Chapter 19

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Das erste, was ich erblickte, war Lucien. Also lief ich zu ihm und berührte ihn an der Hand, damit er sich zu mir umdrehte. "Alles okay mit dir?" Selbst in meinen Ohren klang diese Frage seicht und dumm. Natürlich war er nicht okay. Er hätte tot sein können. Aber er nickte und hob das Kinn. Ich roch, dass er immer noch betrunken war, riss mich aber zusammen und sagte nichts dazu. "Ja, klar, Baby. Ich hatte ihn fast, aber dann musste ja dein Bodyguard da eingreifen", erwiderte er großspurig und grinste überheblich. Am liebsten hätte ich ihm eine reingehauen. Aber das hatte Nate ja schon quasi für mich erledigt.
"Spinnst du?", fuhr ich ihn an. "Er hätte dich fast erwürgt! Wie ist das überhaupt passiert?"
Lucien zuckte nur die Schultern. "Risiko des Lebens, Schätzchen. Er hat mich angemault, ich habe ihm die Meinung gesagt, und da ging er auf mich los." Ich schüttelte den Kopf. Ich glaubte ihm nicht. "Und du konntest natürlich gar nichts dafür."
Ich ließ ihn stehen, zu sehr war ich mit den Nerven am Ende, und stellte mich zu Mike. Dieser sah meinen Gesichtsausdruck und musterte mich sofort besorgt. "Gehts dir gut?" Ich war zu aufgewühlt, um viel zu sagen, und mein Blick schweifte immer noch dahin ab, wo ich vage Randall und Amber ausmachen konnte. "Nicht wirklich. Ich fasse es nicht, dass Lucien das provoziert hat. Dass beide so dumm sind." Mike zog eine Grimasse. "Hey. Lucien konnte nichts dafür. Nicht wirklich. Nate wollte ihn sprechen und hat ihn angegriffen."
"Wenn es so war, wie er sagte", fügte ich zuckersüß hinzu.
Ich machte aus den Augenwinkeln eine schnelle Bewegung aus und fuhr reflexartig herum. Nate kam auf uns zu. Seine Muskeln waren angespannt, und die Aura seiner Verärgerung traf mich so hart wie ein Faustschlag. Seine sonst so ruhigen blauen Augen waren so dunkel, dass sie fast schwarz wirkten und er hatte die Hände zu Fäusten geballt. Ich konnte ihn vor Wut schnauben hören, das Grollen eines Wolfs in der Kehle. Und diesmal war sein Ziel nicht Lucien, nein, diesmal war ich das. "Dess!", brüllte er über die halbe Terrasse und ich spannte mich kampfbereit an. "Was willst du?", fauchte ich wütend. "Du bist an allem Schuld!", knurrte er bösartig, fuchsteufelswild. "Lass uns endlich in Ruhe!", schrie ich ihn panisch an. Meine Stimme brach fast, auf halbem Weg. Mein Herz raste vor Angst und Adrenalin. Uns trennten höchstens noch zwei Meter. "Dich? Sicher nicht", antwortete er mit plötzlich fast tödlicher Ruhe in der Stimme, kurz, bevor er mich erreicht hatte.

Plötzlich stand Louis vor ihm. "Nate, mach keinen Scheiß, beruhig dich...", meinte er nervös und legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn festzuhalten. Dann passierte alles ganz schnell. Nate packte ihn mit seinen Pranken und warf ihn über seinen Rücken hinweg zu Boden. Man hörte ein lautes Knacken, und ich betete darum, dass es Louis gut ging. Wutschnaubend lief Nate weiter, scheinbar unaufhaltsam, und achtete gar nicht darauf ob er Louis geschadet hatte oder nicht.
Und dann warfen sich alle auf ihn, Mike vorne dran. Ich sah nur noch, wie dieser einen Faustschlag abbekam und Blut ausspuckte, und sich dann wieder hinein warf. Dann verwandelten sich alle und ich verlor den Überblick. Ich wurde zurück gedrängt und Lucien zog mich aus dem Chaos heraus. Ich glaube Randall war wieder derjenige, der Nate unter Kontrolle brachte; ich konnte zumindest vier Wölfe entdecken, die miteinander rangen, und einer davon war schwarz. Und Lucien war es ganz sicher nicht, obwohl er für dieses Chaos verantwortlich war. Enttäuschung und Wut vermischten sich bei mir gleichzeitig, und hinzu kam die Tatenlosigkeit. Ich wurde fast irre. Verstört drehte ich mich zu Lucien. "Warum?", fragte ich ihn erbost. "Warum musstest du dich nur schon wieder mit ihm anlegen? Ich kann langsam nicht mehr!" Er schien verwirrt und schüttelte den Kopf. "Er hat mich doch angegriffen..." Ich wandte mich von ihm ab. Für heute hatte ich genug von allem. Einschließlich von Lucien. "Ja, aber klar. Erzähl das jemand anderem. Dazu kenne ich dich zu gut."

Nach dem Kampf war mittlerweile Ruhe eingekehrt und irgendwer hatte Nate freundlicherweise zwischenzeitlich entfernt. Louis war in der Küche und wurde versorgt, außer Rückenschmerzen ging es ihm den Umständen entsprechend gut; und ich saß draußen auf der Veranda auf einer Bank und starrte ins Nichts, den Kopf in die Hände gestützt. Meine Gedanken waren leer, obwohl ich so viel fühlte. Wut, Trauer, Hass, Angst. Konnte ich Nate wirklich hassen? Ich wusste es nicht. Kann man jemanden hassen, den man einmal geliebt hat? Ich war wütend auf beide, und mein Gefühl sagte mir, ich musste Lucien loswerden, solange ich noch konnte. Ja, ich mochte ihn, aber dieses ganze Chaos war mir das wirklich nicht wert. Mein Rudel stand an erster Stelle, egal was ich fühlte oder wollte. Ich schluckte schwer und zuckte erschrocken zusammen, als mir jemand die Hand auf die Schulter legte und sich neben mich setzte. "Hey Kleines", meinte Randall leise und strich mir eine blonde Haarsträhne hinters Ohr. "Wie gehts dir jetzt?"
Ich zog eine Grimasse. "Toll. Ich habe nur Lust auf einen Massenmord, aber: Toll."
Er seufzte und nahm mich in den Arm. Erst war ich ein bisschen überrascht, dann schmiegte ich mein Gesicht an seine Brust und entspannte mich. Das tat mir gut. Er tat mir gut. Lange sagte er nichts, bis er sanft anmerkte: "Ich habe Lucien erst mal weg geschickt, damit sich alle beruhigen können." Ich nickte, rührte mich aber ansonsten nicht. "Wenn Nate versuchen sollte dich anzufassen, bring ich ihn um", fügte er genauso ruhig hinzu und ich sah auf. "Was?" Seine Augen waren so schön und doch so kalt wie Eis. "Ich werde dich immer beschützen, Desi. Belassen wir es dabei." Sein Lächeln wirkte traurig und ich merkte, dass er nicht darüber reden wollte, also bedrängte ich ihn auch nicht. "Was willst du jetzt tun?", fragte Randall mich und fuhr mir mit der Hand beruhigend über den Rücken. Wenn er da war, fühlte ich mich beschützt. "Keine Ahnung", murmelte ich. "Lucien sagen, dass er verschwinden soll, schätze ich."
Es war für einen Moment lang still. "Liebst du ihn?"
"Lucien?"
"Ja."
Ich dachte zum ersten Mal über diese Frage ernsthaft nach. "Ich hatte ihn echt gerne, aber er leistet sich zu viel Scheiße. Und auf deine Frage: Nein, ich liebe ihn nicht. Nicht genug zumindest. So lange kennen wir uns ja noch nicht mal."
Wusste ich denn, was Liebe war? Schmetterlinge im Bauch?
Nein, eigentlich nicht. Mit Nate war ich zusammen gekommen, als ich noch relativ jung und dumm gewesen war. Er gab mir Sicherheit und war jemand, der mich verstand, bis sich in unserer Beziehung das Blatt gewendet hatte. Seitdem...scheute ich vor Bindungen zurück. Ich mochte es nicht, von jemandem abhängig zu sein. Mochte es nicht, wenn jemand versuchte mein Leben unter seine Kontrolle zu bringen. Ich wollte frei sein. Vielleicht würde ja irgendwann jemand kommen, mit dem ich zusammen sein und das alles trotzdem haben konnte. Und den ich wirklich liebte...
Randall blickte auf mich hinab und einer seiner Mundwinkel hob sich leicht. "Dann gib ihm die Chance, jemand anderes zu finden, mit dem er glücklich ist. Und dir auch." Ich seufzte und wusste tief in meinem Inneren, dass er Recht hatte. Ich würde nie wirklich die Gelegenheit haben, Lucien besser kennen zu lernen, wenn er mit dem Rudel nicht klar kam. Und offenbar hatten mehr Leute ein Problem mit ihm, nicht nur Nate. Ich hatte sie ja vorhin reden gehört, nach der Schlägerei. Jeder war fassungslos gewesen von Nates Ausraster, aber genauso verärgert über Luciens Provokation, die durchaus stattgefunden hatte, wie ich erfahren musste. Sie hatten sich wegen mir und wegen ihrer Meinungsverschiedenheiten geschlagen, aber Lucien hatte Nate gedroht. Klar, dass dieser als Alpha die Nerven verloren hatte. Das konnten die anderen nur schwer nachvollziehen, aber Randall und ich verstanden es ein Stück weit. Das rechtfertigte es zwar dennoch nicht, aber wir verstanden es.
"Ich hoffe, er kommt damit irgendwie klar", meinte ich erschöpft. "Lass dir Zeit. Rede morgen mit Lucien, es ist schon spät. Alles wird gut, Kleine." Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und ich lächelte fast schon wieder.
"Geh schlafen." Ich schloss die Augen. "Kann ich doch sowieso nicht."
"Dann lass uns als Wölfe laufen", schlug er vor und ich zögerte. Sollte ich das riskieren? Irgendwo machte ein feindliches Rudel das Gebiet unsicher, und ich hatte heute wirklich nicht die Nerven für eine weitere Katastrophe. "Morgen müssen wir uns um die Rudelangelegenheiten kümmern", erinnerte er mich mit einem leicht leidenden Gesichtsausdruck. "Wenn du den Wald noch einmal genießen willst, bevor das Chaos losbricht, würde ich es dir heute empfehlen." Ich rieb mir über die Augen, nickte aber. Wenn die ersten unserer Erkundungstrupps losgeschickt werden würden, wäre der Wald bald ein Kriegsgebiet. Ich wollte nicht, dass es zu einem Rudelkrieg käme, aber mein Bauchgefühl sagte mir, dass wir schon verdammt nahe davor waren. Auch deswegen konnte ich Lucien nicht gebrauchen. Er spaltete die Gruppe, in der Zeit, in der sie den Zusammenhalt am Nötigsten brauchte. "Gehen wir", sagte ich und stand auf. Dann reichte ich Randall eine Hand. Das Lächeln, das er mir schenkte, taute mein Herz wieder ein kleines bisschen auf, als seine Finger meine umschlossen.











Hey! ;) Wollte erstmal danke danke danke für über 1000 Reads sagen, ihr seid toll!
Und mich gleich dafür entschuldigen, dass meine Updates zur Zeit minimal unregelmäßig kommen
Bin im Studium angekommen und versuche da momentan mein anderes Chaos zu sortieren, und am Wochenende habe ich mein eigenes Rudel zu beschäftigen
Ich versuche aber ab jetzt wieder öfters zu updaten *.*
Liebe Grüße an alle Reader, Follower und meine kleinen Wölfchen :3 Hab euch lieb ❤

Wolf Pack - Completely InsaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt