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Wieder und wieder las ich die Worte, die Nora vor ihrem Tod verfasst hatte. Sie hatte es erwähnt, dass sie mir Aufgaben stellen würde, doch nun hatte ich zum ersten Mal einen Blick in das Buch geworfen. Es klang durch und durch nach Nora, so wie ich sie kennengelernt hatte. Ich blätterte die Seiten um, ohne wirklich zu lesen, welche Aufgaben sie an mich gerichtet hatte. Als ich an den letzten Seiten angelangt war, erinnerte ich mich an ihre Worte.
Die letzten Seiten darfst du erst lesen, wenn du am Meer bist, hallte ihre Stimme in meiner Erinnerung nach und so blätterte ich nicht weiter, sondern schloss das Buch und ließ es auf meinem Schoß ruhen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich Paul so sang und klanglos hatte im Foyer stehen lassen und zog mein Handy aus der Tasche. Wie erwartet erschien eine Vielzahl an Nachrichten auf meinem Display, allesamt von Paul.


Hey, was ist los, wo bist du hin?? (14:15)

Lou, kannst du mir verraten, was los ist? (14:17)


Ich mache mir Sorgen, kannst du bitte antworten. (14:30)


Lou ernsthaft, wo bist du???? (14:31)


????(14:38)


Ich warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass zehn vor drei war und beschloss Paul anzurufen. Ich wollte nicht, dass sich Paul um mich sorgte, aber nachdem ich ihn so sang und klanglos stehen ließ, konnte ich es ihm nicht verübeln. Er hatte es mir vor ein paar Tagen klar gemacht, dass ich ihm Sorgen bereitete. Nun war Nora tot und alles, was ich wollte, war alleine sein. Für diesen Moment jedenfalls.
Es kam nicht mal ein Freizeichen, da nahm Paul das Gespräch schon an.
»Wo zum Geier steckst du?!«

»Ich bin am Mainufer, in der Nähe von unserem Café«, orientierte ich mich, nachdem ich mich kurz umgesehen hatte. Ich erkannte den Uferabschnitt und wusste, dass das Café keine fünfhundert Meter entfernt, zu meiner rechten lag.
»Kannst du mir mal verraten was los ist? Warum bist du einfach so abgehauen?«, wollte er wissen und ich wusste, ich war ihm eine Erklärung schuldig.
»Können wir uns treffen? Im Café vielleicht?«, schlug ich vor, denn das Ganze wollte ich nicht am Telefon besprechen. Nachhause wollte ich nicht, also war dieser Vorschlag eine gute Alternative.

»Okay ich komme«, stimmte er zu und legte auf. Das Buch verstaute ich wieder in der Tasche und stieg auf mein Fahrrad. Das Café war nicht mehr weit. Keine fünf Minuten später kam ich an unserem Treffpunkt an und Paul ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten.
»Na da bin ich ja mal gespannt«, kam fast strafend von ihm und er musterte mich von oben bis unten. Als er meine von Tränen geröteten Augen sah, fuhr er einen Gang zurück und wir suchten uns erst einmal einen freien Platz.
»Also, was ist passiert?«

»Nora, ist heute gestorben.«

»Das tut mir leid«, sagte er leise und griff nach meiner Hand.

»Und wie gehts dir jetzt?«, erkundigte er sich umgehend nach meinem Befinden und ich zuckte ratlos mit einer Schulter.
»Ich weiß nicht, es nimmt mich sehr mit«, war ich dann ehrlich zu ihm und er nickte seufzend, ließ aber meine Hand nicht los.

»Das dachte ich mir schon.«

»Es ist merkwürdig, vor ein paar Tagen war sie noch mit mir auf der Dachterrasse und hat Erdbeeren gegessen und jetzt- ist sie fort.«

»Aber es war eine Erlösung für sie. Nun muss sie nicht mehr leiden!«
»Ich weiß, sie ist nun frei und das ist es was sie wollte. Sie wollte, dass es vorbei ist.«, stimmte ich Paul zu..
»Kann ich irgendwas für dich tun? Irgendwas, damit es dir besser geht?«
Ich haderte mit mir, zögerte Paul, von dem Buch zu berichten, das mir Nora hinterlassen hatte. Ich führte mir selbst vor Augen, dass er mein bester Freund war. Vor langer Zeit hatten wir uns gegenseitig das Versprechen abgenommen, keine Geheimnisse voreinander zu haben. Schweigend zog ich das Buch aus meiner Tasche und legte es auf dem Tisch ab.
»Was ist das?«, fragte Paul verwirrt und betrachtete das Buch.
»Das Buch hat Nora geschrieben. Darin stellt sie mir Aufgaben, die ich lösen soll.«
»Aufgaben? Was für Aufgaben?«
»Ich habe keine Ahnung, aber ich musste ihr versprechen, dass ich sie erfülle.«

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