Der Vulkan des Herzens. - Part 2

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Seraja nahm kaum wahr, wie sie an den zwei Wachen vorbeistolperte, die bereits die Reste des Punsches verwerteten und sie im Grunde genommen nicht beachteten.

Das Mädchen torkelte, zum Teil in dem überaus starken Punsch, zum Teil in Irritation zu begründen, die Wege entlang, die zum Hauptplatz führten. Je näher sie der Lagermitte kam, desto lauter und voller wurde es um sie herum.

Vor den Gefängniszellen hatte sie lachende Menschen gehört, nun sah sie sie. Vor den Gefängniszellen hatte die Luft Trommeln und Gesang zu ihr getragen, nun vibrierte der Boden davon. Die Welt schien sich in der kurzen Zeit, die Seraja in den Wiesen verbracht hatte, komplett auf den Kopf gestellt zu haben, denn ungezählte Halbmenschen mit Gesichtern wie von einem Künstler erschaffen, bahnten sich ihre Wege an Seraja vorbei. Die Luft pulsierte vor Stimmen und Geräuschen.

Serajas Verstand rauschte und als ein Mann mit sandgelber Maske ihr einen Becher in die Hand drückte, der förmlich nach Alkohol stank, schüttete sie das Gebräu herunter um das Rauschen zumindest zu beruhigen. Da die Welt sich nicht entschleunigte, langte sie nach und trank noch ein drittes Glas.

Wie süßes Feuer rannen die Getränke ihre Kehle hinab.

Alles roch nach Schweiß und Menschen und dem Leder, das die heutigen Gesichter von allen bildete.

Serajas Herz pulsierte vor Emotionen und Musik und Alkohol und irgendwann gelangte sie trotz der sich nur schleppend bewegenden Menschenflut an den Hauptplatz.

Man konnte behaupten, dass nichts an diesem Ort ihr dabei helfen konnte ihre Gedanken zu sortieren.

Die Welt schien auf den Kopf gestellt und die Menschen gleich mit.

Der Platz war vollkommen überfüllt, überall standen die bemaskten Kreaturen der Nacht, die egal ob Mann oder Frau, miteinander lachten und sprachen und tanzten und sangen.

Es war, als hätte der Terror der letzten Wochen niemals existiert. An den langen, weißen Haaren, die an der Rückseite einiger Masken herausquollen, konnte man erkennen, dass sich die Elfenbeinmädchen unter die Menge gemischt hatten. Hier, geschützt hinter ihren Masken, liefen sie mit hoch erhobenem Kopf und sprachen mit lauten Stimmen. Sie schienen wieder zu dem geworden zu sein, das sie einmal waren und in der Mitte der Zelte und Menschen gab es eine große Zahl an Frauen und Männern, die sich im Rhythmus der Musik hin und her warfen, die die Tänze aus Eboris und Nigolor vermischten bis etwas vollkommen Neues entstand, das noch tausendmal anziehender und schöner und phantastischer war als die Tänze für sich genommen. Die Bewegungen waren imperfekter, aber die zweikupplige Musik schöner, die Menschen waren unkontrollierter, aber um so vieles glücklicher.

Vollkommen übermannt von all den Eindrücken und Erinnerungen, blieb Seraja am Platzeingang stehen und wurde so nach und nach von den Menschenströmen nach vorne gedrückt.

Um sie herum konnte sie viele Leute reden sehen und hören. Es redeten Männer mit Männer, Frauen mit Frauen und die Geschlechter untereinander, aber was Seraja regelrecht schockierte war, dass es Menschen gab, die sich küssten. Unter den Masken von vielen Paaren sah man eine ähnliche Farbverteilung. Kurze, schwarze Haare auf der einen Seite und lange, weiße auf der anderen. Den Körperhaltungen der Frauen nach, taten sie das freiwillig. Sie küssten die Monster, die ihnen allnächtlich unaussprechliches antaten, freiwillig.

Das Mädchen verstand nicht, bis sie ein Muster unter all den Küssen entdeckte. Niemand küsste maskenlos. Manche hatten sowieso nur halbgesichtige Maskierungen, andere hatten sich ihr falsches Gesicht nur etwas nach oben geschoben, sodass sie den Mund des jeweils anderen erreichen konnten. Es war ein seltsamer Anblick, aber mit den Masken schienen die Menschen dahinter andere zu sein. Andere Personen mit anderen Geschichten. Es schien, als hätte ein jeder den Vortag vergessen.

ElfenbeinmädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt