Kapitel 54

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Ein lautes Piepsen ertönt an meinem Ohr.
"Hallo?", höre ich eine Stimme keine zehn Sekunden später am Ende der Leitung.
"Hey, Steven, ich bins. Grace", sage ich und bete, dass er sich noch an mich erinnert.
"Grace?" Okay, dann halt nicht. "Ach ja klar, du bist das! Das Unfallmädchen."
Ich grinse.
"Ja, so kann man mich auch nennen."
"Hab nicht gedacht, dass ich noch mal was von dir höre", murmelt Steven. "Hast richtig lange nicht angerufen."
"Ja, es ging aber auch nicht. Ich war weg. Also nicht weg. Ich war bloß nicht mehr hinter der Mauer."
Stille. Ziemlich lange. Hat er aufgelegt?
"Steven?", frage ich unsicher.
"Wie meinst du das? Ich verstehs nicht.", gibt Steven zu.
"Ja, so wie ich gesagt habe."
Erneut herrscht Stille.
"Ah. Du bist echt merkwürdig", sagt er nach einer Weile.
"Ja, schon. Ich muss dich was Dringendes fragen", sage ich und bringe es zum Thema hin.
"Aha. Hoffentlich interessant. Also, ich bin offen für deine Fragen."

Ich schaue kurz nach hinten zu Ariane, die gerade in ein Gespräch mit Renée vertieft ist. Lukas stattdessen beobachtet mich.
"Ähm ja, wir müssen jemanden überwältigen.", falle ich mit der Tür ins Haus.
"Warte, wir? Jemand? Und wieso überwältigen?"
Ohja. Vielleicht sollte ich alles zuerst erklären.
"Ich muss mich rächen, mit ein paar Freunden, weil ich entführt wurde und hätte sterben sollen."
"Okay, ziemlich krass. Aber wen wollt ihr jetzt überwältigen?", fragt Steven.
"Er nennt sich der 'Böse'.", sage ich und erzähle auch noch von den 10 Gaben und unserem Plan.
Nach meiner Schilderung bleibt es still.
"Steven?"
"Ja, bin noch da. Also wenn ich das richtig verstehe, dann willst du, dass ich euch bei dem Plan helfe."
Ich atme einmal aus.
"Jap. So ist es."
Steven räuspert sich und schweigt ein paar Sekunden.
"Steven, wir brauchen dich wirklich. Du bist der, der schaut, das alles passt. Einen anderen für deinen Platz haben wir nicht. Bitte."
"Man, ist doch klar, das ich mir so was nicht zwei Mal anbieten lasse!", sagt er begeistert."Ich bin dabei."
Ich muss einen Freudesschrei unterdrücken.
"Echt? Super!"
"Wann gehts los?", fragt Steven und ich überlege.
"Bald. Morgen wollen wir uns um alles kümmern, damit wir übermorgen unseren Plan umsetzen können."
"Na gut. Ich komme dann einfach morgen zu euch und übernachte bei euch, wenn ihr nichts dagegen habt."
"Nein, natürlich nicht."
Ich gebe ihm noch schnell Renées Adresse durch, damit er weiß, wohin er morgen kommen soll.
"So was Cooles habe ich noch nie gemacht.", gesteht Steven.
"Nehms auch ein wenig Ernst.", sage ich ihm, bevor er auflegt.

Kaum habe ich mich wieder zu Lukas, Renée und Ariane gesetzt, fragen sie mich ob er mitmacht. Ich nicke und Renée strahlt.
"Super. Jetzt haben wir das schon mal geklärt. Aber wir sollten uns um das Gift kümmern. Und um das Outfit eines Wachen.", sagt sie.
"Woher sollen wir denn so was bekommen?", fragt Lukas.
"Gift kann ich besorgen.", mischt sich Ariane ein. "Und das Outfit bekommen wir, in dem wir einen Wachen rausziehen und dich dann darein stecken.", sagt sie und zeigt auf Renée.
"Na gut.", murmelt Renée nicht gerade begeistert.

Wenig später, nachdem wir alles geklärt haben, fahren Lukas, Renée und ich wieder zurück.
Kaum parkt Renée in der Auffahrt, sehe ich Liam, der wütend auf uns zukommt.
"Vergiss nicht, was ich gesagt habe.", sagt Renée an mich gerichtet, ehe Liam das Auto erreicht. "Mach dich an ihn ran, dann können wir ihn viel einfacher übermorgen als Geisel nehmen. Außerdem hast du dich dann auch mal an ihm gerächt."
Ich nicke und schon wird die Tür aufgerissen.
"Wo wart ihr?"
Ich schnalle mich aus und steige aus dem Auto.
"Nur mal kurz weg."
"Kurz?", fährt Liam mich an. "Das waren über drei Stunden!"
"Hey!", ruft Renée. "Jetzt sei mal netter. Wir waren bloß bei ihrem Vater."
Ich verziehe das Gesicht. Vielleicht hätte ich noch sagen sollen, dass Liam Lügen erkennen kann.
"Stimmt nicht.", zischt Liam und ich forme mit meinen Lippen lautlos ein 'Lügenerkenner'.
Renée versteht mich zum Glück.

"Also ich geh dann mal.", mischt sich Lukas ein, bevor das noch vollends schief geht.
"Okay. Bis morgen.", sage ich und Lukas umarmt mich.
"Tschüss, Mademoiselle.", murmelt er, woraufhin ich grinse.
Ein Blick zu Liam verrät mir, dass er Lukas am Liebsten von mir reißen würde, so wie er ihn anstarrt.
Lukas löst sich von mir und verschwindet schnell um die nächste Straßenecke.
"Willst du bei mir schlafen?", fragt Renée mich.
"Nein. Ich sollte mal wieder zu meinem Vater.", antworte ich.
Renée nickt.
"Na dann. Gute Nacht.", murmelt sie und zwinkert mir zu, bevor sie in ihrem Haus verschwindet.

"Also, Miss Reich. Habe ich die Ehre mit Ihnen U-Bahn fahren zu dürfen?", fragt Liam grinsend und zeigt auf das Schild am Ende der Straße.
"Wäre unnötig. Ich wohne nicht weit weg von hier.", antworte ich und laufe los.
"Ich begleite dich, nicht das noch etwas passiert."
"Ich schaffe das auch alleine.", protestiere ich.
"Da wäre ich mir nicht so sicher.", sagt Liam und legt lässig einen Arm um mich.
Ich zucke zusammen, aber die altbekannten Blitze entspannen mich schnell wieder.
Liam zieht mich an meiner Taille enger an sich.

"Ich muss dir was sagen.", murmelt er.
"Eine Entschuldigung kannst du vergessen. Bringt nichts bei mir.", sage ich bissig.
"Das weiß ich auch."
Liam bleibt stehen und ich auch.
Hinter uns geht die Sonne unter und färbt den Himmel blutrot und danach blau.
"Es ist so...", fängt Liam an und ich wende meine Aufmerksamkeit wieder vom Himmel auf ihn. "...es...ich...", stammelt er.
Nervös fährt er sich durch seine Haare,während ich die Arme vor der Brust verschränke.
"Was?", frage ich genervt und Liam sucht immer noch nach Worten.
Was ist denn mit ihm los? Will er mir jetzt sagen, dass er doch böse ist? Dann würde er aber bestimmt nicht so verzweifelt nach Wörtern suchen.
"Liam! Jetzt sag doch einfach, was ist! Ist das so schwer?"
"Nein...also eigentlich schon..."
Seine Nervosität geht mir auf die Nerven und ich verdrehe die Augen.
Als er mich entführt hat, war er doch auch nicht nervös, also muss das jetzt tausend Mal schlimmer sein, oder?
Sicherheitshalber trete ich einen Schritt zurück, aber Liam zieht mich gleich wieder an sich.
"Ich liebe dich."

Die zehnte GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt