15. ...angeknackst

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„Das war keine meiner Glanzleistungen", im Gegenteil. Diese Nacht gehört zu dem Schlimmsten Dingen, die ich je erlebt habe. Das mag ja seltsam klingen, aber so ist es. In dieser Nacht hatte ich es so richtig verbockt.

Du warst ein Kind.

„Na und? Ich wusste, dass ich etwas Unrechtes tue." Warum wohl habe ich mich heimlich nach unten geschlichen. Und warum nur holt Irma diese Geschichte hervor! Ich meine, ich WEIß ja, dass das Mist war...

Sieh noch mal genauer hin.

„Nein."

Du selbst hast dir diese Erfahrung herbeigerufen.

Es ist schwer, das zu akzeptieren, wenn man daran immer wieder zu kauen hatte. Ja ok, ich bin ein Sensibelchen, was das angeht. Andere Jungs hätten das einfach abgeschüttelt und behauptet, sie wüssten von nichts. Oder dass es jemand anderes gewesen ist. Aber... ich konnte das nicht. Der Gedanke, dass meine Mutter enttäuscht von mir ist, der hat mich fertig gemacht – ich war erst elf Jahre alt! Und dann war da noch Steffi. Meine kleine unschuldige, nervtötende Schwester...

„Weißt du, es wäre vielleicht gar nicht so schlimm gewesen, wenn ich meiner Mutter nach dieser Nacht gestanden hätte, dass ich es war. Sie wusste ja nicht, welcher von uns beiden das Geld immer wieder genommen hat..."

Eine Welle durchspült mein Bewusstsein, mein ganzes Wesen. Es ist... Wissen – nein, eine Erkenntnis – woher kommt das auf einmal? „Oh. Sie wusste, dass ich es war..."

Ja, das wusste sie.

„Aber... das bedeutet..."

Sie hat dir die Gelegenheit gegeben, es zu beichten.

Und ich habe sie nicht ergriffen. Oh man, ich war so ein Idiot. Wochenlang tat ich so, als sei nichts gewesen und bin dabei innerlich immer kleiner geworden. Sie hat mich geküsst und gekuschelt – ebenfalls als sei nichts gewesen. Wie hat sie das nur tun können, sie muss doch wahnsinnig enttäuscht gewesen sein. Wenn nicht gar abgestoßen... angewidert...

Du warst ein Kind. Ihr Kind. Sie liebte dich trotzdem.

Irgendwann – das ließ sich blöderweise nicht verhindert – war es dann Heiligabend. An diesem Tag bin ich schon mit einem langen Gesicht aufgestanden. Nicht so Steffi. Sie hüpfte den ganzen Tag herum, sang ihre lustigen Weihnachtslieder und sagte immer wieder die Liste mit ihren Wünschen auf. Es war nicht mal etwas Unverschämtes dabei, Mädchenkram – aber Steffi war immer recht genügsam.

Nur ich allein wusste von uns beiden, dass sie nichts davon bekommen würde. Obwohl sie es mehr als verdient hatte. Ich selbst hatte mir ein Fahrrad gewünscht. Ganz und gar nicht bescheiden.

„Nach dem Abendessen rief Steffi plötzlich Bescherung! und rannte ins Wohnzimmer, wo sonst die bunten Pakete unterm Baum lagen. Ehrlich, ich dachte, ich geh kaputt! Aber dann...

...lagen da tatsächlich lauter Geschenke und sie fing an, wie wild ihre Päckchen auszupacken und zu kreischen, weil sie sich einfach so wahnsinnig freute. Für mich stand da ein einziges, riesiges, vollkommen schiefes Paket mit meinem Namen darauf. Ehrlich, mein Verstand war wie ausgeblasen, als ich es auspackte. Ich habe mit allem gerechnet, mit irgendeinem grausamen Scherz oder ... einem Haufen Dreckwäsche – was weiß ich...

Doch es war mein Fahrrad.

Sie schenkte mir das Fahrrad, das ich mir gewünscht hatte.

Ich glaube, ich habe vorher noch nie im Leben so geheult, wie in diesem Moment. Statt mich zu freuen uns zu kreischen wie Steffi, fing ich an zu flennen und warf mich meiner Mutter in die Arme. Ich wollte ihr alles sagen und sie um Verzeihung bitten – all die Wochen voller Schuldgefühle und schlechtem Gewissen, das brach alles auf einmal aus mir heraus. Aber ich konnte es nicht sagen, weil ich Rotz und Wasser heulte.

Und sie ... hat mich einfach festgehalten, als sei sie mein Anker. Und das war sie auch!"

Was geschah in diesem Moment?

„Vergebung."

Irma lächelt ihr wärmstes Lächeln.

Aber?

SeelenwegeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt