Sie starrte für einige Momente auf die Seife in die sich ihre Fingernägel gruben und merkte somit nicht, dass Theo wieder nähergekommen war.
Da das Wasser die im Bottich sitzende Seraja bedeckte und dank der Seife eher milchig, als durchsichtig war, wagte der Mann wohl ihr in die Augen zu sehen, als er sie fragte: „Weißt du wie man kocht?"
„Nein." stellte sie fest und erwiderte seinen Blick.
„Wie man wäscht?"
Seraja schüttelte den Kopf.
„Hast du eine Ahnung von irgendetwas, das mit Haushaltsführung zu tun hat?" Theo blickte sie zweifelnd an. Vermutlich konnte er sich ihre Antwort schon denken.
„Nein. Ich bin im Mutterturm aufgewachsen. Dort wird das für einen gemacht." erklärte sie und blickte Theo an. „Aber sind wir nicht hier um zu Soldaten ausgebildet zu werden?"
„Die Frauen nicht. Ihr kümmert euch ab jetzt um die Frauendinge hier im Lager. Wäsche, kochen, putzen und ... anderes." Das letzte Wort murmelte er nur noch leise. Seraja hatte ja gerade mitbekommen, was das andere beschrieb.
Ihre Nägel gruben sich wieder in die Seife und ihr Blick verlor sich schweigend im Wasser. Ihre Hände begannen zu zittern.
Sie wusste nicht, ob Theo das sah, denn er lief zu einem hübschen, abgewetzten Holzschrank, den er öffnete und zwei Mal die selbe Militärkleidung herausnahm. Einen Stoß legte er auf den Esstisch und den anderen auf sein Bett. Daraufhin holte er noch zwei Handtücher, wovon er eines auf dem Boden vor dem Waschkübel ausbreitete und das andere darauflegte, damit sich Seraja später damit abtrocknen konnte.
Das Schweigen, das sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte, während Seraja sich wusch und Theo alles weitere vorbereitete, wurde plötzlich von ihm unterbrochen: „Ich hab noch Eintopf in der Gefriertruhe. Den setze ich jetzt auf den Herd und wärme ihn auf. Ab Morgen bist du für den gesamten Haushalt in diesem Zelt zuständig, sowie für die Gefangenenversorgung. Ich bin mir sicher, dass du jemanden findest, der dir sagt, wie das alles geht."
Aus Ermangelung einer anderen Erwiderung oder eines alternativen Vorschlags sagte Seraja leise: „In Ordnung", wusch sich mit einem kleinen Wasserkübel die Seife aus den Haaren und wickelte sich in das kratzige, gräuliche Handtuch ein.
Als sie sich aus dem Wasser erhob, konzentrierte sich Theo sehr stark auf den rötlichen Eintopf, der inzwischen auf dem Herd in einem kleinen Topf köchelte.
Der Schwarzhaarige erwiderte nichts darauf, sondern rührte in dem Topf.
Während Seraja sich so schnell sie konnte anzog um den jungen Mann aus seiner Erstarrung zu erlösen, röhrte ihr Magen wegen des sich langsam breitmachenden, köstlichen Geruchs im Zelt auf.
Seraja ließ sich am Esstisch nieder, der Soldat drückte ihr Schüssel und Löffel in die Hände und platzierte den heißen Topf mit einem Schöpflöffel in der Mitte der Tischplatte. Er setzte sich ihr gegenüber hin und schöpfte sich selbst und ihr etwas von dem Essen in das Geschirr.
Kartoffelbrocken und Maisstücke schwammen in der roten Suppe.
Auch wenn Seraja schon lange nichts mehr gegessen hatte und ihr Magen laut nach Nahrung verlangte, hatte sie dennoch keine Freude daran die dicke Flüssigkeit Löffel für Löffel in ihren Mund zu schöpfen. Der Appetit war ihr auf dem Platz vergangen.
Die Situation, in der sie sich gerade befanden, war recht skurril. Wenigstens wurde die gemeinsame Mahlzeit der zwei Fremden nicht mehr von dem Wimmern missbrauchter Frauen untermalt. Der Platz musste wieder leer sein.
Seraja sah aus dem Plastikfenster, während sie mit lahmen Kiefer auf einem Kartoffelstück kaute. Es waren nur grüne Zelte zu sehen über denen ein dunkler Himmel hing. Es musste spät sein.
Mit harter, emotionsloser Stimme unterbrach Theo ihre Gedanken indem er sie anwies: „Das Geschirr wäschst du morgen ab. Und voraussichtlich bin ich um acht Uhr wieder hier. Ich will, dass um diese Uhrzeit mein Abendessen und mein Bad bereitstehen. Du hast ja schon gesehen, wie das geht. Kümmere dich darum. Und informiere dich am besten noch, wie man wäscht. Demnächst muss die Wäsche wieder gemacht werden."
Während der junge Mann, der kaum älter sein konnte, als sie, das alles befahl, wurde Seraja klar, wie er es zum Kommandanten geschafft hatte.
Er beendete sein Mahl vor ihr, stand auf und rollte eine braune Isomatte und einen dunkelgrünen Schlafsack neben dem Herd aus. Darin brannte noch ein kleines Feuer, dessen Rauch durch ein Rohr aus dem Zelt geleitet wurde.
„Das ist dein Schlafplatz. Wenn es dir dort zu warm ist, kannst du gerne wegrücken, aber es wird nachts oftmals recht kalt, also bleibe lieber in der Nähe des Herds." Er warf eine Anweisung, nach der anderen in den Raum. Kein freundliches Wort, keine Fragen.
Ihm lag wohl nicht sonderlich viel an einer guten Atmosphäre im gemeinsamen Zelt. Alles, was er tat und sagte, war abweisend.
Seraja schluckte den letzten Bissen und stellte das gebrauchte Geschirr auf dem Tisch in die Spüle.
Mit halbem Auge sah Seraja zu, wie sich Theo blitzschnell umzog und die Dreckwäsche in einen Wäschekorb räumte.
Theo lief an ihr vorbei, zu seinem großen Bett auf dem eine flauschige Decke und ein gemütliches Kissen lagen.
Er würdigte Seraja keines Blickes mehr und schaltete das Licht aus, sobald er unter seiner Decke lag, obwohl sie noch mitten im Raum stand.
Das fehlende Licht riss sie aus ihrer Starre. Tapsend suchte sie sich ihren Weg zu dem sanft orange glimmenden Herd. Wenn man genau hinhörte, dann nahm man leises Knacken in seinem Inneren wahr. Darin war tatsächlich echtes Holz.
Das Elfenbeinmädchen kniete sich hin, zog sich aus bis sie nur noch in Männerboxershorts und einem weiß-gräulichen Hemd auf dem Boden saß und kroch in das weiche Material. Sie platzierte sich so, dass sie aus dem Fenster sehen konnte und wandte ihren Rücken dem Herd zu um sich dort wärmen zu lassen.
Gerade als sie die Augen schloss, begannen sie. Die Schreie. Laute, leise, hohe, tiefe Frauenstimmen hallten durch die Zeltreihen der Lager. Hilflos, hoffnungslos. Voller Angst und Einsamkeit. Sie riefen um Hilfe und wimmerten vor Furcht.
Von irgendwoher stoben Funken auf und flogen an Serajas Fenster vorbei. Sie folgte ihnen, sah zu, wie sie verglühten.
Tränen brannten unter ihren Wimpern. Seraja gab ihnen im Schutz der Dunkelheit nach, versuchte so leise sie konnte zu weinen. Sie wollte im Angesicht der Schreie keine Schwäche zeigen. Verglichen mit den anderen Frauen in diesem Lager hatte sie es, wie es aussah, gut getroffen. Sie hatte Glück gehabt. Ihr stand es nicht zu zu weinen.
Dennoch tat sie es und wusste, dass Theo sie hören konnte. Es war ziemlich leise im Zelt, da die Plastikwände die Laute dämpften. Die meisten Laute, aber die Schreie nicht. Diese Schreie durchdrangen alles und gruben sich in Serajas Kopf. Ihre inneren Wände, die sie um ihre Erinnerungen aufgebaut hatte, wurden davon eingerissen.
Die Bilder des Tages drehten sich plötzlich hinter ihrer Schädeldecke, aber nur wenige Worte schienen immer wiederzukehren, während sie in einen unruhigen, von Albträumen heimgesuchten Schlaf glitt: Wie konnten sich Menschen das einander antun? Wie war das nur möglich?

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Elfenbeinmädchen
Ciencia FicciónSie legte ihren Finger an den Abzug und richtete die Waffe auf den Oberkörper des Fremden. Der Mann begann in den wenigen Sachen zu wühlen, die es hier gab. Als er direkt unter Seraja bei den Rucksäcken angekommen war, war ihre Furcht entdeckt zu we...