„Wir sind heute zusammengekommen um das Leben zu feiern und zu ehren. Das Leben, das uns durch unsere Soldaten an vorderster Front vor den Toren der Kuppel erhalten wird. Das Leben, das sich jährlich durch die Hochzeiten nach der Loswahl neu begründet. Das Leben, das durch unsere heutige Verbindung mit Nigolor gestärkt wird.
Heute ist der Beginn so vieler neuer Verbindungen. Im Großen, wie im Kleinen."
Erneut erklangen Glocken, diesmal hellere. Während Levana ihre Arme so bewegte, dass sie nun in der Waagerechten weit geöffnet waren, trugen die Messdienerinnen im Hintergrund ein gigantisches, silbernes Weihrauchfass heran. Lange Ketten - und Seilgebilde kamen plötzlich von der Decke auf den Boden zu und die Frauen in Silber, um deren freie Hautstellen sich blaue Gebetsformeln rankten, machten sich daran das Weihrauchfass anzuketten und nach oben zu ziehen.
Langsam verklangen die Glocken und Serajas Mutter sprach weiter.
„Heute werden aus zwei Leben eines, aus zwei Armeen eine und selbst aus zwei Kuppeln eine. Um unsere Verbindung mit Nigolor gebührend zu würdigen, werden heute nicht nur meine Tochter Seraja und Theon der Zarensohn Nigolors den Bund der Ehe eingehen, nein! Die ersten Hundert der Loswahl werden in die Armee von Nigolor eingeführt werden. Im Austausch dafür wird ein großer Teil der nigolorischen Soldaten sich zu unserem Militär hinzugesellen und unsere Kuppel mitverteidigen. Vom heutigen Tage an werden unsere Kuppeln unwiederbringlich verbunden sein. Wenn wir leben, dann lebt Nigolor mit uns. Wenn wir sterben, wird auch Nigolor mit uns untergehen. Nach dem heutigen Tag gibt es kein Zurück mehr!
Also lasst uns beginnen!"
Ein Glockenschlag kündigte den Beginn der Loswahl an. Tief und dröhnend wurde er von den Wänden zurückgeworfen. Zwei Dienerinnen brachten eine große Glaskugel mit einer Öffnung, die gerade groß genug für eine Hand war. Das Weihrauchfass hatte die erforderliche Höhe erreicht, der helle Rauch quoll aus den seitlichen Öffnungen hervor und verteilte sich in der Kuppel. Der Silberbehälter begann sanft zu schwingen, als einige Messdienerinnen an den Seilen zogen.
Um das Seilgebilde herum, bildeten die übrigen geistlichen Damen einen Kreis und begannen in sich steigernder Lautstärke zu singen, während die Kreise des Weihrauchfasses größer wurden und sich immer mehr Rauch in der Kuppel verteilte:
„Mater omnis vivit,
super stella impendit,
nos defendit,
nos superexaltat,
Mater omnis vivit."
Levana vergrub ihre langen Finger in dem weißen Papierhaufen und zog die erste Nummer.
Schnell las sie die Zahlen und rief dann mit lauter Stimme: „104!"
Die Sorella Matris reichte den kleinen Zettel an eine der Messdienerinnen weiter, die die Glaskugel gebracht hatten.
Seraja hob ihren Blick und sah hinauf zu der Leinwand auf der nun das Gesicht eines Jungen mit noch leicht kindlichen Zügen erschien.
Der Frauenchor begleitete die Bewegung in der Menschenmenge, als sich eben jene vor dem jungen Mann teilte wie das Meer einst vor Moses, wenn man dem Christentum Glauben schenken wollte.
Er war groß gewachsen und ziemlich schlaksig. Seine weiße Kleidung stand ihm nicht übermäßig gut und verdeckte das Zittern, das von seinem Körper Besitz ergriffen hatte, nicht. Auf wackligen Beinen, mit vor Schock geweiteten Augen lief er wie in Trance auf den Altar zu.
Noch auf seinem Weg, rief Levana die nächste Zahl: „5489!"
Das Bild des Jungen verschwand und machte dem eines Mädchens Platz, das Seraja aus der Kinderstube des Mutterturms kannte.
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Elfenbeinmädchen
Science FictionSie legte ihren Finger an den Abzug und richtete die Waffe auf den Oberkörper des Fremden. Der Mann begann in den wenigen Sachen zu wühlen, die es hier gab. Als er direkt unter Seraja bei den Rucksäcken angekommen war, war ihre Furcht entdeckt zu we...