Kapitel 38

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"Nasenbruch?"
Ich schaue dem Mann mit den schiefen Zähnen tief in die Augen.
"Ja, hab ich aber jetzt auch schon zwei Mal gesagt", sage ich und werfe einen kurzen Blick auf Lukas, der sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt hat und geduldig auf mich wartet.
"Na gut. Das Wartezimmer ist dort drüben. Der Arzt schaut gleich nach Ihnen." Der Mann deutet in Gedanken woanders nach rechts.
"Danke."
Ich schnappe mir meine Krankenversichertenkarte und laufe in den Raum mit der Glastür, auf der in blauen Buchstaben 'Wartezimmer' steht.
Ich setze mich auf einen Stuhl neben einen alten Mann, der sich an einem Gehstock festhält.
Lukas setzt sich schweigend neben mich.
Nach wenigen Minuten, in denen ich in eine Zeitschrift schaue, werde ich aufgerufen.
Ohne Lukas laufe ich in den Raum, in dem ein relativ junger Mann mit langem weißen Kittel sitzt und mich bittet, mich auf die Liege zu setzen. Dann untersucht er mich kurz, bevor er sich meiner Nase zuwendet.
Nach ein paar Sekunden, in denen er sich meine Nase von allen Seiten angeschaut hat, sagt er mir, dass eine Operation nicht nötig ist, aber befestigt irgendetwas an der Nase, was ich in einer Woche wieder wegmachen darf. Na super, wahrscheinlich ein fetter, weißer Verband.

Als Lukas und ich das Krankenhaus verlassen, ist es schon nach Mitternacht.
Ein starker Wind, der nach Meer riecht, bläst und der Regen ist stärker geworden. Wenn man genau hinschaut, kann man einzelne Schneeflocken im Regen finden.
Letztes Jahr hat es sogar so stark geschneit, dass ich mit Lukas einen Schneemann gebaut habe.
Während Lukas mich nach Hause fährt, schaue ich stur auf die Straße, auch wenn ich immer wieder Lukas Blick auf mir spüre.
"Willst du mir nicht sagen, was er gesagt hat?", fragt er, als wir schon fast bei mir sind.
"Dich interessiert es doch eh nicht.", erwidere ich.
"Wieso glaubst du das?", fragt Lukas schockiert.
"Dich interessiert bloß deine Freundin."
Lukas bremst scharf mit dem Auto und ich drehe meinen Kopf schnell zur Straße, weil ich mir sicher bin, dass wir gleich in einem Unfall landen, aber die ganze Straße ist leer.
"Was ist?", frage ich und schaue zu Lukas, der sich zu mir umgedreht hat.
"Grace. Ich wollte das nie. Es war ein Fehler, wie ich gemerkt habe. Ich weiß echt nicht, warum ich das gemacht habe. Ich wollte nie zu dieser Art Junge gehören, aber ich war so verzweifelt, weil ich wusste, dass du nicht nur mir gehörst und mich hat auch nicht wirklich gestört, dass du mich angelogen hast, aber..." Er holt kurz Luft. "...ich wollte nicht, dass du jemals mit einem anderen Jungen zusammen Zeit verbringst und als ich dich dann mit ihm gesehen habe, hat sich etwas in mir verändert. Ich habe eingesehen, dass du nicht nur mir gehörst und ohne festen Freund bleiben musst, nur weil wir in ein paar Jahren mal heiraten werden. Irgendwie will ich das aber nicht und deshalb war ich sauer auf dich. Durch sie wollte ich dich bloß eifersüchtig machen, aber das hat ja nicht geklappt. Es tut mir leid, Grace."
Lukas senkt den Blick und ich bin für einen Moment sprachlos.
Verziehen hatte mir Lukas, aber er wollte bloß durch Namenlos, dass ich eifersüchtig werde und ihm sage, dass Liam nichts für mich ist und ich nur ihn lieben werde oder das was er hören will, nämlich, dass ich ihn jetzt schon liebe, was nicht stimmt.
Ich suche lange nach Worten, aber mein Kopf ist leer.
Total verwirrt knackse ich mit den Fingern, während ich mir Worte zurecht lege.
"Aber-"
"Ich bin noch nicht fertig", unterbricht Lukas mich. Anscheinend hatte er eine Redepause. "Kannst du mir verzeihen?"
Oh.
Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.
Eigentlich war ich mir sicher, dass ich Glück habe, wenn er mir verzeiht, aber dass ich ihm verzeihen soll, damit habe ich natürlich nicht gerechnet.
"Ich..."
Kann ich ihm verzeihen? Hat es mich etwa nicht verletzt, ihn mit Namenlos rummachen zu sehen? Das hat es definitiv.
"Ich lasse dir Zeit. Es würde mich aber freuen, wenn du mir jemals verzeihen kannst. Warten habe ich ja schon von dir gelernt."
Was? Ich und warten? Größere Gegensätze gibt es ja nicht.
"Ich warte immer darauf, dass du den ersten Schritt machst, weil ich dich nicht bedrängen will.", fügt er noch dazu.
Deshalb hat er mich nie geküsst. Jedes Mal, wenn er es wollte, hat er sich mit einem Wangenkuss zufrieden gegeben. Ich werde ihn zuerst küssen müssen.
"Ich weiß nicht..."
Lukas legt mir einen Finger auf die Lippen und bringt mich dadurch zum Schweigen.
"Ich liebe dich."

Drei Worte und ich bin sprachlos. Drei Worte. Mehr nicht.
Lukas wartet auf meine Reaktion, aber außer, dass ich wie erstarrt bin, passiert nichts.
Was soll ich auch sagen? Ich liebe dich auch? Stimmt nicht und erneut anlügen will ich ihn nicht.
Ich weiß, ich dich aber nicht? Zu hart, das kann ich nicht sagen, auch wenn es die wahrheitsgemäße Antwort ist.
Einfach nichts sagen? Eigentlich das beste.
Ein eindeutiges 'ich liebe dich nicht, aber ich kann es dir nicht sagen, weil du mir zu viel bedeutest und ich nicht dein Herz brechen möchte'.
Na gut, aber einfach nichts sagen ist auch blöd, weil ich bei jeder noch so beschissenen Situation was sagen kann.
Ich würde so etwas aber auch nicht als beschissene Situation bezeichnen, weil sich jedes andere Mädchen über diese drei Worte aus seinem Mund freuen würde.
Nur ich nicht. Warum können wir nicht einfach ganz normale beste Freunde sein?

"Ich...aber..."
Oh man, mein Kopf ist wie leer gefegt.
Ich hole einmal tief Luft und hoffe, dass mir jetzt etwas einfällt, aber es hat nichts gebracht.
Komm schon! Ich werde doch etwas sagen können!
Ich schaue auf die Straße und hoffe, dass Lukas versteht, was ich ihm nicht sagen kann.
Doch offensichtlich ist meine Sprachlosigkeit nicht zu verstehen.
Es ist mir echt peinlich, nicht das zu sagen, was man in so einer Situation normalerweise macht. Aber wann war ich denn schon normal?
Ich schüttele den Kopf, bevor ich mich ausschnalle und mit meiner Tasche aus dem Auto steige.
"Grace -"
Ich knalle die Tür zu und laufe so schnell ich kann vom Auto weg und nach Hause. Lukas versucht mich nicht aufzuhalten, was mich echt zum Überlegen bringt. Vielleicht war dieser Abgang jetzt doch zu hart.

Wütend über mich laufe ich nach Hause und hoffe, dass mein Vater auch mal wieder da ist.
Aber das ganze Haus ist leer.
Dafür habe ich mehrere Anrufe von 'Unbekannt' verpasst.
Und mit mehreren Anrufen meine ich elf.
Was will 'Unbekannt' von mir?
Ich setze mich auf mein Bett und rufe die Person an.
Kaum klingelt es einmal, geht auch schon jemand ran.
"Grace?"
Ich schlucke.
"Woher hast du meine Nummer, Liam?", frage ich.
"Hab ich mir mal besorgt, aber das ist jetzt unwichtig. Ich wollte mich bei dir entschuldigen."
"Wofür?", frage ich verwirrt.
"Wegen dem heute Mittag."
Ich grinse.
"Dafür musst du dich doch nicht entschuldigen."
Liam sagt etwas, aber meine Aufmerksamkeit gilt nicht mehr ihm.

Zwar ist meine Zimmertür zu, jedoch habe ich ganz deutlich gehört, wie etwas auf die Treppe geflogen ist.
Es hat ein dumpfes Geräusch von sich gegeben und mein Handy rutscht mir aus der Hand, als erneut ein Geräusch von der Treppe ertönt. Doch dieses Mal sind es Schritte.

Die zehnte GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt