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Leonard blickte wieder in die Ferne, doch irgendetwas schien an ihm zu nagen, und zwar mehr als nur die Pläne seines Vaters. Ich wusste nur nicht, was es war. Vielleicht würde er auch diese Gedanken irgendwann mit mir teilen, aber dieses irgendwann war nicht an diesem Tag. Auch wenn er nun einen Teil seines Lebens mit mir teilte, wusste ich noch längst nicht alles über ihn. Es war ein kleines Puzzleteil eines Riesen großen Ganzen, dass darauf warte zusammengesetzt zu werden.
»Ich kann nicht zurück Lou.«

»Dann geh nicht zurück!«

»Das sagst du so einfach«, gab er leise zurück und musste dennoch lächeln. Ein trauriges, verzweifeltes Lächeln.

»Naja, du bist immerhin schon mal nach Paris gereist um dir eine Auszeit zu nehmen. Nun sind wir in Brügge, was hindert dich daran deine Reise fortzusetzen und dann deinem Vater mitzuteilen, dass du deinen eigenen Weg gehen willst und die Firma nicht übernehmen wirst?«

In meinen Gedanken war es leicht, doch eines hatte ich bei der ganzen Sache nicht bedacht: Blut war dicker als Wasser. Und ich wusste, dass Leonard seine Familie und vor allem seinen Vater nicht enttäuschen wollte. Zu viele Erwartungen ruhten auf ihm. Und genau das sprach er dann auch aus.
»Ich kann nicht Lou, ich werde zurück müssen. Ich werde diese Firma übernehmen müssen und sie dann leiten. Ich kann sie nicht enttäuschen. Sie glauben schon mein ganzes Leben, dass ich nichts weiter als eine große Enttäuschung bin, diesen Triumph gönne ich ihnen nicht«, sprach er kämpferisch und sein eindringlicher Blick ruhte auf mir. Bohrend, stechend, intensiv.
»Und das heißt du verzichtest auf deine Träume?« Fragte ich vorsichtig und wich seinem Blick nicht aus.

»Weil mir keine andere Wahl bleibt«, klang er wieder etwas distanzierter und weniger emotional, wie es zuvor der Fall gewesen war.

Ich entgegnete nichts mehr, er schien seine Entscheidung getroffen zu haben. Er würde nach München zurückkehren. Was wurde dann aus uns? Gab es überhaupt ein uns? Ich stellte keine Fragen, sondern schwieg und behielt meine Gedanken und die daraus aufkeimenden Sorgen für mich. Ich empfand etwas für ihn, ob es schon Liebe war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt nicht, aber eines wusste ich mit Sicherheit, er war mir wichtig geworden. Bisher glaubte ich nie an die Liebe auf den ersten Blick, aber wenn ich an unsere erste Begegnung zurückdachte, dann spürte ich das uns etwas besonderes verband.
»Lou ich muss dir etwas sagen!«

Wieder richtete ich meinen Blick auf ihn und sah, wie er mit sich haderte. Er hatte mir etwas zu sagen? Was war es. Ich hielt die Spannung, die zwischen uns entstanden war kaum aus und mein Magen zog sich krampfhaft zusammen. Doch er rückte nicht mit der Sprache heraus.
»Ach, nicht so wichtig«, kam im nächsten Moment von ihm. Er griff meine Hand und drückte diese sachte.

»Lass uns weiter gehen«, hauchte er und ich folgte ihm. Einen klaren Gedanken konnte ich nicht fassen, denn innerlich begann ein Rätsel raten, was er mir sagen wollte. Die Unwissenheit schürte Angst und Unruhe. Wollte er mir insgeheim schon den Laufpass geben? Mir mitteilen, dass das zwischen uns nur ein kleines Abenteuer war, eine Urlaubsromanze und nichts weiter? Die Unsicherheit nagte an mir und ich wollte wissen, was es war, doch er sprach nicht weiter. Stattdessen liefen wir zu einem kleinen Kassenhäuschen am Rande einer Brücke.
»Lass uns die Bootstour machen.«

Er klang wieder, wie der Leo den ich kannte, und seine Nachdenklichkeit schien verschwunden zu sein. Ich konnte dennoch nicht vergessen, dass er mir etwas hatte mitteilen wollen. Dieses Nichtwissen verdarb mir langsam aber sicher den Tag.
»Ja, klar«, gab ich leise zurück und schon lief Leo zum Kassenhäuschen und kaufte zwei Tickets, während ich an den Stufen zum Steg wartete. Mit den Tickets in der Hand kam Leo wieder zu mir zurück und schenkte mir sein atemberaubendes Lächeln, dass diese kleinen Falten um seine Augen legte. Er wusste, wie er mich um den Finger wickelte.
»Bereit?«
Ich nickte stumm und doch kam ich nicht herum, ebenfalls zu lächeln. Es war ansteckend. Wir liefen die steinernen Stufen hinab, bis wir am Anleger angekommen waren und reihten uns bei den übrigen wartenden Gästen ein.

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