Aber weit komme ich nicht. Eine Hand packt mich am Arm und zieht mich in eine kleine Seitengasse, weg von der großen Straße.
Mein erster Reflex ist, dass ich schreie, aber so weit soll ich anscheinend nicht kommen.
Mir wird eine Hand vor den Mund gehalten und dann fängt die Person an zu sprechen. "Man, Grace, ich bin es nur."
Die Hand löst sich von meinem Mund und ich drehe mich zu Liam um.
"Ja, Betonung auf nur."
"Charmant, wie immer. Na gut, wir wäre es mit Training?"
Ich verdrehe genervt die Augen.
"Ne, habe keine Zeit."
"Stimmt nicht", kommt seine Antwort so schnell, dass ich gerade mal den Mund zumachen konnte.
"Doch, woher willst du wissen, dass es nicht stimmt?", frage ich und ziehe mir einen Kopfhörer aus dem Ohr, damit ich ihn besser verstehe.
"Sieht man dir an, wenn du lügst."
"Bezweifele ich", sage ich und drehe meinen Kopfhörer in der Hand.
Wenn nicht mal Lukas es merkt, dass ich ihn anlüge, dann muss ich echt gut im Lügen sein.
"Wie du meinst. Ich merke es aber, wenn du lügst. Also, Training?"
"Nein, wie oft noch?"
Liam grinst.
"Und wieso nicht, Miss Reich?", fragt er und bringt mich echt für zwei Sekunden zum Überlegen.
"Weil...also, erstens gibt es Gabentraining, zweitens habe ich keine Zeit und drittens habe ich keine Lust auf ein Training. Vor allem nicht mit dir.""Manchmal frage ich mich echt, ob ich das mit dem Gespräch bei mir bloß geträumt habe. Wieso wirst du gleich wieder so abweisend zu mir?"
"Bietest sich bei dir kostenlos an."
Liam sieht für eine Sekunde aus, als hätte ich ihn aus dem Konzept gebracht.
"Dann wirds ab jetzt teuer."
Was jetzt? Soll ich jetzt ernsthaft bezahlen, wenn ich unfreundlich zu ihm bin?
"Man, Liam, ich weiß gar nicht, wieso ich überhaupt mit dir rede!"
"Ganz einfach: Du magst mich. Aber natürlich willst du es dir selber nicht eingestehen, weil das ja verboten ist. Ohne mich kannst du keine Woche mehr leben."
Ich runzele die Stirn.
"Also bevor ich dich mag, müsste ich sogar Jack über alles lieben."
"Jack?", fragt Liam unwissend, wer das ist.
"So ein Idiot von meiner Schule", erkläre ich schnell."Ich bin der Idiot", beschwert sich Liam sofort.
"Auch noch stolz auf deinen Spitznamen?", frage ich und grinse. Jetzt bin ich es, die Fragen stellt. Ganz geschickt habe ich den Spieß umgedreht.
Liam zuckt mit den Schultern.
"Ich muss mich geehrt fühlen, wenn ich einen Spitznamen von dir bekomme. Hat Lukas einen?"
Sofort zieht sich alles in mir zusammen.
Aber woher weiß er Lukas Namen? Auf einmal passieren Bilder von gestern Abend mein ganzes Gedächtnis und auch die Stelle, als ich Lukas gebeten habe, zu warten, damit ich mit ihm reden kann.
Liam hat eins und eins zusammengezählt...und ist auf zwei gekommen, haha, ne, er hat wahrscheinlich verstanden, dass Lukas der ist, mit dem ich das Date hatte und den ich heiraten muss.
Und um die Frage zu beantworten, Lukas hatte eine Mengen Spitznamen. Früher habe ich ihn jeden Tag anders genannt. Luca, Luke, Luki, Luc,... oh man, manchmal hat Renée sogar den 'Spitznamen des Tages', wie wir es genannt haben, aussuchen dürfen. Aber irgendwann hat es sich geändert. Mittlerweile spreche ich ihn halt mit seinem normalen Namen an. Nur Luke und Luca erscheinen noch selten, der Rest wurde vernichtet, mit der Botschaft, dass wir beide heiraten müssen. Aber so namenabweichende Spitznamen wie Idiot hat Lukas nie bekommen.
"Ja, mehr als hundert bestimmt."
"Schade. Ich dachte schon, dass ich jetzt etwas Besonderes bin."
"Ohja, besonders nervig", sage ich und grinse.
Liam packt meine Hand und sofort schießt ein Blitz durch meinen Körper. Der ist die reinste Steckdose! Jedes Mal, wenn er mich irgendwie berührt, habe ich das Gefühl, in eine Steckdose gelangt zu haben, nur, dass diese Blitze, die dann durch mich fließen angenehm sind.
"Sag mir eine Sache, Grace."
"Und das wäre?", frage ich genervt.
Liam grinst und bringt seine grünen Augen zum Strahlen.
"Sag mir, dass du hier etwas spürst", sagt er und schaut auf unsere Hände.
Auf einmal kapiere ich, was er mit der Frage will und auch, wieso ich diese Blitze spüre.
Ich habe vor ein paar Jahren mal gelesen, dass man etwas Schönes spürt, wenn der jenige einen berührt, in den man verliebt ist. Bei mir sind es die Blitze.
Ich schaue von unseren Händen hoch zu Liam, der ein kleines Lächeln aufgesetzt hat.
Ich bin in Liam verliebt!
Okay, nein, das kann nicht sein! Ich würde mich doch niemals in so jemanden verlieben.
Erstens weil so etwas verboten ist und zweitens weil Liam absolut nicht die Art Junge ist, die mich anspricht.
Aber vielleicht ist es genau deshalb passiert. Vielleicht habe ich mich in ihn verliebt, weil er anders ist und ich dieses 'anders' mag.
Scheiße, das habe ich mal wieder gut hinbekommen. Glückwunsch! Wenn das jemand herausfindet bin ich echt verloren. Dann würden wir beide bestraft werden."Ja, so etwas Ekliges", sage ich und verleugne die Tatsache, dass ich eventuell in ihn verliebt bin. Vielleicht ist Liam in Wirklichkeit eine Steckdose oder er kann durch seine Gabe Blitze bei Berührungen von sich geben.
Liam drückt leicht meine Hand.
"Und schon wieder gelogen, Miss Reich", sagt er und sein Lächeln erreicht die Augen, die wie abnormal strahlen.
Okay, verleugnen! Einfach nur verleugnen!
Ich schüttele zuerst den Kopf, bevor ich spreche.
"Ich habe nicht gelogen, wenn es die Wahrheit ist! Aber ganz ehrlich, ich weiß ja nicht, was du von mir hören willst."
Liam lässt blitzschnell meine Hand los und tritt mehrere Schritte zurück.
"Das hätte nie passieren dürfen", flüstert er leise.
Verwirrt schaue ich ihn an.
"Was denn?"
Liam senkt den Kopf.
"Es hätte nie so weit kommen dürfen", sagt er und ich gehe ein paar Schritte auf ihn zu.
"Liam! Jetzt rede doch nicht so einen Schwachsinn! Was ist los?", frage ich lauter.
Liams Körper zuckt kurz zusammen, bevor er sich umdreht und sich einfach in Luft auflöst.
"Liam!", rufe ich und fuchtele mit den Armen in der Luft herum, doch er bleibt verschwunden.
Was war das denn gerade? Erst diese verwirrenden Sätze und dann dieses Verschwinden.Verwirrt und in Gedanken versinkt schleife ich mich nach Hause, aber als ich durch das Tor gehen will, sehe ich, wie Jack und ein Freund von ihm vor der Haustür sitzen.
Als sie mich sehen, stehen sie auf, während ich nervös mit den Fingern knackse und versuche, ganz gelassen zu wirken.
"Na, wie lange mussten wir jetzt auf Prinzessin warten? Das hätte aber auch schneller gehen können. Wir haben uns gerade überlegt, ein anderes Mädchen anzurufen, damit sie uns Gesellschaft leistet und die Wartezeit auf dich verkürzt", sagt Jack und tritt auf mich zu.
"Bin doch immer pünktlich. Außerdem voll nett von euch auf mich zu warten. Auch wenn das nicht nötig wäre", erwidere ich und Jack packt mich am Hals.
"So, Prinzessin, ich bin nicht hier, um mit dir zu plaudern. Du kannst dir sicher vorstellen, wie erfreut ich über das Gerücht war. Meine zukünftige Ehefrau hat das Gerücht mit der Wette verbreitet, aber sie werde ich nicht schlagen können, also bist du für sie dran."Jack grinst und verstärkt seinen Griff um meinen Hals, so dass ich Atemprobleme bekomme. Meine Hand versucht seine Hand wegzuzerren, aber sein Griff ist zu stark.
"Und dieses Mal ist kein Prinz da, der dich retten kann. Achso, apropos Prinz, ist da etwas passiert, wovon ich wissen sollte?"
Nur zu gerne hätte ich ihm eine Antwort gegeben, aber ich sollte mir meine Luft besser aufheben.
Stattdessen spucke ich ihm ins Gesicht und er lässt mich tatsächlich los.
Angewidert wischt er sich mit seinem Pullover durchs Gesicht, bevor er seinem Freund ein Zeichen gibt und der schneller, als ich reagieren kann, meine Hände hinter meinem Rücken festhält.
Jack grinst zufrieden, bevor er mit so viel Wucht er kann seine Faust ins Gesicht rammt.
Ich gebe einen leisen Schrei von mir und eine Träne verlässt mein Auge, während Blut aus meiner Nase fließt und auf den Boden tropft.
Ich will mir eine Hand schützend vor das Gesicht halten, aber Jacks Freund hält mich fest.
"Oh, hat das wehgetan, Prinzessin? Aber das war doch noch nicht alles", sagt Jack und schlägt erneut zu.
Ich höre nur noch, wie etwas laut knackt, bevor ich auf den Boden sinke und ohnmächtig werde.
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Die zehnte Gabe
FantasyGrace lebt mit ihren reichen Eltern auf Onaria, einem Planeten, der unbekannt für uns Menschen ist. Jeder dort verfügt über eine Gabe, welche Grace jedoch noch nicht entdeckt hat. Mit gerade einmal 17 Jahren weiß sie schon, wen sie in naher Zukunft...