40. Nüsse sind aus

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Ich folge Biene durch die Stadt. Oder besser gesagt – ich klebe an ihr. Da sind keine Füße mehr unter mir, die mich tragen. Doch es ist schnell klar, wie das hier funktioniert. Wenn ich mein Bewusstsein ganz auf jemanden oder etwas ausrichte, führt es mich direkt dorthin. Und keine Kraft der Welt hätte mich nun von Biene fort bekommen.

Nicht in ihrem Zustand.

Sie spricht nicht mehr, was wohl daran liegt, dass wir unter Leuten sind. Aber ihre Gedanken drücken sich wie mächtige Wellen durch mein Bewusstsein. Inzwischen kann ich sie direkt hören. Auch jene Gedanken, die sie mit aller Macht zur Seite zu schieben versucht. Und genau die sind der Grund, dass ich keinesfalls von ihr ablassen werde.

Ein Radfahrer schneidet uns. Doch Biene bemerkt es kaum. Sie blickt starr geradeaus; ist gefangen in ihrer Gedankenmühle. Und ich fühle mich wie ein Zuschauer in einem Theaterstück.

Ich muss noch einkaufen – hab's meinen Eltern versprochen.

Ich sollte Blumen mitbringen, weil ich nun schon so lange auf ihrer Couch schlafe.

Ich muss die neuen Bilder fotografieren und auf die Website hochladen.

                                           Wann hört der Schmerz auf, mein Herz zu zerquetschen?

Ich hasse die Stadt. Sie sind so blind und rennen durchs Leben.

Ich muss mir bald eine eigene Wohnung suchen, das geht ja nicht ewig so weiter.

                                           Mir geht das Grün aus.

Ich bin eine von Vielen. Werde ich je meine Bilder verkaufen?

Ich bin so allein. Allein unter Millionen.

                                           Ich vergesse zu atmen.

Ich frage mich, ob es Krebs war. Ob seine Mutter es mir verraten würde?

                                           Ich bin niemand, die verlassene Ex. Er wollte mich nicht.

Ich muss da irgendwie durch. Mit etwas Zeit. Schlafen will ich.

                                           So müde wie nie.

Ich... Olli, wo steckst du nur? Wieso spüre ich dich nicht?

                                           Weil du mich schon verlassen hattest. Wieso zurückschauen?

Mich verlassen... musstest du so weit weg von mir, wie es nur irgendwie geht?

                                            Habe ich dein Herz gebrochen?

Ich habe es nicht verdient, dich zu spüren.

Ich habe dich nicht in Ruhe gelassen. Diese Zeit war hart für dich.

                                            War sie zu hart? Bist du geflüchtet? Gott, ich...

Sag mir doch, dass ...

                                            ...ich bin schuld

                                            ...ich habe dich aus dem Leben vertrieben

                                            ...ich hätte deine Entscheidung respektieren sollen

                                            ...diese Last, diese Fragen

                                            ...sie machen mir Angst

                                            ...alles im Leben kommt zu uns zurück.

                                            ...aber war ich so ein schlechter Mensch?

Tränen stürzen an ihren blassen Wangen herab. Die Leute gucken zwar, doch sie bleibt für sich. Allein unter Millionen, nur mit einem Geist an ihrer Seite.

Was würde ich dafür geben! Alles, wirklich alles, was ich jetzt noch will – ist ihr klarzumachen, dass sie auf einem völlig falschen Dampfer ist. Sie soll wissen, dass sie alles für mich ist. Sie soll wissen, dass mein Herz für immer ihr gehört. Die erste Nuss, die sich nicht knacken lässt...

SeelenwegeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt