Chapter 20

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Wir liefen Seite an Seite über die Wiese und betraten den Wald. Jedes Mal war es wie Nachhause zu kommen. Das kühle und sanfte Moos unter den Füßen, der typische frische Geruch des Waldes und die Geräusche der Natur. Die Wut und Frustration, die sich in mir zusammen geballt hatte löste sich langsam und ich atmete tief durch. Ein kleines Lächeln umspielte Randalls Lippen, als er mich dabei beobachtete, wie ich mich entspannte. Ich blinzelte ihn auffordernd an und er streckte sich sofort, begann damit, sich zu verwandeln. Obwohl ich das schon oft gesehen hatte, war es jedesmal wunderschön und erschreckend zugleich. Es fängt damit an, dass ein Kribbeln durch deinen ganzen Körper fährt, von den Fingerspitzen aus, bis hin zu den Füßen. Du spürst die Magie, die dich ihren Regeln unterwirft und dich in eine andere Form bringen will. Deine Knochen verschieben sich, was sich schmerzhaft anhört, aber das ist es nur zu Anfang. Man gewöhnt sich irgendwann daran und die Freude wieder du selbst sein zu dürfen, überwiegt den Schmerz. Du erträgst ihn leichthin, weil es ein guter Schmerz ist. Dann landest du auf allen Vieren und wirst komplett zum Wolf. Deine Gedanken verändern ihre Struktur und du spürst die Instinkte des Tieres in dir doppelt so stark wie sonst. Auch so sind wir in menschlicher Gestalt schon hypersensibel, was Geräusche und Gerüche angeht, und unser Bedürfnis zur Jagd ist sehr ausgeprägt. Aber das war nichts gegen unser wölfisches Ich, sobald es mal seine Ketten gesprengt hatte. Es bedarf eines sehr starken Willens, um den Wolf immer unter Kontrolle zu halten.
Randall schloss die Augen und verwandelte sich, fiel auf die Knie und stand nur Sekunden später als Wolf wieder auf. Er schüttelte sein schwarzes Fell und blickte mich mit seinen blauen, strahlenden Augen an, forschend, als würde er mich fragen wollen, was ich gerade dachte. Ich kniete mich vor ihn ins Moos, strich ihm durch das schöne, glänzende Fell und er legte seinen Kopf in meine Hand. "Danke, dass du mir immer zur Seite stehst", sagte ich leise und umarmte den Wolf vor mir. Er hechelte und hielt einfach still. Dann ließ ich ihn los und rief meinen Wolf zu mir. Nur ein paar Augenblicke verstrichen, und ich lag als weißer Wolf vor ihm auf dem Waldboden. Er sprang auf und rannte plötzlich los, forderte mich dazu auf ihm zu folgen. Also schoss ich los und holte ihn bald ein. Es tat gut und meine Muskeln reagierten erfreut auf die vertraute Bewegung, dehnten sich und gewannen an Kraft. Wir stoppten irgendwann an dem Bachlauf, an dem ich mit Lucien gewesen war und ich seufzte. Randall bemerkte meinen minimalen Stimmungsknick und sprang mit einem Mal ins kühle Nass. Eine Welle erwischte mich, so nah am Ufer wie ich stand und ich war klatschnass. Dejavu. Empört schnaubte ich und setzte hinterher. Es war echt kalt und wir mussten gerade so schwimmen, um darin nicht unter zu gehen, da unsere Pfoten den Boden nur knapp streiften. Dass es noch relativ dunkel war und der Morgen gerade erst dämmerte machte es nicht besser, aber es machte Spaß. Ich jagte ihn und zum Schluss drehte er den Spieß um und außer Atem flüchtete ich ans rettende Ufer. Er sprang mich von der Seite an und wir kugelten über die Wiese. Es war spielerisch, kein Machtkampf. Aber bei Randall war ich mir ziemlich sicher, dass er mir überlegen war, auch wenn er es mir nicht unter die Nase rieb. Ich schnappte nach seiner Schnauze und er biss mir leicht in die Pfote, dann lag er halb auf mir und sah mir scheinbar grinsend in die Augen. Ich brummte und begann damit, mich zurück zu verwandeln. So ein bestimmt hundert Kilo schwerer Wolf auf dem Brustkorb war nach einer Weile auch nicht ohne, selbst wenn man selbst ein Wolf war. Fragt mich nicht wie die Umrechnung von Mensch in Wolf funktioniert, 1:1 war es jedenfalls nicht. Kaum war ich wieder Mensch und öffnete die Augen wieder, war auch Randall wieder in seiner normalen Gestalt und hatte beide Arme neben meinem Kopf abgestützt. Von mir runter war er allerdings immer noch nicht gegangen. Ich hob amüsiert eine Augenbraue und konnte aus irgendeinem Grund den Blick nicht von ihm abwenden. Seine blauen Augen strahlten und ich hielt den Atem an. Ihm schien es ähnlich zu ergehen und sein Blick wanderte über mein Gesicht, bis zu meinen Lippen. Er schluckte und sein Gesichtsausdruck wurde irgendwie...weicher. Er sah in diesem Augenblick so verletzlich und unsicher aus, dass es mir fast das Herz zerriss. Gerade, als ich den Mund zögerlich öffnete, um etwas zu sagen - keine Ahnung, was - nur um seinem brennenden Blick etwas entgegen zu setzen, knackte etwas im Wald. Wir fuhren beide auseinander und der Funken, der zwischen uns getanzt hatte, erlosch wieder. "Was war das?", fragte ich ihn alarmiert. Er stand innerhalb von Sekunden und half mir auf. Sein kompletter Körper hatte sich angespannt, kampfbereit. "Ich weiß es nicht. Aber etwas Großes. Wir sollten hier so schnell wie möglich verschwinden." Sein Tonfall war ernst, aber auch ein wenig frustriert, wenn ich das richtig interpretierte. Hatte er mich küssen wollen? Verdammt, ich würde es nie erfahren, dank eines für uns noch gestalts- und gesichtslosen Monsters, das wahrscheinlich auf Kathrinas Mist gewachsen war. Ich würde diese kleine Schlampe killen, sobald ich die Gelegenheit dazu bekam.

Lautlos schlichen wir durch die Dämmerung des Waldes, einzeln, aber in Sichtweite des anderen. Ich duckte mich schnell flach an einen Baum, als ich es wieder hörte. Es schnaufte und streifte durch eine Gebüsch. Verdammt. Es hörte sich echt groß an, Randall hatte Recht gehabt. Schon seit mindestens einer halben Stunde versuchten wir dem Ding irgendwie unauffällig zu entkommen, aber es schien immer in der Nähe zu bleiben. Einen richtigen Blick hatte ich aber noch nicht darauf erhaschen können. Ich biss die Zähne zusammen. Wenn wir losrannten, würden wir es direkt zu uns Nachhause führen, falls wir denn überhaupt entkamen. Und ich hatte keine Lust darauf, dass es dort ein Gemetzel anrichtete, vor allem da sich Finn und die anderen jungen Wölfe, die ich keiner Gefahr aussetzen wollte, dort befanden. Aber dieses im Kreis laufen und verstecken, was wir hier trieben, hatte auch keine Aussicht auf Erfolg. Gerade als ich um die Ecke lugen und Randall ein Zeichen geben wollte, hörte ich ein Rascheln und Knacken direkt hinter mir. Scheiße. Ich bekam eine Gänsehaut. Das Vieh befand sich wahrscheinlich direkt auf der anderen Seite des Baumes, an dem ich lehnte, und ich fluchte lautlos. Krallen scharrten über den Boden, über Stein, und bei diesem Geräusch stellte es mir die Nackenhärchen auf.
Es schnüffelte in der Luft und gab ein dunkles Grollen von sich. Ich atmete so leise und wenig wie möglich und verharrte bewegungslos. Die harte Rinde des Stammes drückte sich fast schmerzhaft in meinen Rücken.
Randall und seine Pläne. Ich begann diesen Tag zu hassen. Schnell ging ich im Kopf meine Möglichkeiten durch. Okay, so oder so war ich im Arsch. Ich schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Ich rief meinen Wolf zu mir, verwandelte aber nur meine Finger und meine Zähne. Eine bessere Alternative blieb mir nicht. Krallen und Zähne gegen Krallen und Zähne. Auch wenn das Vieh wahrscheinlich in etwa dreimal so groß wie ich war. Richtig verwandeln konnte ich mich dann immer noch, aber das würde jetzt zu viel Lärm machen und meinen Überraschungseffekt ruinieren.
Eine schwarze, fellige Schnauze schob sich direkt neben meinem Kopf hinter dem Baum hervor...

Wolf Pack - Completely InsaneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt