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In den ersten Monaten meines Lebens lebten meine Eltern mit mir in einer kleinen Wohnung in der Frankfurter Innenstadt. Die Wohnung hatte nicht mehr, als sechzig Quadratmeter und meine Eltern wussten, dass der Platz nicht ausreichte. Für den Anfang war es passabel, aber irgendwann wurde die Wohnung für uns drei zu klein. Schon seit meine Eltern ein Paar waren, sparten sie auf ein Haus in einem ruhigeren Stadtteil von Frankfurt. Sie wollten mir eine behütete Kindheit bieten, fern vom geschäftigen Lärm und der Hektik der Großstadt. Sie wollten, dass ich in einem friedlichen Umfeld aufwuchs und das war ihnen gelungen. Vor meinem ersten Geburtstag wurde ein Haus in der Nachbarschaft meiner Großeltern verkauft und meine Eltern schlugen zu. Sie überboten die Mitmieter und erhielten dafür eine kleine Finanzspritze von ihren Eltern. Und so erfüllten sie sich den Traum vom Eigenheim und einer behüteten Kindheit für mich. Das rot verklinkerte Haus hatte sich schon seit Kindertagen nicht verändert und lag am Rande des Stadtwaldes. Lediglich die Bepflanzung des Gartens hatte gewechselt und meine Mutter und mein Vater passten diese an jede Saison und an ihren Geschmack an. Nur die Rosenstöcke im Vorgarten blieben von Anfang an. Als ich im Grundschulalter war und sich der Muttertag näherte, kam ich auf die Idee meiner Mutter einen Strauß Rosen zu pflücken. Die Schönsten wuchsen in unserem Garten und diese hatte ich auserkoren Teil des Straußes zu werden. Dass meine Mutter wenig begeistert über ihre gestutzten Rosen war, das hatte ich im zarten Alter von sechs Jahren nicht bedacht. Nach einem Moment der Freude folgte ein Donnerwetter, dass durch das belustigte Lachen meines Vaters abgeschwächt wurde. Meine Mutter stimmte in das Lachen ein und so wurde diese Geschichte zu einer Anekdote, die man heute gerne erzählte. Genau wie die abgesägten Stuhlbeine. Ich benötigte damals für den Kunstunterricht Holz und war zu ungeduldig, darauf zu warten, bis meine Mutter mir welches besorgte. Also kümmerte ich mich selbst darum, nahm eine Holzsäge aus dem Werkzeugkasten meines Vaters und recht schnell verloren drei Stühle ihre Stuhlbeine und ich kam an mein Holz. Darüber war vor allem mein Vater wütend, als er mein Werk entdeckte und das Taschengeld, welches ich, seit meiner Einschulung erhielt, wurde komplett eingezogen, um neue Stühle zu kaufen. Damals musste ich mich dann von einem Game Boy verabschieden, den ich mir von, meinem hart ersparten Geld, kaufen wollte. Heute gehört sie zu den Geschichten, die mit einem »Weißt du noch« beginnen.

Zu meiner Wohnung, die ich mir mit Paul teilte, waren es zehn Minuten zu Fuß und knappe fünf, wenn ich das Fahrrad nahm. Zur Klinik war es auf dem direkten Weg, mit der S-Bahn eine halbe Weltreise. Ich musste zweimal umsteigen, wenn ich die Haltestelle in unmittelbarer Nähe meiner Eltern als Ziel wählte. Deshalb fuhr ich meist nur mit der S-Bahn zu der Haltestelle in der Straße, in der ich wohnte und lief den restlichen Weg, oder nahm meinen alten Drahtesel, der schon bessere Tage gesehen hatte. Da ich aber nicht beabsichtigte das Radfahren als Sport zu betreiben, reichte das alte Teil für meine Zwecke.

Ich hatte Paul eine WhatsApp geschrieben, dass er nicht auf mich warten sollte und ich zu meinen Eltern fahren würde. Meine Nachricht wurde gelesen, was ich an den blauen Harken erkannte und bekam ein ‚Viel Spaß und bestell Grüße. Werde heute Abend unterwegs sein, wird spät' zurück.
An unserer Wohnung angekommen, schloss ich mein Fahrrad im Keller auf und schleppte es die Treppe hinaus. Manchmal fragte ich mich, warum ich mir nicht so einen Scooter zulegte. So ein Teil, mit dem selbst die hohen Tiere der Frankfurter Banken vom Bahnhof zum Geschäftsgebäude sausten, in dem sie arbeiteten. Das war wesentlich handlicher und einfacher, als ständig den Drahtesel die Treppe hinauf zu schleppen. Im Schweiße meines Angesichts kam ich endlich auf dem Gehweg an und stellte mein Fahrrad ab, klappte den Ständer aus und machte noch einmal kehrt, um die Haustüre hinter mir zu schließen.

Meine Tasche legte ich in den Korb, der sich auf meinem Gepäckträger befand. Ich ergriff den Lenker und stieg auf, um los zu radeln. Die Sonne brannte auf meiner blassen Haut und ich bereute es, mich nicht eingecremt zu haben. Auf dem Weg zu meinen Eltern gab es keinen Schatten und die Sonne knallte nur so auf die Straße, die so erwärmt war, dass sie in der Ferne das Flimmern abgab. Nach den üblichen fünf Minuten kam ich am Haus meiner Eltern an. Ich stieg von meinem Fahrrad und schob es in die Einfahrt, in der die Autos meiner Eltern standen. Obwohl ich nicht damit rechnete, dass dieser alte bemitleidenswerte Drahtesel geklaut werden würde, schloss ich ihn dennoch mit einer Fahrradkette ab, die ich um den Hinterreifen legte. Ich zog meine Tasche aus dem Korb und machte mich auf den Weg zur Haustüre und klingelte. Niemand öffnete mir, doch ein lautes Bellen erklang.

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