Eine Stadt bauen - Part 3

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Der Dom war einerseits der Versammlungs – und Wahlort des ganzen eborianischen Volkes, andererseits der Platz, wo die Sorella Matris die Messe las. Alles Bedeutende, das in Eboris stattfand, jeder Feiertag, jede Wahl wurde in dem großen, weißen Gebäude gefeiert, das als einziges in Eboris mehr in die Breite ging, als in die Höhe.

Einer dieser Tage an dem der Kuppeldom zum allgemeinen Treffpunkt wurde, war der Tag der Loswahl. Nicht nur die Familien der Achtzehnjährigen und die Achtzehnjährigen selbst, sondern auch alle Mitbürger, die gerade nicht arbeiten mussten, fanden sich vor der Kuppel ein und strömten in Massen in die Halle. Das Außergewöhnliche an diesem Tag war aber, dass die Achtzehnjährigen sich zuerst in langen Schlangen vor der Kuppel anstellen mussten um ihre Nummer zu bekommen, die dann von der Sorella Matris gezogen und ausgerufen werden konnte. Wenn das geschah, bedeutete das, dass diese Person in den Krieg zog. Das war unabänderlich.

Jeder hatte die gleiche Chance gezogen zu werden, da für jeden ein Los im Behälter war. Es war unwichtig, ob man arm oder reich, Frau oder Mann war. Wenn es die eigene Nummer war, dann war die Zeit in der Kuppel vorbei.

Aber Seraja hatte anderes über dass sie nachdenken musste.

Sie hatte jetzt nicht einmal den Nerv sich mit ihrer Tat im Mutterturm auseinanderzusetzen, denn ihre Gedanken begannen um die Hochzeit zu rotieren.

Sobald sie aus der Schlange heraus war – die sich im Übrigen sehr schnell fortbewegte – musste sie ihrem Verlobten entgegentreten und sie wusste nicht genau, ob sie dafür bereit war. Theon war das Zeichen dafür, dass ihr Leben in Eboris unwiederbringlich Geschichte war.

Unbemerkt von Seraja hatten nun auch die letzten Personen vor ihr ihre Nummern erhalten. Darum stand sie nun vor einer Frau in einem orangen Anzug, die eine zwar ebenfalls orange, aber ansonsten nicht zu der anderen Kleidung passende, Bommelmütze auf dem Kopf hatte. Es sah fast ein wenig lächerlich aus.

„Stillhalten und Arm." befahl die Dame mit harter Stimme.

Irritiert starrte Seraja in die Kamera, die ihr vor das Gesicht gehalten wurde, und streckte automatisch ihren linken Arm aus, nachdem sie ihn aus der Jacke gezogen hatte.

Die Frau in Orange drückte auf den Auslöser und ein kleiner Blitz erhellte Serajas Gesicht. Betäubt von dem Licht bekam sie nur noch vage mit, wie die Frau einige Zahlen auf ihren Unterarm schrieb, dann torkelte sie aus der Reihe und rannte – kurzzeitig erblindet, wie sie war – direkt in die Leibwächterin hinein, die neben ihr stand.

„23604." murmelte diese, als sie sie langsam zum Dom schob.

„Was?" fragte Seraja. Ihr Blick klärte sich und sie löste sich von ihrem Bodyguard um wieder allein zu laufen.

„Das ist deine Nummer. 23604." Sie folgte dem Blick der Frau und starrte die schwarzen Zahlen auf ihrer weißen Haut an.

Es sah aus, als hätte man mit schwarzem Stift auf lebende Papier geschrieben.

Das Elfenbeinmädchen riss sich von dem Anblick los und zog ihre Jacke wieder an.

„Wir müssen rein. Es werden sich schon alle fragen, wo wir bleiben und allzu lang haben wir nicht mehr Zeit. Dieses Jahr werden 2431 Lose gezogen. Wenn ich die 23604 bin, dann ist es nicht mehr weit bis zur 24310. Bis dahin sollten wir auf unseren Plätzen sein. Also los!"

Seraja trat durch die gigantischen, braunen Holztüren des strahlend weißen Kuppeldoms und drängte sich durch die Menge, sobald sie im Inneren angelegt war.

Die Leibwächter schlugen eine Schneise in die dichtgedrängte Menschenmenge. Man konnte die Achtzehnjährigen ziemlich einfach von den anderen unterscheiden, da nur sie das helle Weiß des Hochzeitstages trugen. Unter den prüfenden Blicken der Engel auf der gigantischen Kuppeldecke, lief Seraja auf den deutlich erhöhten Altar am anderen Ende des Saals zu. Ihr Blick huschte über die großen Balkone, die an den Wänden hingen und auf denen sich allerlei Menschen in bunter Kleidung tummelten. Dort oben waren vor allem die Bewohner Eboris versammelt, die keine Achtzehnjährigen Verwandten hatten. Die Menschen über ihr waren nur Zuschauer bei dem baldigen Spektakel. Um sie herum dagegen lagen sich Familien, Freunde und Liebende mit tränenden Augen in den Armen. Falls der Fall der Fälle eintreten sollte, wollte man die Verabschiedung schon hinter sich haben, da später keine Zeit dafür blieb.

ElfenbeinmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt