Kapitel 8

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In der Halle wird mir so einiges klar. Die meisten Mädchen hatten Tanzen gewählt. In Volleyball sind es ungefähr gleich viele Mädchen wie Jungs. Und in Basketball sind 3 Mädchen und gefühlt 30 Jungs. Eigentlich beunruhigt mich das gar nicht so sehr. Was mich beunruhigt ist die riesige Turnhalle ohne Trennwände. Jeder konnte einfach alles sehen.
„Wir sehen uns später" Mia dreht sich um und läuft zum Volleyballfeld, während ich mit langsamen Schritten auf die Basketballspieler zu gehe. Ein paar Jungs schauen hin und wieder her, tauschen Blicke aus und spielen weiter.
Die drei Mädchen laufen auf mich zu. Die vordere hat blondes zusammengebundenes Haar und eine viel zu große rechteckige Brille auf ihrer kleinen Nase, doch auf einer seltsamen Art und Weise steht es ihr. Das rechte Mädchen ist etwas stämmiger als die anderen beiden und hat braune kurze Haare. Die linke ist ein Kopf größer als wir und hat lange schwarze Haare zusammengebunden in zwei Zöpfen.
„Hey! Ich bin Jessi", stellt sich die vordere vor, „das ist Sandi" sie zeigt auf die rechte, „und das ist April", fügt sie noch hinzu und zeigt auf das große Mädchen.
April strahlt mich an, während Sandi eher genervt mich anschaut.
„Schön euch kennenzulernen. Ich bin Ky-"
„Kylie!", unterbricht mich eine überraschte Stimme. Ich schaue an den Mädchen vorbei und sehe wie Jake auf mich zu läuft.
„Du? Hier? Hast du dich verlaufen?", fragt er
„Nein, leider nicht."
Ich lacht kurz. Auch ich schenke ihm ein Lächeln.
„Okay Ladies.", schreit eine laute Stimme. Sie gehört einem älteren Mann, wahrscheinlich der Sportlehrer. Er wirft einen kurzen Blick auf sein Klemmbrett und schreit: „Aufwärmen!". Danach nimmt er einen Schluck aus seiner Tasse und setzt sich wieder hin. Er scheint mir nicht sehr motiviert.
„Komm mit.", sagt Jake und greift mein Handgelenk. Ich gehe hinter ihm. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Es fühlt sich an als würde es pochen an der Stelle, an der er mich berührt. Ob er das auch fühlt?
„Sir", sagt er und bleibt vor dem Lehrer stehen.
Der Mann schaut von seiner Tasse auf. Erst wirft er einen Blick auf mich, dann auf Jake und dann wieder auf mich. Kein Wort.
„Ehm.. ich bin Kylie"
Immer noch starrt er nur mich an.
„Ich bin neu auf der Schule.", füge ich noch hinzu.
Er bewegt sich immer noch nicht. Kein Zucken oder Blinzeln. Als wäre er eingefroren. Was die Situation sehr unangenehm macht.
„Sir..?", zögere ich.
Schließlich legt er seine Tasse beiseite und steht auf „Begrüßt eure neue Kameradin : Miley", schreit er lauthals durch die Halle.
„Kylie*", verbessere ich ihn auch wenn mir das alles jetzt schon unangenehm ist.
„Miley gefällt mir besser", sagt er schroff und setzt sich wieder.
Ich schaue verwirrt und verzweifelt zu Jake, der sich das Lachen kaum verkneifen kann.
„Na gut, M-i-l-e-y. Lass uns zusammen aufwärmen." , sagt er dann und wir gehen zu den anderen.
Während ich stehen bleibe und mich noch ein bisschen umschaue, geht Jake zur Garage und holt einen Basketball. In der Menge kann ich Ryan erkennen. Ich schaue kurz und mir fällt auf das er ein blaues Auge hat. Und sein Gesicht sieht allgemein ein wenig zugerichtet aus. Was da wohl passiert ist?
Noch ein Gesicht kommt mir in der Menge bekannt vor. Zac. Er trägt ein Tanktop, wodurch man seine Muskeln sehen kann. Ich wette die Mädchen hatten dafür gesorgt, dass es keine Trennwände gibt nur um ihn zu sehen. Ich muss grinsen und genau in diesem Augenblick schaut er auch zu mir. Schnell widme ich meinen Blick wieder Jake. Er schaut mich gespannt an und läuft geradewegs auf mich zu.
„Es ist ganz leicht." Er gibt mir den Ball, „wenn du werfen willst, musst du ein bisschen in die Knie... etwa so.", zeigt er mir vor.
Ich fange an zulachen. Nicht nur, weil er denkt, ich wüsste nichts darüber. Auch weil es süß von ihm ist, dass er versucht, es mir beizubringen.
„Du bist echt süß, aber ich weiß wie das geht."
Er schaut mich überrascht an. Plötzlich nimmt er eine ernste Miene an.
„Was ist da passiert?" Er zeigt auf meine Wunde an meiner Lippe, die eigentlich schon fast verheilt ist.
„Nichts.", sage ich und schaue zu Boden.
„Werfen!", schreit der Lehrer.
Jake bleibt noch kurz stehen und schaut mich wieder so an als würde er meine Gedankenlesen. Ob er es mitbekommen hat, was im Bus passiert ist. Aber dann würde er mich doch nicht fragen? Oder möchte er es von mir hören?
„Na gut. Dann kannst du mir ja jetzt zeigen, was du draufhast, Miley."
Während er das Miley betont, zieht er eine Augenbraue nach oben. Er macht ihn noch attraktiver. Er lächelt. Dieses Gesicht.
Wir gehen beide zu der Reihe, die sich vor dem Korb gebildet hat. Er macht Platz und ich stelle mich vor ihn in die Reihe. Wir sind weiter hinten, jedoch geht es ziemlich schnell voran.
April ist die erste gewesen, die es nicht geschafft hat, den Korb zu treffen. Was passiert, wenn ich nicht treffe? Lachen mich dann alle aus?
Ich habe schon lange nicht mehr gespielt. Seit er tot ist. Es fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Wieso hatte ich mich nochmal hier für eingetragen?
Zac ist jetzt dran. Er wirft. Er trifft. Für einen kurzen Moment schaut er nach hinten und zwinkert mir zu. Ich schlucke. War das wirklich an mich?
„Kennst du ihn?", fragt Jake leise.
„Nicht wirklich.", antworte ich ehrlich , jedoch sind meine Augen auf die Spieler vor mir gerichtet.
Vier Personen stehen noch vor mir. Ich spüre wie meine Hände langsam an dem Ball abrutschen. Unauffällig, versuche ich meine Hände an meinem Oberteil abzuputzen.
Drei. Es ist so viel mehr als nur den Korb treffen. Das letzte Mal als ich geworfen habe, geschweige denn, einen Ball in der Hand hatte, lebte er noch. Ich vermisse ihn.
Zwei. Meine Knie fangen an zu zittern. Es fühlt sich an, als würde mein Körper bewegungsunfähig werden.
Einer. Mein Herz pocht. Wieso bin ich so nervös. Ich habe das schon tausendmal gemacht und doch bin ich wie erstarrt. Übertreibe ich? Nein. Er hatte mir Basketball beigebracht. Er war mein Coach. Er war mein Dad.
„Zeig, was du kannst.", flüstert mir Jake in mein Ohr und berührt kurz meine Schulter.
Ich gehe leicht in die Knie und werfe. Getroffen! Das fühlt sich verdammt gut an.
„Nicht schlecht", gibt er zu.
Ich gehe auf die Seite, während er wirft. Getroffen.
Ich hatte so viel Angst, den Korb nicht zu treffen. Dabei geht es aber gar nicht um den Korb. Ich hatte so viel Angst davor, ihn nochmal zu verlieren. Dabei habe ich ihn schon lange verloren. Doch das war unser Ding. Ich dachte ich könnte das nie wieder. Aber es fühlt sich so gut an. Vielleicht kann ich so mit diesem Kapitel abschließen. Ihn in Ehren halten.

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