Elfenbeinmädchen

Niemals war mehr Anfang als jetzt - Part 4

                    

„Sohn, laufe doch bitte voraus und sag den Wächtern, dass wir kommen." murmelte der Zar zu seinem Sohn, der neben ihm stand. Dieser nickte und verschwand durch die nächste Tür auf der linken Seite. „Er wird gleich wieder da sein. Begeben wir uns doch langsam zum Fahrstuhl. Wir müssen recht tief hinein in die Pyramide."

Gemächlich liefen die Drei durch die Halle, an der Treppe vorbei, bis zum anderen Ende. An der Wand links neben der Treppe war eine silberne Fahrstuhltür zu sehen, die sich gerade öffnete, als Theon wiederkam.

Sie traten in den silbrigen Raum ein, eine unangenehme Stille legte sich über die Anwesenden. Waron und die anderen Leibwächter standen um die vier Autoritätspersonen verteilt, ebenso wie einige Zarenwächter.

Sobald der Aufzug sich bewegte, redete Theoden wieder drauflos. Er erzählte irgendwelche ziemlich sicher erfundenen Geschichten über die großen Taten seiner Vorväter und seines Volkes. Seraja schaltete ab und tauchte in ihre eigenen Gedanken ein.

Gleich würde sie die nigolorischen Unentdeckten zu Gesicht bekommen. Das war in jeder Kuppel eine große Ehre. Zumeist durften nur die Kuppeloberhäupter und die Wissenschaftler, die mit den Unentdeckten arbeiteten und die Gendosen herstellten, diese Wesen beobachten.

Die Unentdeckten waren meist recht alte Wesen, da sie nach dem großen Krieg aufgetaucht waren und die gefangenen Unentdeckten seit dieser Zeit nicht gestorben waren. Es hieß, dass diese Kreaturen in all ihren mythischen Formen erschienen waren um die Menschheit zu retten. Sie hatten sich geopfert, damit die Menschen leben konnten. Gerade die in menschlicher Gestalt hatten zu Beginn der Nachkriegszeit mit den Überlebenden zusammengearbeitet und versucht eine neue, bessere Welt zu schaffen. Als klar geworden war, dass sie ihr Leben aufgeben mussten um die Menschheit zum Überleben zu verhelfen, hatten sie es freiwillig getan. Ohne all diese Kreaturen aus den früheren Märchen und Sagen, ohne Meerjungfrauen und Phönixe, Banshees und Götter, wäre die Menschheit in ihrer damaligen Form ausgestorben. Nur durch bestimmte Genabschnitte der Unentdeckten konnten Genbehandlungen für die Überlebenden gegen die Strahlung hergestellt werden. Zu Beginn reichte es wegen der kleinen Anzahl an Überlebenden aus, dass die Unentdeckten hin und wieder Teile ihres Genmaterials an die Wissenschaftler abgaben, aber spätestens, als die Überlebenden sich in kleinere Untergruppen aufspalteten und sich daranmachten die Kuppeln zu errichten, mussten sich die Unentdeckten für die Menschheit opfern.

Die unmenschlichen Gene wurden in die Eizellen der überlebenden Frauen eingesetzt und je nach Unentdecktem, bekamen die Nachkommen bestimmte Merkmale wie die Farblosigkeit des Elfenbeinvolks, die die Kuppeln endgültig voneinander unterschied. Es war unklar, wie die Phänotypen entstanden waren, da die meisten Unsterblichen nicht wie die transgenen Menschen aussahen, die durch ihr Erbmaterial erschaffen wurden, aber dieser Fakt wurde von den Überlebenden akzeptiert, da es keine Alternative gab und auf den ersten Blick auch keine Nachteile. Die Dominanz der Unentdecktengene sorgten dafür, dass das Aussehen weitervererbt wurde und da alle nicht-transgenen Kinder innerhalb kurzer Zeit an der Strahlenkrankheit umkamen, wurde die Genlinie der herkömmlichen Menschen nach und nach ersetzt.

Die eingesetzten Unentdecktengene waren aus den vermeintlichen Unsterblichkeitsabschnitten isoliert worden, aber im Menschen entfachten sie nicht die vollkommene Kraft, da sie durch die menschlichen Allele geschwächt wurden. Die transgenen Menschen wurden nur resistenter gegen die Strahlung und andere Schadstoffe, aber dennoch war es ihnen nicht möglich vollkommen ohne Schutz oder Behandlung im Freien zu leben. Darum mussten die Soldaten – die einzigen Menschen, die Serajas Wissen nach außerhalb der Kuppeln lebten – in bestimmten Zeitabständen Genbehandlungen einnehmen, die in ihren Organismus eingriffen, Schäden rückgängig machten und die körperlichen Abwehrsysteme steigerten. Es hieß, dass bei manchen dieser Soldaten die Behandlungen derartig stark anschlugen, dass sie in gewisser Weise von ihrer Menschlichkeit geheilt wurden, ihnen also die Endlichkeit genommen wurde. In Eboris kursierten über diese unsterblichen Menschen nur Gerüchte, aber es hieß, dass jeder von ihnen von den Toten auferstehen musste um erkannt zu werden.