Kapitel 34

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Beide fahren auseinander und schauen mich wütend an.
Das Mädchen, eigentlich das typische Mädchen, das mit jedem Jungen rummacht, der ihr über den Weg läuft, fängt an zu grinsen.
"Oh! Eifersüchtige Ex-Freundin!", bringt sie zwischen ihren knallpinken angemalten Lippen hervor.
Lukas grinst mich jetzt auch an.
Denkt der ernsthaft, dass ich so schnell nachgebe?
"Wie kann er eine Ex-Freundin haben, wenn er noch nie eine Freundin hatte? Ich kann mich echt nicht daran erinnern, dass wir auch bloß für eine Sekunde ein Paar waren", kontere ich und das Mädchen sieht für den ersten Moment sprachlos aus.
Wohlgemerkt, für den ersten Moment.
"Stimmt, du bist zu schlecht für ihn. Mit dir würden nicht mal 'Arme' eine einsekündige Beziehung eingehen."
Das Mädchen grinst siegessicher und schiebt ihr Top absichtlich weiter runter und gibt dadurch mehr von sich zu zeigen.
Ich lasse mich doch hier nicht einfach so von einer ... runtermachen!
"Ich habe noch nie von jemanden außer dir gehört, der mit sich selber im 'du' redet. Äußerst komische Angewohnheit", sage ich und ernte für den Bruchteil einer Sekunde einen verwirrten Blick.
Manche Leute verfügen entweder über ein kleines, schlecht funktionierendes oder gar kein Gehirn oder über einen längeren Hörweg.
Na gut, zu hundert Prozent ist es das Erste.
So, jetzt lege ich noch mal einen Kommentar oben drauf.
Ich wende mich zu Lukas und schaue ihm tief in die schönen blauen Augen.
"Ein bisschen mehr Qualität hätte ich schon von dir erwartet", sage ich, nehme meinen Zeigefinger und zeige angewidert auf das sprachlose Mädchen.

Dann knalle ich die Schließfachtür zu und haue in den Chemieraum ab.
Kurz vor dem Lehrer trifft auch Lukas dort ein und setzt sich schweigend neben mich.
Theoretisch hätte er sich auch woanders hinsetzen können. Andere Plätze sind noch frei.
"Da vorne sind noch drei Plätze frei.", sage ich und Noelle dreht ihren Kopf zu mir.
"Soll ich mich jetzt weghocken?", fragt sie fassungslos.
"Ich habe nicht dich gemeint. Die Person, die ich meine, weiß schon, dass ich von ihr rede.", sage ich jetzt etwas deutlicher an Lukas gerichtet. Wenn er sich jetzt nicht gleich nach vorne setzt, kann er sich darauf gefasst machen, dass ich meine Wut an ihm während dem Unterricht loslasse. Vielleicht traut er mir dann auch mal zu, dass ich Jack verprügeln kann.
Lukas wirft mir einen nichtssagenden Blick zu, bevor er sich seinen Rucksack schnappt und eine Reihe weiter nach vorne wandert.
Sofort liegen alle Blicke der Mädchen aus unserer Klasse auf mir und auch Noelle scheint nicht zu verstehen, was Lukas da gerade gemacht hat.
Neugierig zupft sie an meinem Ärmel.
"Was war das denn?", fragt sie fassungslos.
Ich zucke mit den Schultern.
"Also bitte, du hast gerade Lukas dazu aufgefordert, sich von dir wegzusetzen! Ist da etwa etwas zwischen euch beiden passiert?"
Sie legt den Kopf schief und malt mit dem Bleistift ein zerbrochenes Herz auf ihr Papier.
"Du kannst es mir ruhig erzählen.", schlägt sie mir vor.
"Meine Damen, wenn Sie weiterreden wollen, können Sie ruhig gehen. Aber dann müssen Sie sich hier nicht mehr blicken lassen.", ermahnt uns unser Lehrer und Noelle verdreht die Augen.
"In der Pause.", sagt sie zu mir und zeigt mit dem Bleistift auf Lukas.
Ich nicke, auch wenn ich gar keine Lust auf so ein Gespräch habe.
Ganze neunzig Minuten male ich mir in meinem Kopf aus, was ich nachher sagen kann, wenn ich mit Lukas sprechen will.
Kaum klingelt es, stürme ich aus dem Raum und zu meinem Schließfach, an dem Renée schon auf mich wartet, da meine Gedanken nicht auch nur einen gescheiten Satz zustande gebracht haben und ich deshalb ein Gespräch mit Lukas vorerst vergessen kann.

Außerdem bin ich noch viel zu sauer auf ihn. Einerseits kann ich ihn verstehen. Er weiß, dass ich ihn angelogen habe und er weiß nicht, wie viel zwischen mir und Liam schon gelaufen ist. Also bis auf 'ich hasse dich so abgrundtief, dass es nicht mehr tiefer geht' läuft da echt nichts. Na gut, manchmal ist Liam ganz okay. Und nicht umsonst habe ich genau mit ihm über meine Probleme geredet.
Aber andererseits verstehe ich nicht, wie Lukas dann am nächsten Morgen ein Mädchen vor meinen Augen küsst! Und jetzt soll bloß niemand sagen, dass das normal ist. Von mir aus, gut, er kann ein Mädchen küssen, aber doch nicht, wenn ich es sehe! Und verdammt nochmal, der ganze Gang war leer, nein, sie mussten sich genau neben mich stellen. Renées armes Schließfach.

Die zehnte GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt