Kapitel 2

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Schule der Normalen klingt echt komisch, aber Onaria gesamt betrachtet ist auch gewöhnungsbedürftig.
Man unterschiedet bei uns die 'Reichen', die 'Normalen' und die 'Armen'.
Ich gehöre mit Renée, Lukas und allen anderen an unserer Schule zu den 'Reichen'.
Wir werden so genannt, weil unsere Eltern eine Menge Geld haben. Außerdem sind wir der höchst angesehene Teil der Bevölkerung.
Naja, so sollte es eigentlich sein, aber das ganze ist nicht mehr so strikt, was allen glaube ich besser gefällt.
Viele der 'Normalen' können uns trotzdem nicht leiden und jetzt sollen wir an dieser Schule unsere Strafarbeit erledigen?
Ich bin so in Gedanken vertieft, dass Renée mich am Arm packt und aus unserer Schule zieht.
"Also wir können das jetzt ganz schnell hinter uns bringen, oder wir stehen den ganzen Tag verträumt rum und starren den Hausmeister an. Und mal ganz neben bei: So attraktiv ist der nun auch nicht, dass er diese Starrerei verdient hätte.", sagt sie und zieht mich in Richtung der Schule der 'Normalen'.
Ich nicke, dann lässt sie langsam meinen Arm los.
"Wir müssen heute den Hof sauber machen.", erklärt mir Renée. "Hoffentlich haben die schon längst aus."
"Ja hoffentlich."
Ich habe ehrlich gesagt auch nicht so viel Lust denen zu begegnen.

Ehe ich mich versehen habe, stehen wir vor einer riesigen Schule.
"Du weißt, dass ich das hasse.", sage ich zu Renée.
"Ich werde doch noch meine Gabe benutzen dürfen.", sagt diese und macht die Tür auf.
Renée hat die Gabe sich innerhalb von einer Sekunde von einem Ort zum anderen zu zaubern, auch Teleportation genannt.

Ich weiß noch nicht, welche Gabe ich besitze, was für mein Alter schon merkwürdig ist. Während die Lehrer deswegen rätseln, bin ich froh, dass mir der Extraunterricht zum Trainieren der Gabe erspart bleibt. Jeder in meiner Klasse hat seine Gabe schon, meistens sogar schon seit mehreren Jahren und ich habe noch nicht mal Anzeichen für eine Gabe.

Ein Klingeln reißt mich aus den Gedanken und weil sich das so anhört wie unser Amokalarm, pressen Renée und ich uns an die Wand.
Doch Sekunden später füllen sich die Gänge mit Schülern.
Ich stelle mich normal hin und atme einmal tief ein, als ich auf einen Lehrer zugehe.
"Entschuldigung?", frage ich ihn und ernte einen verwirrten Blick. "Meine Freundin und ich helfen unserem Hausmeister und müssen deshalb den Hof sauber machen. Können Sie uns zeigen, wo wir Werkzeug dafür bekommen?"
Er nickt und gibt uns mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass wir ihm folgen sollen.
Wenig später stehen Renée und ich alleine in einem mit Werkzeugen überfüllten Raum.

"Hast du eine Ahnung, was wofür ist?", fragt Renée mich, deutet angewidert auf die verschiedensten Foltermethoden für Schüler wie meine beste Freundin und mich.
Ich schüttele den Kopf und schnappe mir eine riesige Gabel.
"Aber die Gabel benutzt unser Hausmeister immer, um die Blätter zusammen zu kehren.", sage ich und betrachte das komische Ding.
"Gut." Renée zieht Handschuhe an. "Ich leere die Mülleimer."
"Und wohin sollen dann die Blätter oder der Müll?"
Renée schaut mich an und überlegt.
"Ins Gebäude?"
"Aber wir haben das Zeug doch auch nicht im Gebäude.", sage ich und bin mir sicher, dass Renées Idee falsch ist.
"Mir doch egal.", sagt Renée und verlässt den Raum.
Ich suche den Raum nach einer anderen Lösung ab, doch nach ein paar Minuten bin ich auch für Renées Vorschlag.

Ich laufe aus dem Raum raus und direkt in einen Jungen rein.
Von seiner Wucht werde ich augenblicklich zurückgestoßen und falle auf den Boden.
Die komische Gabel steht noch, schwankt aber bedrohlich in meine Richtung.
Ich halte meine Hand schon schützend vor mein Gesicht und kneife die Augen zusammen, als der Junge nach der Gabel greift und sich entspannt auf sie stützt.
Seine grünen Augen, die strahlen wie eine Wiese in der Sonne, mustern mich einmal äußerst genau.
Ich spüre, wie sein Blick an mir runter und hoch gleitet, bis er mir tief in die Augen schaut.

"Reich.", stellt er fest und durchbohrt mich mit seinem Blick, sein Gesicht ohne jegliche Reaktion.
Schweigend starre ich einfach nur zurück und nicke leicht mit dem Kopf, auch wenn das unnötig ist.
Er beobachtet mich wie Ungeziefer und fragt sich wahrscheinlich, wieso ich diese Schule überhaupt betrete.
"Ich...muss dem Hausmeister unter die Arme greifen.", sage ich und zeige auf die Gabel, da er immer wieder von der Gabel zu mir schaut.
"Aha."
Mehr sagt er nicht.
Weil mir gerade auffällt, dass ich immer noch auf dem Boden sitze, stehe ich auf und ignoriere seine zur Hilfe dargebotene Hand.
Jetzt, wo ich ihm gegenüber stehe, merke ich, dass er einen ganzen Kopf größer ist als ich.
Daher muss ich meinen Kopf leicht in den Nacken legen, um ihm in die Augen schauen zu können.

So wie er mich immer noch anstarrt, bin ich mir nicht sicher, ob ich irgendetwas in meinem Gesicht habe.
Doch dann wendet er abrupt seinen Blick auf den Raum hinter mir.
"Na dann will ich dich nicht aufhalten", sagt er und hebt mir die Gabel hin.
Verwirrt greife ich nach ihr, während er sich abwendet.

"Warte!", sage ich und strecke meine Hand nach ihm aus.
Er dreht sich um, wobei ihm eine dunkelbraune Haarsträhne verrutscht und sich auf seiner Stirn plaziert, während mich die grünen Augen fragend anschauen.
"Wo kommt Müll hin?", frage ich ihn.
"In den Mülleimer?"
Sichtlich verwirrt durchbohren mich seine Augen.
Ich verdrehe die Augen, wegen meiner so blöd gestellten Frage.
"Nein. Ich meine den Müll aus dem Mülleimer. Wo kommt der hin?"

Er grinst und entblößt eine Reihe von perlweißen, perfekten Zähnen.
"In die große Mülltonne. Die steht gleich links, wenn du rauskommst. Du kannst sie nicht übersehen."
Seine Augen gleiten kritisch über mich, als wöllte er damit sagen: "Naja, du schon."
"Danke", sage ich lächelnd und laufe an ihm vorbei zum Ausgang, ohne ihn noch einmal zu beachten.

Draußen informiere ich gleich Renée, dass der Müll nicht ins Gebäude kommt und zeige ihr die Tonne.
Während wir arbeiten, schaue ich ab und zu nach Renée, die mich jedes Mal zum Lachen bringt, wenn sie den Müll aus dem Mülleimer nimmt und angewidert zur Mülltonne trägt.

Zum Schluss kehren wir beide die ganzen Blätter ins Gebäude und schieben sie schön in eine Ecke.
Danach räumen wir die Gabel und die Handschuhe wieder auf und laufen zur Mauer.

Die zehnte GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt