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Wir beendeten das Frühstück im Personalraum und ich begann meine Arbeit auf der Dachterrasse. Ich ließ Maggie einige Bilder zukommen. Ein Beweis, dass ich mich aufopfernd um ihre Pflanzen kümmerte.

Wie schön, sie leben, antwortete sie auf meine Nachricht und ich musste schmunzeln. Dass sie ausgerechnet mich dazu auserkoren hatte, die Pflanzen bis zu ihrer Rückkehr zu hüten, irritierte mich. Sie wusste, dass mein Daumen nicht grün war, aber Anni und Carmen hatten sich mit Händen und Füßen gegen die Gartenarbeit gewehrt. Ich fand, dass es eine schöne Abwechslung zum Stationsalltag war.

Ich pflückte die reifen Erdbeeren, als sich Nora zu mir gesellte.

»Darf ich ein Paar haben?«, wollte sie wissen und deutete auf die Schale mit den Erdbeeren neben mir.

»Natürlich«, antwortete ich und reichte ihr zwei Erdbeere, die in diesem Jahr saftig und süß schmeckten.

„Nur zwei?" Nora warf mir einen kritischen Blick zu.
»Na du hast doch gesagt ‚ein Paar'«, gab ich zwinkernd zurück und reichte ihr die Schale mit den süßen Früchten, um sie zu besänftigen. Mein Blick fiel auf ihr Notizbuch, das sie neben sich im Rollstuhl abgelegt hatte, dann widmete ich mich wieder den Erdbeeren.

»Und was hast du gestern gemacht?«

Ich spürte, wie sich Noras neugieriger Blick in meinen Nacken bohrte.

»Ich war mit Paul essen. Bei unserem Lieblingsitaliener«, berichtete ich von den vergangenen Abend und sah, wie sich Noras Blick aufhellte.

»Du hast nicht zuhause gechillt?!«

Mit prüfendem Blick sah sie mich an, als würde sie denken, ich hätte gelogen.
»Nein, wir waren essen und es war sehr, sehr lecker.«

»Was gab es denn?«, ihr prüfender Blick, ob ich die Wahrheit sagte, ruhte noch immer auf mir.

»Ich habe einen hervorragenden Chianti getrunken und dazu eine Pizza mit Schinken gegessen«, beantwortete ich ihr diese Frage. Über die Antwort musste ich nicht einmal nachdenken, sie kam recht schnell über meine Lippen.

»Das klingt wirklich gut. Oh man, was würde ich dafür geben noch mal essen zu gehen«, sprach sie diesen Wunsch aus und ich musterte sie eine Weile und überlegte hin und her.
»Du könntest dich beurlauben lassen und mit deinen Eltern etwas unternehmen«, schlug ich vor und wartete auf ihre Reaktion. Es kam oft vor, dass sich die Patienten beurlauben ließen, um ein Wochenende zuhause zu verbringen, oder um Ausflüge zu machen. Alles, was aber von Nora folgte, war ein Abwinken meiner Worte.

»Ich habe schon meine Eltern versucht zu überreden, dass wir was unternehmen. Aber mehr als Dachterrasse ist nicht drin. Ich glaube sie haben Angst, dass mir was passieren könnte. Aber mal im Ernst was soll schon passieren. Schlimmer kann ja wohl kaum werden, oder«, sprach sie mit einem traurigen Unterton und ich unterbrach meine Arbeit wieder.
»Ihr könntet euch auch etwas zum Essen hier her bestellen. Wir haben ein paar Flyer im Aufenthaltsraum«, schlug ich dann als Alternative vor, doch Nora schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht das Selbe. Ich bin seit Monaten in dieser Klinik. Einmal noch etwas anderes sehen, das wärs«, sprach sie wehmütig und ich konnte sie gut verstehen. Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich ebenfalls alles dafür geben, noch einmal etwas anderes sehen zu können, als eine Klinik. Vermutlich würde ich so lange betteln, bis mich meine Eltern nachhause holten.
»Wenn du dir etwas wünschen könntest, was du noch mal machen willst, was wäre es?« Stellte ich ihr die Frage etwas zögernd, da es schon recht persönlich war und sah, wie sie angestrengt nachdachte und abzuwägen schien. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie antwortete.
»Ich glaube, am Meer sitzen, zum Horizont blicken, den Wellen lauschen und mich erinnern, an all die schönen Momente die ich erleben durfte.«

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