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Ich stand vor unserer Haustüre und dachte darüber nach, mit dem Fahrrad zu meinen Eltern zu fahren. Ob es eine gute Idee war? Auf keinen Fall! Ob ich dennoch auf den Drahtesel stieg? Oh ja!

Schon nach den ersten Metern bereute ich meine Entscheidung, denn ich spürte, wie tief im Keller mein Kreislauf war. Ich musste anhalten und einen Moment durchatmen, da mich ein kurzer Anflug von Schwindel überkam. Die Handflächen wurden schweißnass und ein wattiges Gefühl breitete sich aus und erreichte meine Beine. Mit zittrigen Beinen stand ich auf dem Radweg und wurde von jedem Fahrradfahrer verständnislos angeklingelt.
»Mitten auf dem Weg stehen bleiben, das gibts ja wohl nicht«, rief er mir wütend zu und zeigte mir im Vorbeifahren den Vogel. Es war vermutlich nicht klug gewesen, mitten im Weg stehen zu bleiben. Alles, was ich tun konnte, war stehen zu bleiben und darauf zu warten, dass sich dieses widerliche Gefühl verzog. An weiter fahren war nicht zu denken, denn ich befürchtete, dass ich samt Fahrrad umfallen würde, wenn ich versuchte aufzusteigen.

Für den Weg von sonst fünf Minuten auf meinem Drahtesel, benötigte ich zwanzig. Mein Fahrrad wurde zur Dekoration, denn ich schob es neben mir her. Es war besser für die Gesundheit aller Beteiligten, denn als Kühlerfigur würde ich mich an diesem Morgen nicht eignen. Es war mehr ein bemitleidenswerter Anblick, den ich bot und trotzdem schleppte ich mich tapfer zum Geburtstag meiner Großmutter, den ich vor lauter Arbeit und Nora vollkommen vergessen hatte.
Gus kündigte wie immer mit einem lauten Bellen mein Kommen an und ich stapfte durch den Vorgarten geradewegs zur Terrasse.
»Entschuldigung, ich hab...«

»Sag mal, bist du betrunken?!«, wurde ich sofort von meiner Mutter unterbrochen. Sie kam geradewegs auf mich zu. Sie sah wunderschön aus in ihrem Sommerkleid mit floralem Muster und ich hätte es ihr gesagt, wenn sie nicht direkt in den Angriffsmodus über gegangen wäre.

»Es könnte sein, dass ich gestern ein bisschen feiern war«, erklärte ich dann kleinlaut und versuchte, mich zusammen zu reißen, denn als ich auf der Terrasse zum stehen kam, bemerkte ich, dass ich zu schwanken begann. Ich war ein Fall fürs Bett, aber ganz sicher nicht für die nächste Party.
»Du warst feiern?! Du gehst nie feiern«, wieder drang die strafende Stimme meiner Mutter an mein Ohr und ich verzog aufgrund der Lautstärke mein Gesicht. Ihre Tonlage drang unangenehm an mein Ohr und mein Kopf dröhnte so, dass ich meine Augen zusammen kniff.
»Jetzt mecker doch das Kind nicht an, haste nicht gehört sie war feiern. Unsere kleine Lou war feiern, es geschehen also doch noch Zeichen und Wunder. Halleluja, danket dem Herren!«, rief meine Großmutter aus und die ersten ihrer Gäste blickten sie verwirrt an.
»Holt die Kristallgläser, packt den Champagner aus. Louisa war feiern!«, fügte meine Großmutter hinzu und tat beinahe so, als wäre mein Partyabend das achte Weltwunder.
Natürlich war ich schon öfter feiern, nur war ich dann nicht am Tag danach bei meinen Eltern, sondern lag in meinem Bett, unfähig mich zu bewegen, und bemitleidete ich mich selbst. Zugegeben, die letzte Party lag schon eine ganze Weile zurück, aber dennoch wusste ich, wie man feierte. Das Schlimme daran war nur, dass je älter ich wurde, umso länger brauchte ich, um mich von einer Party zu erholen. Und schon hatte man dank eines Partyfreitags ein versautes Wochenende und das war es mir nicht wert gewesen, jedenfalls nicht ständig, so wie Paul das ganze praktizierte. Ich konnte wetten, dass er jetzt schon wieder in den Startlöchern für die nächste Party stand und überlegte, was er an diesem Tag anstellen konnte.

Ich für meinen Teil versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie fertig ich in Wahrheit war. Das Buch, mit den Aufgaben die mir Nora gestellt hatte, war für den Moment aus meinem Gedächtnis verschwunden. Alles, was jetzt zählte, war den Tag zu überstehen und schnellstmöglich nachhause auf die Couch, oder besser noch, ins Bett zu kommen. Ich beugte mich zu meiner Großmutter und drückte sie. In den letzten Tagen hatte ich so viel um die Ohren, das ich Vergessen habe meiner Oma ein Geschenk zu kaufen. Kurzerhand entschied ich mich dazu, sie zum Frühstück in ihr Lieblingscafé einzuladen.
»Happy Birthday Nana«, hauchte ich ihr entgegen und umarmte sie ein weiteres Mal. Sie roch wie immer nach dieser perfekten Mischung aus Rose, Minze und Zitrone, ein Duft, der mich wieder einmal in meine Kindheit zurückversetzte und mich zur Ruhe kommen ließ.
»Danke Liebes. Aber um ehrlich zu sein, du riechst wie eine Schnapsbrennerei«, gab sie nach meinen Glückwünschen zurück und grinste mir frech entgegen. Einer ihrer guten Freunde, der früher einmal mein Mathelehrer war, verschluckte sich amüsiert an einem Schluck Wein. Genau dafür liebte ich meine Oma: gnadenlose Ehrlichkeit. Langsam richtete ich mich wieder auf und begann an mir zu riechen.

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