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Zwei Tage nach unserer durchzechten Nacht machten wir uns auf den Weg nach IJ Muiden. Die Zwischenzeit verbrachte ich vor allem damit, in Selbstmitleid zu zerfließen. Der Bus fuhr recht pünktlich ab und wir waren bewaffnet mit Sonnencreme, Strandlaken die wir uns extra gekauft hatten und Sonnenhüten auf dem Weg ans Meer. Das Buch von Nora hatte ich dabei, denn ich wusste, das dort etwas geschrieben stand, dass ich erst lesen sollte, wenn ich am Meer angekommen war. Dabei spielte es keine Rolle welches Meer. Natürlich wäre der Stand auf den Malediven schöner gewesen, aber nun war es der Stand von Holland, der her halten musste. Ich war mir sicher, er war genau so schön. Ich bereute es, dass ich Nora als ersten Impuls der Enttäuschung durch Leo, verflucht hatte, und entschuldigte mich inständig dafür. Natürlich konnte sie und diese Art Bucketlist nichts dafür, denn es stand ja nicht, als Ziel ‚verliebe dich in den Erstbesten, der dir über den Weg läuft' geschrieben. Und tief in meinem Herzen war ich ihr dankbar, dass ich das erleben durfte. Das alles. Egal ob Paris, Brügge oder Amsterdam. Sie hatte mich an Orte geführt, die ich ohne sie nie gesehen und erlebt hätte. Nora ließ mich die Freiheit kosten. Der Bus näherte sich einer Düne, vor der ein Parkplatz lag, der recht leer war. Wir waren früh dran und sicherlich würde der Strand im Laufe des Tages voller werden. Es waren gute 32 Grad angekündigt, das perfekte Wetter um den Tag am Strand zu verbringen. Wir nahmen unsere Taschen und verließen den Bus, nachdem dieser gehalten hatte. Die sandigen Stufen führten uns auf die Düne, in der Sanddorn wuchs und dahinter lag der Strand, der an dieser Stelle recht breit war. Ich ließ meinen Blick schweifen und mit einem Mal wusste ich, was Nora so faszinierend fand. Es war diese grenzenlose Weite, die vor einem lag, die mit dem Himmel verschmolz. Da berühren sich Himmel und Erde, mein erster Gedanke und dieser trieb mir die Tränen in die Augen. Mit einem Mal war Nora ganz nah. So als wäre sie bei mir. Ich setzte mich in Bewegung und lief den Weg an den Strand hinab, zog meine Sandalen aus und lief immer weiter bis das Wasser, die sanften Ausläufer der Wellen, meine Knöchel umspülten.
Ich war hier. Ich war am Meer, so wie Nora es wollte. Sie hatte mich hier her geführt, mich begleitet auf jeder einzelnen Etappe des Weges, der hier vorerst endete. Ich ließ Paul hinter mir und hielt den Moment ganz alleine für mich fest, fertigte ein Bild in meinen Gedanken an. Eine Erinnerung, die mir niemals jemand nehmen würde. Der Anblick war wunderschön. Ich warf einen Blick über meine Schultern zu Paul, der damit beschäftigt war, die Laken auszubreiten, damit wir uns setzen konnten. Doch für den Moment wollte ich alleine sein. Ich ging ein Stück vom Wasser zurück und setzte mich in den weichen Sand.

Pauls Blicke ruhten wachsam auf mir und ich war dankbar, dass er mir den Moment der Ruhe ließ. Ich wollte nachdenken, über all das was in den letzten Wochen geschehen war. Über Leo und mich. Ich war so konzentriert auf den Horizont und meine eigenen Gedanken, dass ich nicht einmal merkte, wie sich mir jemand näherte.
»Lou?« Für einen Moment glaubte ich, mich verhört zu haben, doch ich kannte diese Stimme. Ich blickte auf, schirmte meine Augen vor der Sonne ab und erkannte, die Person, die mir das Herz gebrochen hatte. Leo. Er stand hier, in greifbarer Nähe neben mir und ich wusste nicht einmal, ob ich ansatzweise bereit dazu war, mir das anzuhören, was er zu sagen hatte.
»Was willst du hier?« Hörte ich mich sagen und klang härter, als ich es beabsichtigt hatte.
»Ich habe mich vor ein paar Tagen hier im Hotel eingemietet«, er deutete auf das hohe Gebäude, das hinter der Düne lag, »Ich wusste das du hier her kommen würdest und ich habe auf dich gewartet. Ich wollte mit dir reden. Ich habe dir geschrieben, dich versucht anzurufen.«

»Was gibt es noch zu reden?!« Blieb ich hart.
»Bitte, gib mir die Chance mich zu erklären!«
»Ich dachte du bist mit deiner Charlotte wieder in deiner Villa in München«, gab ich trocken zurück und wartete auf seine Reaktion. Ich erwähnte Charlotte auch, um herauszufinden, wie er zu ihr stand.
»Charlotte ist wieder in München, ja. Wie du aber siehst, ohne mich.«

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