Sie hatte Fira Wasser versprochen und in einigen Zellen eine Art Wassertrog entdeckt, den man sicherlich fluten konnte und Seraja würde wetten, dass der dazugehörige Hahn irgendwo in Zelle 1 zu finden war.
Das Problem war nur, dass die Zelle dunkel und ekelerregend und voll gestellt mit unwichtigen Dingen war, die die wichtigen verschluckten. Darum dauerte es eine ganze Weile bis sie den Drehknauf fand, der die Wasserversorgung regelte. Schnell drehte sie ihn auf und hörte dann genau hin.
Tatsächlich drang aus dem Gang lautes Geplätscher zu ihr durch.
Es hatte funktioniert. Die Gefangenen waren versorgt.
Sie hatte ihr Versprechen an Fira erfüllt.
Das machte sie auf eine seltsame, hilflose Art und Weise stolz.
Darum befand sie, dass sie sich eine Pause verdient hatte. Das Schwanken zwischen Tränen und Glück machte ihrem ausgehungerten Körper ganz schön zu schaffen. Dem Sonnenstand, den sie vom Fuß der Treppe aus begutachtete, zu urteilen, war es Mittag.
Seraja stieg nach oben.
Die zwei Wächter verloren kein Wort über ihren Auftritt gerade eben. Rattengesicht grinste sie nur wissend an. Vermutlich hatte er auch schon einmal die Gefangenen gefüttert. Plötzlich war er ihr ein wenig sympathischer, was er aber mit einer obszönen Bemerkung auf ihre Frage hin, wo man Mittagessen konnte, gleich wieder verspielte.
Es war der Große, der ihr mit seiner stumpfsinnigen Stimme antwortete: „Du musst zum großen Platz. Das Zelt gegenüber vom Kommandanten ist eine Großküche. Dort wird Essen ausgegeben." Bei dem Gedanken glitt sein Blick begehrend in die Richtung.
„Soll...soll ich euch etwas mitnehmen?" fragte Seraja zögerlich, mehr an den Riesen vor ihr gewandt. Auch wenn er rein vom Körperbau gefährlicher war, kam er ihr deutlich freundlicher vor. Seine Dumpfheit war es wohl, die ihn halbwegs friedlich wirken ließ.
Seine kleinen Äuglein blitzten bittend auf und er nickte langsam mit dem Kopf.
„Da du mein voriges Angebot abgelehnt hast, ist das wohl das Mindeste, was du für mich tun kannst. Außer du hast deine Meinung geändert..." Das Rattengesicht grinste anzüglich.
„Also drei Portionen. Ich bin gleich wieder da." war ihre trockene Antwort darauf. Sie warf dem Kleinen einen ziemlich eindeutigen, ziemlich verabscheuenden Blick zu und ging. Das dumpfe Lachen vom Riesen wurde hinter ihr hergetragen, als sie sich ihren Weg durchs Lager bahnte.
Auf dem Weg zum Hauptplatz wurden die Gassen voller und voller. Manche Soldaten trugen schon dampfende Schalen vor sich her und sprachen mit ihren Begleitern. Seraja entdeckte sogar einige Elfenbeinmänner in Tarnkleidung, die allerdings weniger entspannt als die anderen Militärs wirkten. Wen sollte es wundern? Sie hatten ihre Ausbildung gerade erst begonnen und saßen seit einem Tag in einer völlig fremden Welt fest in der plötzlich nicht mehr Frauen sondern Männer das Sagen hatten. Zu dem sowieso bestehenden Schock durch die Loswahl und alles damit Einhergehende, kam also auch noch ein Kulturschock hinzu.
Sie warf ihnen einen aufmunternden Blick zu, aber niemand erwiderte ihn. Die Männer starrten nur auf ihr unangerührtes Essen.
Dem Geruch nach zu urteilen gab es einen Fleischeintopf – man stand hier wohl ziemlich auf Eintöpfe – mit geschnittenem Gemüse. Vermutlich stammte das Fleisch von den dank der radioaktiven Strahlung übergroßen Ratten oder von Vögeln, die man aus der Luft geschossen hatte.
Sobald Seraja den Platz betrat, stockte ihr erst einmal der Atem. Hier war es beinahe so voll, wie zu einer Allmuttermesse in ihrer Heimat im Kuppeldom. Ganze Soldatenhorden drängten sich Rücken an Rücken auf dem Platz. Sie lachten und sprachen und aßen so laut sie konnten, versuchten durchgehend einander zu übertönen um noch etwas verstehen zu können.

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Elfenbeinmädchen
Ciencia FicciónSie legte ihren Finger an den Abzug und richtete die Waffe auf den Oberkörper des Fremden. Der Mann begann in den wenigen Sachen zu wühlen, die es hier gab. Als er direkt unter Seraja bei den Rucksäcken angekommen war, war ihre Furcht entdeckt zu we...