Kapitel 14

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Das Folgende, Coen sprach ruhig und mit gesenkter Stimme, kam mir vor wie ein Drehbuch für einen Horrorfilm. Ein Film, den man entweder von Geburt an live verfolgen konnte oder erst dann, wenn man eine dieser schicken Brillen trug, wie Coen sie mir gegeben hatte. Sie erinnerte mich ein bisschen an die 3D Brillen, die man für manche Filme im Kino bekam, um richtig sehen zu können. All die Details, die einem sonst verborgen blieben hinter diesem verschwommenen Schleier, der erst dann verschwand und die Dinge scharf stellte, wenn man die Brille aufsetzte. Und so ähnlich war das auch jetzt. Erst die Brille lüftete den Schleier, der auf der Welt zu liegen schien und all die Dinge versteckte, die uns quälten.

„Woher weißt du, dass die Frau die Nacht nicht überleben wird?", fragte ich Coen und atmete den Duft der gebratenen Nudeln mit Hühnchen ein, die Bruce mitgebracht hatte und sich jetzt links von Coen auf einem der Stühle niedergelassen hatte. „Normal können Menschen wie du, also Nicht-Jujuzisten, Flüche nicht sehen. Davon gibt es aber zwei Ausnahmen," Coen hob einen Finger. „Erstens, die Situation ist derart prekär und gefährlich aufgrund von Flüchen, dass sich der Schleier vorübergehend lüftet," die blutroten Haare des Kopfgeldjägers schimmerten, als das Sonnenlicht sie traf und er einen zweiten Finger hob. „Und Zweitens, der Mensch stirbt. Auch dann wird der Schleier gelüftet und ihr könnt die Flüche sehen. Bis der Mensch tot ist." Mein Blick wanderte unweigerlich zurück zu der alten Frau. Sie hatte ihren Kampf gegen den Fluch aufgegeben. Ihre Hand lag schlaff in ihrem Schoß, all ihre Bemühungen, den Fluch zu vertreiben waren verloschen. Und ich verstand. Daher wusste Coen also, dass sie bald sterben würde. Weil sie den Fluch sehen konnte, völlig ohne Brille oder Fluchkraft. Meine Finger umklammerten zitternd die Stäbchen, so sehr, dass die Nudeln herunterfielen und sich querbeet auf dem Teller verteilten. Ich musste die Brille abnehmen, denn länger hätte ich das Elend um mich herum nicht ertragen. Das war reine Folter und ich am wenigsten dafür geeignet, etwas zu unternehmen. Und Coen musste ich gar nicht erst fragen.

Kopfgeldjäger arbeiteten nicht ohne Bezahlung.

Stattdessen entschied ich mich für eine andere Frage. „Wie habt ihr es lebend aus dem Flugzeug geschafft? Der Wurm hat es ja ... zerdrückt." Ein Grinsen tanzte in Coens Mundwinkel, als er mit den Schultern zuckte und Bruce bat, noch einen Kaffee zu holen. „Wir hatten noch genug Zeit, um die Fallschirme anzulegen." Er packte einen neuen Lolli aus und deutete jetzt damit auf mich. „Im Gegensatz zu dir. Also klär mich auf, Süße. Wie hast du das gemacht?"

Ich erzählte Coen alles. Von dem Tentakel, der den Wurm unter Wasser und in die Tiefe gerissen hatte. Das ich wegen des dadurch aufgewühlten Wassers nicht durch den Aufprall gestorben war. Das ich gespürt hatte, wie meine Knochen brachen. Und dass ich dennoch unversehrt in dieser Bucht aufgewacht war. Nicht mal 20 Meter von dem Würfel entfernt. Bruce, er hatte mir einen Kakao und Coen den versprochenen Kaffee mitgebracht, legte synchron mit Coen den Kopf schief. „Wenn ich euch so ansehe, nehme ich mal an, dass ihr auch nicht wisst, was da passiert ist." Der Rothaarige legte seine schweren Stiefel auf dem Tisch ab und schlug die Beine übereinander, ohne der schimpfenden Putzfrau in der Ecke Aufmerksamkeit zu schenken. „Ich glaube, dass wir uns drauf einigen können, dass da jemand seine Finger im Spiel hatte. Bleibt nur die Frage, wer? Und warum er oder sie dich nicht mitgenommen hat. Samt Würfel."

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Coen hatte uns in einem Hotel im Herzen Tokyos untergebracht und Bruce zurück nach Deutschland geschickt, um die Dinge zwecks unseres Absturzes zu klären. Immerhin stürzten Flugzeuge nicht einfach so ohne Weiteres ab und nachdem es in japanischem Luftraum mit einer deutschen Maschine passiert war, kam unangenehme Arbeit auf Bruce zu. Aber als Expilot bei der Royal Air Force war er anscheinend der Beste, um sich dem Problem anzunehmen und für Coen aus der Welt zu schaffen. Bruce war quasi Coens Mädchen für Alles und so hatte er sich brav in die nächste Maschine nach Hause gesetzt, um alles vor Ort mit den Behörden klären zu können. Coen dagegen würde mit mir in Tokyo bleiben, um die Käufer des Würfels zu treffen. Das hätte allem Anschein nach heute passieren sollen. Aber unser Absturz und der Aufenthalt im Krankenhaus hatten das unmöglich gemacht und so war das alles auf morgen verschoben worden. Und jetzt saß ich hier, allein in diesem Hotelzimmer, dessen Schlüssel Coen natürlich behalten hatte und wusste nicht, wohin mit meinen Gedanken. Ich wusste nicht mal, ob ich in 24 Stunden noch leben und ob Coen mich als Mitwisserin nicht einfach ausradieren würde. Immerhin hatte ich dann keinen Nutzen mehr für ihn.

Cube's Secret (Satoru Gojo X MC)/FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt