„Das ist widernatürlich. Atlanter sind nicht fürs Laufen geschaffen."
Satoru und ich hatten beschlossen, Nautilus und Tiden unten im Tank zu besuchen. Sonst gab es für uns ja nicht viel zu tun auf der Station und wenn wir schon auf Neuigkeiten von Velvet und Thorne warteten, konnten wir die Zeit auch sinnvoll nutzen und Tiden bei seinen Übungen helfen. Das er, wie Nautilus über 80 Jahre im Wasser verbracht hatte, merkte man sofort. Das Atmen von Luft gelang ihm wesentlich schneller als das Laufen. Immer wieder knickten seine Beine unter ihm weg und er landete recht unsanft auf den weißen Fliesen. Und die Schritte, die er tat, waren zu klein und tapsig. Das seine Füße wesentlich größer waren und somit mehr Fläche zum Gleichgewicht halten hatten, schien ihm keine Hilfe zu sein. Aber so war das, wenn man noch nie in seinem Leben der Schwerkraft außerhalb von Wasser ausgesetzt gewesen war. Laufen forderte weitaus stärkere Beine als es das Schwimmen tat, und so zog sich Tiden immer wieder auf die Füße, einen verkrampften Ausdruck im Gesicht. „Wie lange hast du gebraucht, Nautilus?"
Der Kronprinz drehte sich auf seinem Drehhocker um, von seinem Schreibtisch weg und hob eine Augenbraue, als er Tiden mit zitternden Knien an einem der Tanks stehen sah. „Zwei Stunden." Die Knöchel des Atlanters traten weiß hervor, so verzweifelt krallte er sich an dem Tank fest. „Du verarschst mich doch." Nautilus schüttelte den pinken Haarschopf und wendete sich wieder seinem Tisch zu, auf dem lauter kompliziert aussehende Teilchen atlantischer Technik lagen. Genau wie sein Arm, der zwischen den Teilen lag und an einigen Stellen offen war. „Mir gehen viele Dinge leichter von der Hand als dem Rest der Atlanter," sagte er und rückte die große Lupe zurecht. „Vielleicht muss das so sein, wenn man als Einziger vollkommen rein ist." Tiden rollte mit den Augen und ließ sich dann am Tank entlang zu Boden sinken. Frust flutete seine violetten Augen, als er sich genervt das goldene Haar aus dem Gesicht strich. Lulu hatte sich das Spektakel, so wie wir, stumm angesehen und legte jetzt den Kopf schief. Sie überlegte eine Weile und demonstrierte Tiden dann, wie es richtig ging. Links, rechts, links, rechts lief die kleine Lumine über die weißen Fliesen und sah dann erwartungsvoll zu ihrem besten Freund auf. Der verzog nur mürrisch das Gesicht. „Du kannst es ja nur leichter haben mit mehr als zwei Beinen." Die Lumine setzte einen empörten Gesichtsausdruck auf, schien Tiden dann aber zu verzeihen. Flink kletterte sie an ihm hoch und schmiegte sich schnurrend an sein Gesicht. Tiden lächelte doch tatsächlich und strich ihr über die schillernde Haut. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht angehen, dass war nicht fair."
„Wie wäre es, wenn ich dir helfe?" schnell stand ich auf und ging auf Tiden zu, um ihm die Hand zu reichen. „Ich halte deine Hände und du versuchst, ein paar Schritte zu gehen. So machen wir es mit kleinen Kindern, die es üben müssen." Tiden sah erst mich, dann meine Hand sehr beleidigt an. Aber schließlich zog er sich wieder am Tank nach oben und sah auf mich herab. Mir entfiel immer wieder, wie groß Atlanter eigentlich waren. Sowohl Tiden als auch Nautilus überragten Satoru um ein gutes Stück und der war ja schon recht groß. Aber größer ging anscheinend immer und so stellte sich Satoru an meine Seite, um mir zu helfen. Und tatsächlich, mit unserer Hilfe gelangen Tiden immer mehr Schritte. Wenn auch recht wackelig und nicht allein. Aber immerhin. „Tiden ist nicht immer so grummelig. Er hat eigentlich einen sehr fragwürdigen Sinn für Humor, wenn man mich fragt. Aber er hat gern die Kontrolle und das er mit euch Händchen halten muss passt seinem Stolz gar nicht." Tiden schenkte uns ein peinlich berührtes, recht schiefes Grinsen, als er Nautilus' Worte hörte. Der hatte sich noch nicht mal zu uns umgedreht, sondern arbeitete weiter an seinem Roboterarm, in dem es immer wieder glühte und zischte.
„Seht ihr? Ich hab noch nicht mal die Chance, den Land-Tiden völlig neu zu erfinden solange der Miesepeter in meiner Nähe ist und immer alles ausplaudert. So wie damals, als er unserer Lehrerin erzählt hat, dass ich die vielen Seegurken im Klassenzimmer ausgesetzt habe." „Die Strafe hattest du auch verdient." Tiden zog empört die Augenbrauen zusammen. „Woher sollte ich denn wissen, dass die alles vollscheißen?" Nautilus drehte sich wieder zu uns um und gestikulierte wild mit seiner Hand. „Vielleicht weil du ihnen Abführmittel gegeben hast? Ganz bewusst und ganz schön viel." Der Goldhaarige verdrehte grinsend die Augen und zuckte mit den Schultern. „Ich wäre im Test durchgefallen. Was hätte ich tun sollen?" der Kronprinz drehte sich wieder um und rückte die Lupe zurecht. Hatten mir meine Augen einen Streich gespielt oder hatte Nautilus tatsächlich gegrinst?
„Lernen. So wie wir anderen auch."
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Das Abendessen an jenem Tag war das schweigsamste, dass ich je erlebt hatte. Thorne und Velvet waren ohne einen Hinweis zurückgekommen und hatten sich durch nichts und niemanden aufmuntern lassen. Nicht mal Lulu, die fröhlich ihre Lichter tanzen ließ, entlockte den beiden ein Lächeln. Auch Tiden, der stolz und wackelig seine Schritte vorführte, zeigte keine Wirkung. Satoru hatte sich zudem von ihrem Unmut anstecken lassen und rührte wie die Beiden in seinem vollen Teller herum, ohne etwas zu sagen. Bei ihm konnte ich es am besten nachvollziehen. Ohne eine Spur würde er für immer ein normaler Mensch bleiben und nicht mehr die Chance haben, Megumi zu retten. Also rührte auch ich recht lustlos in meinem Teller herum und überlegte, ob ich irgendwie helfen konnte. Aber mir fiel nichts ein und nach einer Weile schaltete auch Lulu ihre Lichter aus, um es sich auf Tidens Schoß bequem zu machen. Der Atlanter strich ihr weich über die zarte helle Haut und lächelte, als sie im Schlaf anfing, zu flackern. „Das tut sie immer, wenn sie träumt," flüsterte er und strich sich über das Tattoo an seinem Hals. Diese Geste ließ mich innehalten. Oder eher weniger die Geste und mehr Tidens Hand. Die Schuppen auf seinem Handrücken, die sonst golden schimmerten, hatten dank dem fehlenden Wasser ihre Farbe verloren und erinnerten mich jetzt eher an zu groß geratene, trockene Hautschuppen.
Und hatte nicht der alte Mann in dem kleinen Trödelladen eben solche Hautschuppen auf der Hand getragen?
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Cube's Secret (Satoru Gojo X MC)/FanFiction
Fanfiction18+ Nichts ist schwerer zu gewinnen als das Spiel des Lebens, nichts leichter zu verlieren. Wer ein schlechtes Blatt hat, wird gezwungen, aufzugeben. Gibst du auf? Oder bluffst du und setzt alles? Ein überraschender Fund mitten in einer sternenlose...