Als ich nach Hause komme, rechne ich damit, dass ich eine Menge Ärger von meinen Eltern bekomme, den Mund nicht mal öffnen kann um mich zu verteidigen, da die Worte aus dem Mund meiner Mutter ohne Ende sprudeln würden. Und trotzdem würde sie mich am Ende in die Arme ziehen, mir über den Kopf streicheln. Jedoch bemerke ich schon von Weitem, dass kein Licht mehr brennt und die ganze Gegend tief schläft. Das kann nur gut für mich sein.
In meinem Zimmer angekommen, werfe ich meine Tasche auf das Bett und gehe zuerst einmal duschen, um das merkwürdige Gefühl auf meiner Haut los zu werden, welches die Hände des Normalen verursacht haben. Ich bin es nicht gewohnt, so berührt zu werden. Eine Umarmung wird schon mit einem überraschten Blick quittiert, da es über den so typischen Händedruck hinaus geht.
Danach will ich mich den Hausaufgaben widmen, doch mein Kopf brummt als schlage jemand mit einem Hammer auf mich ein. Somit überfliege ich nur geschwind den Stoff für einen Test, ehe meine Sehnsucht nach Schlaf die Oberhand hat. Wie üblich checke ich meine Nachrichten vor dem Schlafen, wobei mir Renées besonders ins Auge sticht.'Hey, tut mir echt leid, aber ich habe Fieber und komm deshalb morgen nicht in die Schule. Frag doch Lukas, ob er dir beim Hausmeister hilft. Das macht der bestimmt gerne:) Gute Nacht!'
Ich wünsche ihr noch gute Besserung, verspreche ihr, dass ich die Schulsachen morgen Mittag zu ihr bringe und schlafe dann auch schon ein.Der nächste Morgen ist wie vorhergesagt neblig und kalt. Die Stadt wirkt wie von einem leeren Nichts eingefangen, grau und irgendwie trist. Kein Jogger begegnet mir auf dem Weg zur Schule, kein Normaler der mit seinem Hund Gassi geht und kaum Autos brausen an der sonst so belebten Straße an mir vorbei. Am liebsten würde ich umdrehen und mich wieder in mein warmes Bett legen. Wenn ich nur daran denke, dass ich das erste Mal Augenringe in meinem Gesicht entdeckt habe, muss ich ein Gähnen unterdrücken.
Als ich gerade die Tür zum Schulgebäude öffnen will, legen sich zwei Arme um mich. Ich zucke erschrocken zusammen, doch entspanne mich sofort wieder als ich den bekannten Geruch erkenne. Um nicht zu hektisch zu wirken, winde ich mich vorsichtig aus dem Griff.
"Du siehst erschöpft aus.", stellt Lukas fest, während ich ihn am Arm ins Gebäude ziehe, um den Weg nicht zu blockieren. Lässig legt er mir einen Arm um die Schulter und grinst mich erwartungsvoll an.
"Ich habe nur schlecht geschlafen.", lüge ich und beiße mir auf die Lippe. Seit wann sage ich Lukas nicht die Wahrheit? Was hat sich zwischen uns gedrängt und mich zum Lügen verleitet? Lukas senkt enttäuscht die Augen - er kennt mich zu gut und hat mich durchschaut. Doch ich bete, dass er nicht nachfragt. Ein weiteres Mal würde ich ich ihn nicht anlügen können."Kommt Renée heute nicht?", fragt er und sucht den Gang nach ihr ab.
Ich schüttele den Kopf, zwinge mich jedoch zu einem Lächeln. "Sie ist krank."
"Oder sie drückt sich nur vor dem Hausmeisterdienst.", sagt Lukas und schüttelt grinsend den Kopf.
"Hey." , gebe ich entsetzt von mir und stoße ihn am Arm. "Sie ist wirklich krank."
Renée schwänzt nicht die Schule. Selbst nicht, wenn ihr dadurch der Dienst beim Hausmeister erspart bleibt. Das macht sie einfach nicht, das weiß ich.
"Und das weißt du woher?", hakt Lukas nach, während er mir eine dunkle Haarsträhne hinters Ohr streicht. Das Gefühl seiner Finger auf meiner Haut raubt mir kurz den Atem, ob es an der ungewohnten Situation liegt oder an ihm wird mir nicht klar."Ich kenne sie."
"Du hast Recht.", murmelt Lukas. Ich will gerade zu einem empörten 'Natürlich habe ich Recht!' ansetzen als er auch schon weiterredet. "Ich werde dir helfen."
"Du musst nicht-"
"Das war kein Angebot sondern eine Feststellung." Bevor ich noch ein Wort über die Lippen bekomme, greift er nach meiner Hand und zieht mich in den Raum.Während unser Lehrer vorne von Genetik redet, bastelt Lukas aus seinem Papier eine Rose und legt sie zu mir.
Zögernd fahre ich die Papierblätter nach, vorsichtig, um sie nicht zu verbiegen.
"Das nennen die Menschen Origami.", erklärt er mir und zeigt auf die Rose.
"Und wieso nennen wir das dann Rose?", frage ich ihn neugierig. Soweit ich weiß sind alle Wörter von den Menschen übernommen, daher bin ich ein wenig verwirrt. Doch Lukas lacht nur amüsiert, wobei sich ein paar zu uns umdrehen.
"Die Menschen nennen die Pflanze auch Rose", erklärt er mir leiser Stimme, beugt sich zu mir und schaut mir in die Augen. "Aber die Kunst des Faltens von Papier nennen sie Origami."
Ich schaue mir die Rose genau an, drehe sie behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger.
"Sie ist wunderschön.", bringe ich staunend über die Lippen, verdränge, dass wir eigentlich Unterricht haben. Es entlockt mir ein unnehmbares Grinsen, als mir klar wird, dass eine Rose mehr als nur irgendein Blümchen ist. "Vielen Dank.""Soll ich dir zeigen, wie man eine Rose bastelt?"
Ich nicke und er legt ein Blatt in die Mitte.
Langsam macht er mit mir jeden Schritt durch, doch als ich es dann alleine versuche, sieht das Ergebnis nur mit viel Fantasie nach einer Rose aus.
Lukas bringt mir, bis es zum endgültigen Schulschluss klingelt, verschiedene Pflanzen und sogar einen Vogel, der seine Flügel bewegen kann, bei. Doch ich scheine einfach nicht geduldig genug zu sein, um das Papier so genau zu falten, so dass meine Ergebnisse auch nicht ansatzweise erkennbar sind.
"Das wird noch.", muntert Lukas mich auf und legt mir eine Hand auf die Schulter. Ich schmunzele nur, dann packe ich meine Bücher in die Tasche.Als Lukas auf dem Weg zu der Schule der 'Normalen' meine Hand nimmt, protestiere ich nicht. Ich genieße das Gefühl seiner Finger, die sich mit meinen verschränken.
Doch mehr ist da auch nicht als ein wenig Wärme. In vielen Büchern habe ich gelesen, dass man etwas spürt, sobald man von dem berührt wird, den man liebt. Traurig meide ich seinen Blick, während mir das Atmen auf einmal schwer fällt. Was, wenn ich ihn nie lieben werde? Was, wenn ich ihn nicht lieben kann?
Ich schlucke, als mir bewusst wird, dass es sich nicht anders anfühlen, wenn ein Fremder jetzt meine Hand halten würde.Lukas will mir gerade die Tür öffnen, als sie aufgerissen wird und ein Haufen Schüler auf uns zurennt.
Schnell ziehe ich Lukas auf die Seite und warte, bis die stürmischen Kleinen aus dem Gebäude sind.
Irgendwann drücken wir uns in das Gebäude und blicken auch gleich dem Rektor und unserem Hausmeister entgegen. Oh oh, ich befürchte, dass das kein gutes Zeichen ist.

DU LIEST GERADE
Die zehnte Gabe
FantasiGrace lebt mit ihren reichen Eltern auf Onaria, einem Planeten, der unbekannt für uns Menschen ist. Jeder dort verfügt über eine Gabe, welche Grace jedoch noch nicht entdeckt hat. Mit gerade einmal 17 Jahren weiß sie schon, wen sie in naher Zukunft...