anderen drei in Karlsruhe." "Ah. Sei froh." "Wieso?" Ich reichte ihm das Feuerzeug. "Ich bin umgeben von einer Mutter mit zwei Kindern, die ständig rum schreien, worauf die Mutter sie anschreit sie sollen nicht so rum schreien. Die steigen aber jetzt in Frankfurt aus. Und dann noch so ein Typ, Leo, der auch auf die Akademie geht." Er öffnete das kleine Fenster, worauf die Geräusche des fahrenden Zugs lauter wurden, und zündete sich eine Zigarette an. "Ich bin ja gespannt mit welchen Leuten ich zu tun haben werde.", lachte ich. Samuel gab mir das Feuerzeug zurück und dazu noch eine Zigarette, die ich dankend annahm.


Wenige Minuten später fuhren wir in den Frankfurter Hauptbahnhof, eine Minute zuvor war Samuel zurück zu seinem Abteil, damit er sich nicht durch die zugestiegenen Menschen kämpfen musste. Mindestens sechs Leute kamen in mein Abteil und fragten, ob sie hier richtig wären, aber keiner war es.

Als der Zug schon wieder losrollte kamen zwei Leute in das Abteil, ein Mädchen mit goldenen Locken die ihr bis zum Bauchnabel reichten und ein Junge mit braunen bis schwarzen Haaren, beide in der Uniform der Akademie. Also noch mehr Gleichgesinnte adlige. "Hallöchen, ich bin Marie d'Ecir und das ist mein Bruder Marlon.", quietschte das Mädchen förmlich und schmiss sich auf den Platz gegenüber von mir, ihr Bruder neben sie. Mit dem Fuß zog ich meine Tasche unter dem Tisch ein Stück zu mir und antwortete: "Wynn." "Und weiter?" "Wynn Grashette." "Sagt mir nichts, sagt dir das was Marlon?" Er schüttelte den Kopf. "Interessant, woher stammt deine Familie?", fragte sie weiter. Sie war zwar ziemlich aufgedreht, aber irgendwie mochte ich sie. Eine kleine, quirlige Dame, wie sie im Buche stand. "Oh, ich stamme nicht aus einer adligen Familie.", erklärte ich. Familie d'Ecir hingegen sagte mir einiges, sie waren schon öfter im Fernsehen zu sehen. "Wie denn das? Du gehst doch auch auf Reebourg, oder nicht?" "Ja tue ich, aber - ach das ist schwer zu erklären. Dem Leiter wurde ein bisschen mit Geld vor der Nase rumgewedelt, sagen wir es so."

Feuerfunke *wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt