Kaum hatten wir Paris hinter uns gelassen, kamen wir nur schleppend voran. Die Ankunftszeit, die das Handy von Leo anzeigte, verschob sich immer weiter nach hinten und mittlerweile dauerte unsere Fahrt eine ganze halbe Stunde länger als geplant. Wir brauchten fast fünf Minuten nur um zwei Meter vorwärtszukommen.
Ich hatte die Sonnenbrille aufgesetzt und reckte meinen Kopf immer mal wieder zur Mitte der Fahrbahn, um etwas zu erkennen.
»Ich glaube, wir stehen mitten im Berufsverkehr«, suchte Leo die Erklärung für den stockenden Verkehr.»Ja, kann gut möglich sein. Aber wir haben es ja nicht eilig«, versuchte ich so entspannt wie möglich zu klingen und lehnte mich in meinem Sitz wieder zurück.
»Naja, doch wir haben es irgendwie schon eilig, denn wir wollen in den Park.«
»Ja, aber wir haben trotzdem noch den ganzen Tag Zeit«, blieb ich weiter entspannt und versuchte so etwas den Druck zu nehmen.
Innerlich begann ich über die vor mir liegende Achterbahnfahrt nachzudenken und vor allem dachte ich darüber nach, ob ich mich dieses Mal trauen würde.
Der Grund für den zähen Verkehr war eine Baustelle, die die sonst dreispurige Straße einspurig werden ließ. Als wir diesen Teil der Strecke hinter uns gelassen hatten, holten wir die Zeit wieder gut auf, jedoch ohne zu rasen.
Aus den Boxen sangen The Offspring- The kids aren't alright und im Anschluss gaben Queen ihre Bohemian Rhapsody zum Besten. Und wer dort nicht mit sang, bei dem war Hopfen und Malz verloren. Zunächst summte ich nur leise mit und als Leonard kurz zu mir herüber sah, stieg er voll im Intro mit ein und ich tat es ihm gleich. Gemeinsam schmetterten wir, trotzdem mehrstimmig, diesen Song und sangen sogar die Instrumente mit. Wir hatten großen Spaß und ernteten von vorbeifahrenden Autofahrern verwirrte Blicke, die uns amüsierten und zum Lachen brachten. »Ich glaube ich mag dich immer mehr« stellte ich dann fest und erntete einen fragenden Blick von Leo.
»Ist das so? Und warum wenn ich fragen darf?«
»Du hörst The Offspring und Queen, ich glaube ich mag dich«, das war für mich Erklärung genug. Ich mochte ihn, vielleicht sogar etwas zu sehr, dafür das ich ihn nur eine so kurze Zeit kannte.
»Ich fühle mich sehr geehrt, Lou aus Frankfurt, dass du mich magst. Wie kann man diese Musik nicht hören, aber ich mag auch andere Musik, die wohl eher in die Kategorie uncool oder Spießer fällt. Bei manchen jedenfalls«, entgegnete er und weckte wie so oft die Neugierde bei mir.»So und welche Musik lässt dich wie ein Spießer da stehen, Leo?«
»Klassik! Ich liebe klassische Musik. Bach, Strauss, Chopin, Mozart das sind die wahren Rockstars ihrer Zeit!«
»Du sorgst gerade dafür, dass ich dich nur noch mehr mag«, gab ich zurück und schenkte ihm ein Lächeln. Der Fahrtwind spielte mit meinem Haar und löste immer mehr Strähnen aus dem Zopf und hin und wieder musste ich mir ein paar der Strähnen aus dem Gesicht streichen.
»Also bin ich kein Spießer?«
»Nur weil du Klassik hörst? Wohlkaum! Ich verrate dir etwas. Ich höre es auch, naja das heißt, ich habe Klassik gehört«, sprach ich leise und hüllte mich im Anschluss in ein nachdenkliches Schweigen. Seit dem Tod meines Großvaters hatte ich nicht nur kein Klavier mehr gespielt, sondern auch keine klassische Musik mehr gehört. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen, denn alles wurde von dem Moment überschattet, als mein Großvater leblos im Sessel saß. Ich hatte seit diesem Tag, diesen Teil, der einst für mich die pure Leidenschaft war, aus meinem Leben verbannt.
»Du hast Klassik gehört? Warum jetzt nicht mehr? Ist es doch zu uncool?« Leo wollte die Situation wohl wieder auf seine humorvolle Art etwas auflockern, doch es gelang ihm nicht. Eines Tages würde ich darüber sprechen müssen, doch nicht jetzt.
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Lebe jetzt
RomanceLouisa ist mit Leib und Seele als Pflegefachkraft auf der Palliativstation einer Frankfurter Klinik tätig. Dort hat sie bereits einige Patienten auf ihrem Weg begleitet, doch Nora, eine Patientin die kaum älter ist, als sie selbst, stellt Louisas b...