Unterdrückte Träume
Hongjoong saß in einer stillen Ecke der großen Familienbibliothek, tief in ein Buch vertieft. Die Seiten raschelten leise, als er umblätterte, und seine Augen glitten über die feinen Zeilen, die von fernen Welten und heldenhaften Abenteuern erzählten. Er verlor sich in der Magie der Worte, die ihm einen kurzen Ausweg aus der Realität boten, die oft so kalt und erbarmungslos war. Für einen Moment war er nicht der jüngste Sohn der Kim-Familie, sondern ein tapferer Held, der gegen Drachen kämpfte und Reiche rettete. Doch diese Momente der Ruhe und des Friedens waren selten und kurzlebig. Ein lautes Lachen durchbrach die Stille, gefolgt von schweren Schritten, die sich der Bibliothek näherten. Hongjoong wusste sofort, dass seine Geschwister, Solar und Doyoung, auf dem Weg waren. Sein Herz begann schneller zu schlagen, und er fühlte, wie sich seine Muskeln unwillkürlich anspannten. Er liebte das Lesen, doch für seine Geschwister war es ein Zeichen von Schwäche und Lächerlichkeit. Die Tür zur Bibliothek flog auf, und Solar trat als Erste ein, gefolgt von Doyoung. Beide trugen den Ausdruck selbstzufriedener Überlegenheit im Gesicht, den Hongjoong nur zu gut kannte. Solar, mit ihrem langen, glänzenden Haar und den scharfen Augen, die jeden Fehler unbarmherzig erkannten, war immer die Anführerin der beiden gewesen. Doyoung, der größere und kräftigere von ihnen, folgte ihr in allem, bereit, ihre Befehle ohne Zögern auszuführen. „Was machst du hier, kleiner Bruder?" fragte Solar mit einem spöttischen Unterton, während sie auf Hongjoong zuging. „Versteckst du dich wieder hinter deinen dummen Büchern?" Hongjoong schloss sein Buch vorsichtig und hob den Kopf, um seine Schwester anzusehen. Er wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich zu verteidigen, aber ein Teil von ihm konnte die Demütigung nicht einfach schweigend hinnehmen. „Ich lese, Solar," sagte er ruhig, obwohl sein Inneres kochte. „Das ist nichts Falsches." Doyoung lachte hämisch und trat näher, wobei er das Buch aus Hongjoong's Händen riss. „Lesen? Für was? Du wirst nie ein großer Krieger oder ein wichtiger Mann werden, wenn du dich nur in deinen Geschichten verlierst. Was willst du damit überhaupt erreichen?" Hongjoong biss sich auf die Lippe und sagte nichts. Er wusste, dass es sinnlos war, mit Doyoung zu streiten. Sein älterer Bruder hatte immer eine Vorliebe dafür gehabt, seine Stärke und Überlegenheit zu demonstrieren, besonders gegenüber Hongjoong, der viel kleiner und schmächtiger war. Doyoung schwang das Buch vor Hongjoong's Gesicht hin und her, als wäre es ein wertloses Spielzeug, bereit, es jeden Moment wegzuwerfen. Solar verschränkte die Arme und musterte ihren jüngeren Bruder mit einem Blick, der vor Verachtung nur so strotzte. „Du bist eine Schande für unsere Familie, Hongjoong. Anstatt dich zu benehmen wie ein richtiger Kim, verbringst du deine Zeit mit diesen albernen Geschichten. Vater und Mutter mögen nichts dagegen haben, aber ich werde nicht zulassen, dass du den Namen unserer Familie weiter in den Dreck ziehst." Hongjoong spürte, wie die Wut in ihm aufstieg, doch er zwang sich, ruhig zu bleiben. Er wusste, dass seine Eltern, Jeongin und Kyungsoo, nie Partei ergriffen hatten. Sie waren gutmütige Menschen, die Konflikten lieber aus dem Weg gingen. Sie hatten Hongjoong nie wirklich beschützt, aber sie hatten ihn auch nie verurteilt. Ihre Gleichgültigkeit ließ ihn jedoch oft einsam fühlen, und er wünschte sich insgeheim, sie würden einmal für ihn eintreten. Doch dieser Wunsch blieb unerfüllt. „Ich ziehe niemanden in den Dreck," sagte Hongjoong leise, während er versuchte, den Schmerz in seiner Stimme zu verbergen. „Ich habe nur andere Interessen als ihr. Das macht mich nicht weniger wert." Solar lachte trocken. „Wert? Glaubst du wirklich, du bist etwas wert, nur weil du diese Märchen liest? Du bist eine Last für uns, Hongjoong. Jedes Mal, wenn jemand nach unseren Familienmitgliedern fragt, schäme ich mich, dich zu erwähnen. Du bist schwach und nutzlos." Doyoung ließ das Buch schließlich fallen, sodass es hart auf den Boden schlug. „Vielleicht solltest du aufhören, dich mit diesen nutzlosen Dingen zu beschäftigen, kleiner Bruder. Es ist an der Zeit, erwachsen zu werden und zu lernen, wie ein richtiger Mann zu sein." Hongjoong starrte auf das Buch, das nun zerknittert und schmutzig auf dem Boden lag. Er fühlte, wie seine Augen brannten, doch er weigerte sich, vor seinen Geschwistern zu weinen. Er wusste, dass jede Träne, die er vergoss, nur weiteres Futter für ihr Spott wäre. „Lass ihn in Ruhe," sagte er schließlich, wobei er versuchte, die Fassung zu bewahren. „Ich habe euch nichts getan. Wenn ihr mich nicht respektieren könnt, dann lasst mich zumindest in Frieden." Solar schüttelte den Kopf und wandte sich ab. „Du bist es nicht wert, Hongjoong. Aber eines Tages wirst du verstehen, wie lächerlich du bist. Bis dahin wirst du weiterhin unter uns stehen." Mit diesen Worten verließen Solar und Doyoung die Bibliothek, das Lachen ihrer Stimmen hallte durch den Flur, als sie davon gingen. Hongjoong stand still da, sein Blick weiterhin auf das Buch gerichtet. Er wartete, bis die Schritte seiner Geschwister verklungen waren, bevor er sich langsam bückte und das Buch aufhob. Es war zerknittert und an einigen Stellen beschädigt, aber es war noch intakt. Während er das Buch behutsam glatt strich, spürte er, wie die Traurigkeit ihn zu überwältigen drohte. Er fühlte sich allein, missverstanden und wertlos. Doch tief in ihm brannte noch ein kleiner Funke Hoffnung. Er wusste, dass es irgendwo in dieser Welt einen Platz für ihn geben musste, wo er nicht verspottet oder unterdrückt würde. Einen Ort, an dem er seine Träume verfolgen und sein wahres Selbst entfalten konnte, ohne Angst vor den Urteilen anderer zu haben. Hongjoong atmete tief durch und setzte sich wieder hin. Er würde sich nicht von den Worten seiner Geschwister unterkriegen lassen. Eines Tages würde er ihnen zeigen, dass er mehr war als das, was sie in ihm sahen. Eines Tages würde er seinen eigenen Weg finden und beweisen, dass auch die leisesten Träume die Kraft haben, die Welt zu verändern.
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Blue Blood
FanfictionIn einem fernen Königreich, verborgen hinter dichten Wäldern und majestätischen Bergen, herrschte der weise und angesehene König Park Chanyeol. Seine Regentschaft war geprägt von Frieden und Wohlstand, doch ein Anliegen lag ihm schwer auf dem He...