Kapitel 6

13 5 0
                                    

Während ich auf dem Weg zur Toilette bin, schaue ich auf meine Hand. Der Verband ist durchblutet. Aber es hatte doch gut geheilt? Vielleicht durch das stolpern im Bus? Ich habe es wahrscheinlich zu viel belastet.
Ich bin so konzentriert auf meine Wunde, dass ich nur leise zwei Mädchen flüstern höre, die mir entgegen kommen.
„Das ist die. Die hat total an ihm gehangen."
Sie laufen weiter und ich bleibe stehen. Meinen sie Jake? Ich kann mich an die blonde erinnern. Sie saß auch im Bus, neben der, die mir ein Bein gestellt hat. Jake muss wirklich beliebt sein. Ich atme tief durch. Was mach ich hier eigentlich.. Ich dachte dieses Mal wird alles anders. Und doch bin ich schon wieder in Drama verwickelt.

Ich mache den Verband auf. So viel Blut. Ich nehme ein paar Tücher aus dem Papiertuchspender und versuche es abzutupfen. Als ich meine Hand unter dem Wasserhahn halte und das eiskalte Wasser laufen lasse fühlt sich das gut an. Ich bleibe einige Momente stehen und genieße die Kälte. Wie soll ich es jetzt wieder verbinden? Es ist voller Blut. Ich schaue mich um und sehe einen Erstehilfekasten. Perfekt. Ich nehme mir Verbandszeug raus und wickle es um meine Hand.
Plötzlich ertönt eine Spülung und Mia kommt aus der Kabine um ihre Hände zu waschen. Ich hab sie gar nicht reinkommen sehen. Geschweige irgendwas gehört.
„Ich glaube ich weiß jetzt, was ich zeichne." Ich verbinde weiter, „Halb Mensch, halb Baum."
Erschrocken blickt sie auf. Für ein paar Sekunden schaut sie mir tief in die Augen. Ohne was zu sagen, verschwindet sie.
Es hat sich nicht wie Mia angefühlt. Aber.. sie sieht aus wie sie. Ich hatte recht mit den zwei Gesichtern.

„Und? Alles in Ordnung?", fragt Mia als ich mich zurück neben sie setze.
„Ja" Sollte ich sie fragen warum sie rausgestürmt ist? Ob ihr die Idee nicht gefallen hat?
„Was ist da überhaupt passiert?" Sie zeigt auf meine Hand.
Ist das ein Spiel für sie? Ich bin so verwirrt. Doch gleichzeitig möchte ich nicht nachfragen. Die Angst davor sie ganz zu verlieren, ist zu groß. Ich mag sie. Ich habe das Gefühl wir werden gute Freunde. Und solche hatte ich nie sehr viele.
„Kylie? Alles okay? Geht es dir nicht gut?" Sie fasst mich an die Schulter.
„Ja.. also Nein. Mir geht es gut. Ich hatte mich nur am Herd verbrannt. Der ist anders als unter alter Herd."
„Oh! Hört sich aber schmerzhaft an."
Sie scheint mir zu glauben. Ich schenke ihr ein Lächeln. Die restliche Zeit konzentrieren wir uns beide auf unsere Zeichnungen. In meinem Kopf geht zu viel vor um richtig zu malen. Sobald es klingelt, steht sie auf und sagt: „Ich muss los, wir sehen uns noch." Sie lächelt und verschwindet aus dem Klassenzimmer. Ich bleibe noch kurz sitzen.

Ich komme gerade noch rechtzeitig zum Englischunterricht. Englisch habe ich wieder bei Mr. Eneris. Und so wie in Mathe, sitzt Mia hinten und würdigt mich keines Blickes.
Die zwei Stunden gehen schnell vorbei, so wie der restliche Tag. Jake ist immer noch nicht aufgetaucht. Ist es merkwürdig, dass ich mir um ihn Sorgen mache? Ich hatte ihn heute Morgen gesehen. Oder?
Ein Junge läuft mit schnellen Schritten an mir vorbei. Ich schaue ihn an. Er kommt mir bekannt vor! Der Junge vom Bus. Wie war sein Name nochmal...?
„Ryan! Warte mal!", schreie ich ihm hinterher.
„Hast du es dir jetzt doch überlegt?", lacht er.
„Eigentlich wollte ich nur wissen, wo Jake ist."
„Autsch!" Er tut so als hätte eine Kugel sein Herz getroffen.
Ich starre ihn an, worauf er sagt: „Okay. Okay. Ich habe keine Ahnung wo er ist. Er ist heute nicht zur Schule gekommen."
Also war es wirklich Einbildung? Mein Kopf muss ihn ja echt mögen, wenn ich ihn mir schon vorstelle.
„Weißt du wieso?"
„Sehe ich so aus als wurde ich alles wissen?"
„Ist das eine Fangfrage?"
„Verdammt.", lacht er , „Du bist noch heißer, wenn du so gemein bist. Hast du heute Abend was vor?"
Ich schüttle lachend den Kopf und gehe an ihm vorbei.
„Ich weiß nur, dass er heute nicht hier ist und er sich auch nicht abgemeldet hat.", schreit mir Ryan hinterher.
„Danke.", sage ich und laufe zum Bus. Einen kurzen Blick werfe ich zurück und sehe, wie Ryan mir zuzwinkert. Ich drehe mich schnell wieder um und steige in den Bus.

„Alles okay, Schatz?"
Mom schaut von ihrem Laptop auf. Ich bin es langsam satt, diese Frage zu beantworten.
„Jaja, alles gut."
Auch wenn ich nicht sehr überzeugend bin, ist sie still. Ich laufe die Treppen hoch und verschwinde im Bad. Als ich meinen Verband auf mache bin ich erstaunt. Kein Blut und die Narbe scheint gut verheilt zu sein. Wie kann das sein? Vor wenigen Stunden hat es noch geblutet wie verrückt und jetzt nichts. Nur eine Narbe , die aussieht als wäre sie Wochen alt. Ich hab dafür jetzt echt keine Nerven mehr. Wieso ist alles so... so...außer sich?

Meine Zimmertüre ist halb offen. Hatte ich sie heute Morgen offen lassen? Ich traue meinen Augen nicht als ich die Türe aufmache.
„Was zum Teufel ist hier passiert?"
Es herrscht Chaos. Als hätte jemand alles auf den Kopf gestellt, um etwas zu suchen. Aber wer würde...
„LEXA!"
Ich stampfe wütend in ihr Zimmer und knalle die Türe auf. Sie sitzt auf ihrem Bett und liest.
„Was hast du verdammt nochmal in meinem Zimmer gemacht?", schreie ich sie an.
Sie schaut erschrocken und mein Blick fällt auf ihre rechte Hand, in der sich der Glasbaum befindet, den mir Mom damals mit 12 schenkte. Sie sagt nichts.
„Das ist mein Zimmer. Wie oft muss das noch passieren bist du es verstehst? Das geht mir so auf die Nerven!" Ich werde leiser.. ihr Blick wandelt sich zu ihrem berühmten „Ich hab nichts gemacht. Ich bin nur ein kleines Mädchen"-Blick. Oh wie gut ich diesen kenne. Die Augen werden größer, ein Schmollmund bildet sich und ihre Hände spielen miteinander. Dieser Blick hat mir schon mehr Ärger eingebracht als ich zählen kann.
„Ich hab nichts angefasst. Ich schwöre", sagt sie in einer zuckersüßen unschuldigen Stimme. Ihr Blick wandert hin und her zwischen mir und der Türe. Sie wartet auf Mom. Und wenn Mom kommt nimmt sie Lexa sicherlich wieder in Schutz. Wie immer...
„Was ist dann das in deiner Hand?", frage ich.
„Ich wollte nichts klauen. Tut mir leid. Aber ich muss ihn haben!"
„Was ist passiert?" Mom steht an der Türe
„Sie war schon wieder in meinem Zimmer und hat Sachen geklaut."
„Nein! Ich habe nur eine Sache genommen, sonst habe ich nichts angefasst"
„NICHTS ANGEFASST? Hast du mein Zimmer gesehen? Es sieht aus wie ein Schlachtfeld." Ich sollte nichts mehr sagen. Sie fängt schon fast an zu weinen. Auch wenn ich das eigentliche Opfer hier bin. Aber gleichzeitig mag ich sie irgendwie, deswegen will ich sie nicht weinen sehen. Am Ende ist sie meine Schwester.
Mom setzt sich neben Lexa: „Entschuldige dich, Lexa. Wir hatten schon mal darüber gesprochen."
„Entschuldigung.", sagt sie und reicht mir dann den Glasbaum.
„Vergiss es einfach.", sage ich und gehe aus dem Zimmer. Die Türe knalle ich hinter mir zu. Jedoch bleibe ich stehen um zu hören was jetzt passiert. Ich weiß es. Aber ich muss es hören.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie sauer Mom und Dad auf mich waren, als ich angefangen habe zu stehlen. Doch das war Gruppenzwang.. Lexa nimmt Dinge von alleine.
„Wieso hast du das gemacht? Du weißt das Kylie es nicht mag, wenn man Dinge von ihr nimmt. Das mag niemand, Lexa."
„Ich hatte wieder..."
Ich gehe näher an die Türe um Lexa besser zu hören.
„die Frau in weiß", sagt sie leise. Mehr sagt sie nicht.
Die Frau in Weiß? Was soll das sein? Oder besser wer soll das sein? Ich lege mein Ohr gegen die Türe, doch höre nichts mehr.
Wieso schimpft Mom nicht. Als ich etwas genommen habe wegen einem anderen Mädchen hatte sie mich angeschrien und meinte man muss nicht das machen, was andere machen.

Ich muss hier raus.

Heartbeat - The other sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt