Eine Seele in zwei Körpern - Part 1

1.3K 93 40
                                    

                    


Seraja hatte kein Auge zu bekommen in dieser Nacht. Die ganze Zeit war ihr das Bild der gefangenen Unsterblichen im Kopf geblieben.

Ihre Mutter hatte die Worte genauso wie der Zar auch als wirres Gerede einer Verrückten abgetan, aber Seraja hatte dem Mädchen in die Augen gesehen, als sie das gesagt hatte. Sie war in diesem Moment nicht wirr gewesen.

Inzwischen stand die Sonne schon recht hoch und strahlte durch ein Fenster in ihr Zimmer. Seraja aß ihr Frühstück in einem himmelblauen Himmelbett, das sich in der Mitte des großen Zimmers mit den azurblauen Wänden befand. Einige der Möbel waren weiß, andere blau. Insgesamt hatte der Raum den Flair eines in blauer Farbe liegenden Wattebauschs.

Nachdem sie die Unsterbliche gestern gesehen hatte, hatten die Nigolorer sie und ihre Mutter noch ein wenig in dem Trakt der Unentdeckten herumgeführt. Sie hatte rotäugige Meerjungfrauen gesehen, schlafende Sirenen, deren graue Flügel über ihre Körper ausgebreitet waren, winzige Kobolde und Feen, die in winzigen Glaskästen saßen und selbst einen der seltenen Greifen gesehen.

Die nigolorische Sammlung war recht eindrucksvoll, aber um ehrlich zu sein, fand Seraja die ihrer Kuppel beeindruckender. Immerhin hatte ihre Heimat sogar einen Phönix.

Das Vogelwesen war in etwa einen Meter groß, mit Federn, die aus Feuer zu bestehen schienen und saß in seinem feuerfesten Käfig im eborianischen Eis, wo es etwa alle fünfzig Jahre in Flammen aufging und kurz darauf noch nackt und voller Ruß aus der Asche hervorbrach um von Neuem zu wachsen.

Wie an allen anderen Unentdeckten wurde auch an ihm herumexperimentiert. Die Wissenschaftler von Eboris waren wie alle anderen ständig auf der Suche nach neuen Mitteln um das Leben in der Kuppel zu ermöglichen und zu verbessern. In Eiskammern unter dem großen Kuppeldom befand sich das Unentdecktenlager. Jeder wusste davon, aber nur die Wissenschaftler und die Sorella Matris durften die Unentdeckten sehen. Aber in jeder Stadtbibliothek lag eine Liste mit allen Daten der Unentdeckten vor, für die, die davon wissen wollten. So wusste Seraja von dem Phönix und dem Aussehen des menschlichen Unentdeckten. Er hatte tiefschwarze Haare und helle Haut. Seine Augen zweifarbig, wie die der Unsterblichen von Nigolor. Die Augenfarben des Unsterblichen von Eboris waren dunkelblau und braun. Er war zur Kuppelbildungsperiode auf seinen Wunsch hin von den Wissenschaftlern betäubt worden um die eborianischen Menschen retten zu können ohne selbst Schmerzen zu erleiden. Er war seit Jahrzehnten bewusstlos.

Seraja starrte das silberne Tablett mit dem Tee und dem hellbraunen Gebäck an, das vor ihr lag. Sie hatte keinen sonderlich großen Hunger und das Gebäck war dem einen Bissen nach, den sie schon getan hatte, voll mit einer süßlichen Marmelade, die Seraja auf Anhieb nicht mochte.

Seufzend trank sie ihren Tee aus, würgte die Nahrung herunter, da man eben diese nicht verschwenden durfte und stand auf.

Vor etwa einer halben Stunde hatte es an ihrer Tür geklopft und das Tablett war mit der Mitteilung gekommen, dass Seraja sich doch in einer Stunde bitte in den Garten begeben sollte. Der Zarensohn würde dort auf sie warten.

Serajas Gepäck war gestern währen der Führung in das Zimmer gebracht und auch schon eingeräumt worden. Wie sie nun aber bedauernd feststellen musste, hatte man alle schwarzen Kleidungsstücke – unter anderem auch den schwarzen Jumpsuit, den sie gestern getragen hatte – entfernen lassen. Seraja war sich ziemlich sicher, dass ihre Mutter das veranlasst hatte. Jetzt war das einzige, was geblieben und keine Festtagskleidung war, eine azurblaue, ungefütterte Haremshose und ein lockeres, weißes Top mit blau-silbernen Stickereien.

Genervt verdrehte sie die Augen und zog die Kleidungsstücke aus dem weißen Wandschrank heraus. Ihre Mutter wollte aber auch wirklich jede Art von Provokation vermeiden. Seraja würde aussehen wie ein Lutscher für Kinder. Fehlte nur noch der Zuckerüberzug.

ElfenbeinmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt