Wir waren am Morgen schon früh auf den Beinen. Nicht nur die Aufregung vor der bevorstehenden Abreise raubte mir den Schlaf. Ich wollte ein letztes Mal die Aussicht genießen. Die Morgenluft war recht kühl und ich hatte mir ein Sweatshirt übergezogen. So stand ich auf dem märchenhaften Balkon und verabschiedete mich im stillen von Paris. Ich vermisste sie jetzt schon, doch dieser Anblick hatte sich ins Gedächtnis gebrannt, für immer.
Unser Check-out verlief reibungslos und laut Leo hatte er keinen höheren Betrag zahlen müssen. Ich konnte es kaum glauben, denn ich teilte mit ihm für fast eine Woche das Zimmer. Vielleicht war er aber der Gentleman, für den ich ihn hielt, und er wollte mich nicht mit irgendwelchen Hotelkosten belasten, obwohl ich darauf bestand meinen Anteil zu bezahlen.
»Über Geld spricht man nicht, Lou aus Frankfurt«, war alles, was er antwortete, nachdem ich ihn fragte, was ich ihm schuldig war. Damit war für ihn die Sache vom Tisch. Und egal wie oft ich ihn darauf ansprach, er ging nicht mehr auf das Thema ein, sondern lenkte das Gesprächsthema auf etwas anderes, Belangloses. Es machte mich rasend, aber ich hatte keine Chance und so beschloss ich, Dankbarkeit walten zu lassen.
In der Tiefgarage lud Leo unser Gepäck in den Kofferraum seines kleinen Flitzers. Obwohl mein Koffer riesig schien, passte alles hinein und unser Roadtrip nach Belgien begann.
Der Verkehr innerhalb von Paris war ein wahr gewordener Albtraum und ich war froh, dass Leo am Steuer des Wagens saß und nicht ich. Vermutlich wäre ich schon am zweiten Kreisverkehr vor Verzweiflung in Tränen ausgebrochen, die Franzosen fuhren drauf los- ohne Rücksicht auf Verluste.
»Wenn man hier ganz in die Mitte gerät, gibt es erst einmal kein Entkommen mehr«, erklärte Leo bei dem größten Kreisel in Paris. In der Mitte ragte der Arc de Triomphe empor und einige Besucher liefen unter diesem hindurch, schossen Bilder oder fotografierten sich gegenseitig vor dem Bauwerk. Zwölf Straßen führten in diesen Kreisel hinein und an jeder Ein- und Ausfahrt herrschte das blanke Chaos. Lautes Hupen war zu hören und jede Hupe schien die andere zu übertönen. Unser Navigationssystem konnte sich nicht zu einigen, welche Ausfahrt wir nehmen sollten, und so zogen wir unsere Kreise, während Leo aufpasste, dass wir uns nicht weiter in die Mitte drängen ließen.
»So und nun?« Murrte er leise, als sich die Anweisungen unseres Navis änderten wie ein Fähnchen im Wind.
»Ich glaube es ist egal, wo du abbiegst«, kommentierte ich das Ganze, nachdem ich die Karte beobachtet hatte, und ich zuckte zusammen als und ein Rollerfahrer rechts überholte und wütend in unsere Richtung den Arm hob und hupte.»Was hat der denn jetzt?« Leo verstand die Welt nicht mehr und ich genau so wenig. Dieser Kreisverkehr machte mich nervös und ich war froh, als Leo bei der nächsten Gelegenheit abgebogen war. Meine Finger bohrten sich vor Anspannung in den ledernen Sitz und mich beschlich die Sorge, dass das Material meiner Nervosität nicht lange standhielt. Auch hier sollte sich der Verkehr nicht beruhigen. Fast im Slalom wurden wir von Rollern, Motorräder und Radfahrern überholt, weil nichts mehr vorwärtsging und wir mitten im Stau feststeckten.
Die Straße führte laut Navigationssystem aus der Stadt heraus und direkt auf die Autobahn in die Richtung der belgischen Grenze. Nun war erst einmal Geduld gefragt, denn es ging nur schleppend vorwärts und die Zweiradfahrer, die vor uns wieder einscherten, machten mich genau so nervös wie der Kreisverkehr, den wir hinter uns gelassen hatten.
»Okay jetzt reicht es«, murmelte Leo mehr zu sich selbst, als zu mir und bog bei nächster Gelegenheit ab und schien sich dem Fahrstil der Franzosen anzupassen.
»Normalerweise mache ich so etwas nicht, wenn ich Gesellschaft habe, aber so kommen wir bis heute Abend nicht aus Paris raus«, erklärte er und es klang wie eine Entschuldigung.»Schon okay«, flüsterte ich angespannt und meine Hände gruben sich mehr und mehr in das Leder meines Sitzes. Leonards Fahrstil brachte uns weiter und so ließen wir nach einer knappen Dreiviertelstunde die Stadt der Liebe hinter uns und fuhren auf die Autobahn, die uns nach Brügge führen würde.
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Lebe jetzt
RomanceLouisa ist mit Leib und Seele als Pflegefachkraft auf der Palliativstation einer Frankfurter Klinik tätig. Dort hat sie bereits einige Patienten auf ihrem Weg begleitet, doch Nora, eine Patientin die kaum älter ist, als sie selbst, stellt Louisas b...