26. Rückschau (ne Paranuss)

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Dieses Spieleabend-Ding war natürlich Hennys Idee; und natürlich rollte die gesamte Sippe zuerst einmal mit den Augen. Doch wie das manchmal so läuft – ab dem dritten Mal ist es plötzlich Tradition. So trafen sie sich regelmäßig, meistens einmal im Monat. Dann klopften sie hauptsächlich Karten, was irgendwann in Trinkspiele ausartete. Manchmal brachte aber auch jemand ein neues Spiel mit, das sie dann gemeinsam für sich entdeckten.

Und manchmal – genauer gesagt nur einmal, aber es war das eine Mal, auf das es ankam – brachte jemand jemanden mit.

„Hey Leute, darf ich euch Biene vorstellen? Hab sie an der Uni aufgegabelt."

„Hey...", hauchte die Fremde etwas überwältigt. „Kann ich mich bei euch mit Flips einkaufen?"

Das eine Mal, auf das es ankam. Henny schleppte Bianca an und fortan waren sie zu fünft. Olli, Henriette, Jens, seine Schwester Jana und Bianca. Es war perfekt, als wäre ein oft genutztes Scharnier plötzlich frisch geölt. Und wenn Olliver sich bisher nicht sicher war, ob er Interesse an der Schwester seines besten Freundes hatte, so stellte sich diese Frage bald nicht mehr.

Die Stimmung zwischen den Freunden veränderte sich; nur etwas; nur langsam. Doch bald schon war allen klar, wie es um den jungen Mann stand. Allen, bis auf Bianca. Sie lebte fest in einer Beziehung, wodurch sie Augen und Ohren verschloss.

Trotzdem vertiefte sich die Freundschaft der Fünf. Wann immer Olliver es einrichten konnte, nahm er sich Zeit für Bianca; hörte sich ihre Träume und Pläne an; teilte ihre Sorgen. Und sie nahm es in Anspruch wann immer sich die Gelegenheit bot.

Als sie ihm von der Malerei vorschwärmte, wollte er unbedingt ihre Bilder sehen; und fand sie großartig. Düster, aber beeindruckend. Er machte ihr Mut, sich bereits neben dem Kunststudium eine Existenz aufzubauen; entwarf ihr eine Website; stärkte ihr den Rücken – und beobachtete dabei zunehmend besorgt ihre oftmals traurige Miene, die geröteten und gehetzt wirkenden Augen.

Eines kalten Wintertages – sie standen beide an das Geländer einer Fußgängerbrücke gelehnt und beobachteten den langsamen Fluss des Wassers – entschuldigte sich Bianca plötzlich dafür, ihn so sehr in Beschlag genommen zu haben; und brach in Tränen aus. Es war das erste Mal, dass er sich traute, sie einfach in die Arme zu schließen. Es war der Tag, an dem er herausfand, dass ihre Haare duften wie der Sommer; und wie sehr er sich verliebt hatte.


Langsam tauche ich aus der Erinnerung hervor und bin noch ganz berauscht von diesem Gefühl, Biene das erste Mal an mich zu drücken, nachdem ich lange nur davon geträumt hatte. Sie weinen zu sehen und zu spüren, wie es sie unter meinen Händen durchschüttelte, war fast mehr als ich aushalten konnte. „In diesem Moment war ich sowas von verloren."

Sie und ihr Freund hatten sich getrennt, soviel konnte ich zumindest aus ihr herausbekommen. Da sie sonst nicht viel erzählen wollte, tat ich einfach das, was ich immer in solchen Situationen tue und bot ihr meine Couch an.

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass sie mein Angebot annimmt."

Du warst ihr bereits zu einer Quelle geworden, aus der sie Kraft geschöpft hat. Genug Kraft, um eine Beziehung zu beenden, die genau das Gegenteil gewesen ist.

„Ein Energieräuber, ich weiß. Aber das konnte ich damals nur ahnen."

Nein. Du wusstest es, auch ohne dass sie es in Worte gefasst hätte.

Hmm, ja vielleicht. Doch. Eigentlich... stimmt es. Der Vergleich mit einem Radar drängt sich mir auf; als sei sie ständig auf Sendung und ich auf Empfang gewesen. Ich wusste oder ahnte vieles, worüber sie mir erst sehr viel später berichtet hat. Manchmal war es erschreckend, wie gut ich Biene zu kennen schien.

Wir wissen sehr viel mehr über den Menschen gegenüber, als wir uns eingestehen möchten. Denn wir sind eins, unsere Energien sind alle miteinander verbunden. Die Menschen nennen es Bauchgefühl. Oder emotionale Intelligenz.

„Oder Seelenverwandtschaft."

Wir wissen. Auch, wenn wir uns dem Gegenüber nicht nahe fühlen. Oder unser Wissen zu ignorieren versuchen. Hast du schon einmal einen Menschen sagen hören: Hätte ich doch nur auf mein Bauchgefühl gehört...?

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