Kapitel 8

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Der Rest der Nacht verlief ruhig, völlig frei von irren Träumen und überwältigenden Gefühlen und als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Langem richtig ausgeruht und bereit für den Tag. Der Würfel hatte die Augen nach wie vor geschlossen, als ich aufwachte, also schälte ich mich so leise wie möglich aus dem Bett und wusch meine Kleidung mit dem kleinen Handwaschmittel in der Dusche. Die Badezimmertüre ließ ich extra offen, damit ich nur mit einem Blick über die Schulter den Würfel sehen und so nicht aus den Augen verlieren konnte. Nur der Himmel wusste, was dann passieren würde und ich war nicht bereit, eine derartige Verantwortung auf meine Schulter zu laden. Und weil das der Fall war, hatte ich auch nicht vor, dass Zimmer heute, außer fürs Frühstück, zu verlassen. Hier drinnen war bis jetzt niemand aufgetaucht und darum gab es für mich auch keinen Grund, das Zimmer, geschweige denn das Haus zu verlassen. Darum und weil ich schon lange kein Dach mehr über dem Kopf gehabt hatte und keine Stunde der gebuchten Zeit in diesem gemütlichen Zimmer hier verplempern würde, bevor ich es morgen früh wieder würde räumen müssen.

Die Flecken ließen sich erstaunlich leicht auswaschen. Sogar der große Kaffeefleck auf meiner Jacke ließ sich lösen und verschwand zusammen mit dem anderen Dreck und Schmutz gurgelnd im Abfluss. Ich hätte die Sachen gern lufttrocknen lassen, aber ohne Fenster in dem dampfigen Bad wurde das schwer und so stöpselte ich den hauseigenen Föhn an und holte den Würfel aus dem Bett. Wenn der Föhn lief, würde ich weder ihn noch andere Geräusche mitbekommen und so war mir wohler, wenn er wieder in meiner unmittelbaren Nähe war. Seine Augen waren geöffnet, als ich an das Bett herantrat und als ich ihn hochhob, begann er, weich zu summen. „Guten Morgen auch dir, Satoru", lächelte ich und sah das Strahlen in den Augen des Würfels, als er vibrierte. „Schläfst du überhaupt, so wie ich?" auf meine Frage hin folgte Stille. Also nein, er schien nicht zu schlafen. „Wird man da nicht müde?" auch jetzt, Stille. Wieder ein Nein. Sehr kurios. Ich ließ mich im Schneidersitz auf den Badezimmerfließen nieder, legte mir den Würfel in den Schoß und begann, die Kleidung trockenzuföhnen, bis mein Magen begann, zu knurren. Zeit fürs Frühstück.

Wann ich das letzte Mal ein richtiges Frühstück hatte, konnte ich nicht sagen. Sicher, immer mal wieder hatte ich mir morgens belegte Brötchen beim Bäcker gekauft. Aber das war nicht das gleiche wie das Buffet, dass man hier aufgebaut hatte und das mich dazu animierte, mir den Teller so voll wie nur möglich zu machen. Ich konnte es kaum abwarten, dass alles morgen früh wieder zu machen. Die 200€ der jungen Frau waren mein Ticket in zwei goldene Tage geworden und ich würde mir nichts davon entgehen lassen. Außer mir saßen noch zwei Männer mittleren Alters und eine Gruppe Frauen im Frühstückssaal, die trotz der frühen Uhrzeit schon angetüdelt zu sein schienen. Ihre lächerlichen rosafarbigen Tütüs aus billigem Tüll und die noch hässlicheren Krönchen ließen nicht viel Raum für Fantasie. Genauso wenig wie die Kondome, die sie mir um die Wette giggelnd andrehen wollten. Wie sehr ich Junggesellenabschiede doch hasste. Viel Tamtam um nichts. Geld verschwenden für Nichts. Und am Ende des Tages wurde daraus meist ein Wettkampf, wer besoffen am meisten Leute auf der Straße belästigen konnte. Ich hatte genug Nächte am Hauptbahnhof und in Spielunken verbracht, um mir dahingehend ein Urteil erlauben zu dürfen. „Doch, doch. Das hier kannst du umsonst haben, Süße!", giggelte mir die Bride to be entgegen und gab mir nicht nur ein Kondom für lau mit, sondern auch eine Proseccofahne. Ja Prost Mahlzeit.

Augenrollend packte ich das Kondom in meine Jackentasche zu dem Würfel, der daraufhin amüsiert zu summen anfing und erst aufhörte, als ich mich an einem Tisch am Fenster niederließ und anfing, mir Schokoladenkuchen in den Mund zu schaufeln. Ich war schon immer eine Naschkatze gewesen und vergaß über den Teller voller Köstlichkeiten fast meinen Plan. Verstohlen sah ich mich um. Wenn ich es schlau anstellte, konnte ich mir morgen die Taschen vollmachen, ohne dass es jemand merkte. Zumindest die Secco-Susis drei Tische weiter würden davon sicher nichts mitbekommen. Dann konnte ich mein noch verbliebenes Geld zusammenhalten und nicht für Essen ausgeben, bis ich wieder zu Jesper musste. Jetzt, wo er die Preise erhöht hatte, war sparen wichtiger als eh und je. Doch das war jetzt erstmal zweitrangig. Ich hatte noch genug Tabletten und warf auch gleich zwei zusammen mit meinem Kamillentee ein. Das war das Schöne an Orten, die von der Gesellschaft weder als abgewrackt noch als Orte zweiter Klasse angesehen wurden. Hier Tabletten zu nehmen, wirkte ganz anders als zum Beispiel am Hauptbahnhof. Und während die Spaziergänger und Fahrgäste mich dort sofort als Junkie abgestempelt hätten, taten die Besucher des B&Bs das nicht. Für sie nahm ich lediglich zwei Schmerztabletten oder Vitamine oder was auch immer in ihr heiles Weltbild passte.

Über all die Köstlichkeiten und den warmen Tee, den ich kurz darauf durch Kakao ersetzt hatte, wäre mir beinah ein wichtiges Detail entgangen. Die beiden Männer, die an der mir gegenüberliegenden Seite saßen, lasen beide in der wohl aktuellen Tageszeitung. So weit war das natürlich nicht auffällig. Aber was mich stutzig werden ließ war der Umstand, dass sie beide japanische Zeitungen in den Händen hielten. Und immer wieder verstohlen zu mir herüberblickten, ich schien ihre Aufmerksamkeit anzuziehen wie ein Licht die Motten. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus und gerade, als ich aufstehen und zurück auf mein Zimmer gehen wollte, zog jemand den Stuhl direkt neben mir am Nachbartisch zurück und ließ sich drauffallen. Der Duft von Kaffee stieg mir in die Nase, im Augenwinkel erhaschte ich einen dunkelroten Haarschopf.

Haar mit der Farbe von Blut.

„Schau nicht her. Iss weiter deinen Kuchen und tu so, als wäre alles gut," sagte der Kaffeeheini von gestern und trank locker einen Schluck Kaffee. Im Augenwinkel sah ich seinen Kehlkopf hüpfen, als er schluckte und das mulmige Gefühl in meinem Bauch gewann an Intensität. Aber ich kam seiner Bitte nach und schob mir weiter Kuchen in den Mund. Doch jetzt schmeckte er nicht mehr nach warmer Schokolade, sondern fade und alt. Das alles verdarb mir gehörig den Appetit. Mit einem Schluck Kakao spülte ich das Stück herunter und tat so, als würde ich mir den Schuh neu binden müssen. So war ich näher an dem Mann neben mir. „Wer sind die?", auf meine Frage hin hörte ich seinen Mantel rascheln und als ich mich wieder aufrichtete, hatte er seinen linken Arm über die Stuhllehne gelegt und blätterte wie beiläufig im B&B Katalog. An seinen Fingern glänzten einige silberne Ringe und auf dem Größten von ihnen war ein weinendes Auge eingraviert. „Söldner," war die knappe Antwort vom anderen Tisch, auf die ein erneuter Schluck Kaffee folgte. „Und was sie wollen werde ich dir kaum erklären müssen, Süße. Also sei ein braves Mädchen und komm mit mir mit. Dann passiert dir nichts." Für einen Moment zuckten seine Augen zu mir und als er meinen aufgrund seiner Wortwahl empörten Gesichtsausdruck sah, grinste er und entblößte zwei Reihen gerader schneeweißer Zähne, als er sich wieder dem Katalog widmete. „Und woher soll ich wissen, dass du nicht auch ein Söldner bist?", flüsterte ich leise und lauschte seinen Schritten, als er mir wie zufällig zur Teestation folgte und sich neben mir seine Kaffeetasse auffüllte. Zum ersten Mal konnte ich ihn richtig betrachten und man hätte fast den Eindruck gewinnen können, dass er einem Magazin für Bademode entsprungen war. Und er sah nicht nur so aus, er verhielt sich auch so. Wie ein Prolet eben. „Eine exzellente Frage. Lass sie mich dir gleich beantworten." Er schaute auf seine teuer wirkende Armbanduhr. „In fünf, vier, drei, zwei, eins." er hob die gerade fertig gewordene, noch kochend heiße Tasse an seine Lippen und trank sie zu meinem Entsetzen auf Ex aus, bevor er sie wieder abstellte, am Absatz kehrtmachte und durch den Saal auf die beiden angeblichen Söldner zu schlenderte. Am Tisch der Secco-Susis tippte er sich an seinen imaginären Hut und zwinkerte ihnen nonchalant zu, bevor er weiterging. „Ladys."

Eine wahre Welle an entzücktem Kichern schwappte durch den Saal und ließ mich mit den Augen rollen. Was war nur los mit uns Frauen? Der Fremde stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch der beiden Männer ab, die jetzt immer unruhiger wurden. Genau wie der Würfel in meiner Tasche. Sein Summen ging mir durch Mark und Bein, aber wie sehr ich es auch versuchte, ich schaffte es nicht, meine Füße vom Boden zu lösen. Die Augen der beiden Männer huschten jetzt zwischen dem Gesicht des Fremden und seiner Hand auf dem Tisch hin und her und als er sie hochhob und sie geschockt eine unversehrte Tischplatte anstarrten, war ich raus mit meiner Logik. Was hatte er zu ihnen gesagt? Schon fast überstürzt verließen sie das Hotel, allerdings nicht, ohne mir am Weg nach draußen einen giftigen Blick nach dem anderen zuzuwerfen. Etwas ratlos und doch auch erleichtert sah ich ihnen nach, bis sie um die Ecke bogen und aus meinem Sichtfeld verschwanden. „Was hast du zu ihnen gesagt?", fragte ich in den Raum hinein. Ich hatte mich nicht umdrehen müssen um zu wissen, dass der Fremde mit den blutroten Haaren hinter mir stand. „Das sie wohl vergessen haben, wie das hier so läuft." Das warf jetzt mehr Fragen auf als es mir Antworten gab. Aber gut. Ein Schritt nach dem anderem. Seufzend kam er um mich herum, bedachte mich von oben bis unten mit einem prüfenden Blick und bedeutete mir dann, ihm zu folgen. „Komm, Süße. Zeit zu packen." Wie ferngesteuert folgte ich ihm aus dem Speisesaal.

Er hatte meine Frage nicht beantwortet.

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Eure Erin ist zurück und positioniert so langsam die Spielfiguren auf dem Schachbrett dieser FanFiction. Wie auch in "Ancient Love" habe ich meine Fantasie angekurbelt und mir so einige eigene spannende Charaktere zusammenklamüstert, die euch hoffentlich gefallen werden!

xx

Cube's Secret (Satoru Gojo X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt