Erkentnisse

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So viel Hass ...

So viel Angst ...

Sie hielt ihn sekundenlang in ihrem Bann, gelähmt vor Schreck. Er schaffte es nicht, sich von diesen Augen loszureißen. Ohne Worte und ohne einen Zauber zu verwenden, schien sie ihn völlig außer Gefecht gesetzt zu haben.

Die Entscheidung, wie er jetzt reagieren sollte, wurde ihm schon einen Moment später abgenommen. Liora erwachte als erste aus ihrer Starre. Ihr Schrei fuhr ihm durch die Glieder und Snape zuckte zurück. Er verlor das Gleichgewicht und landete auf dem Teppich, bevor er seinen Zauberstab zu fassen bekam und „Silencio" rufen konnte. Sofort war es still im Raum und er erlaubte sich aufzuatmen.

Sie war ruhig, doch noch immer in der Lage sich zu bewegen. Das Nächste das er mitbekam war, wie etwas Rotes von der Couch huschte und sich in einem Tempo, das er ihr nicht zugetraut hatte, in einer Ecke des Wohnzimmers verkroch. Wie zur Hölle konnte sie in ihrem Zustand nur so verdammt schnell sein? Gerade eben lag sie noch blutend am Boden und nun flüchtete sie wie ein verschrecktes Reh durch seine Wohnung. Er fluchte leise, erhob sich und ging in die Richtung, in der er seinen „Gast" vermutete.

Tatsächlich, sie saß zusammengekauert zwischen dem Bücherregal und der Truhe und sah ihn aus großen Augen an, als er sich vor ihr aufbaute und sie mit düsterem Blick musterte. Dieser unnötige Anfall von Panik hatte seine Laune ordentlich gedrückt. „Steh auf!", sagte er deswegen mit unnötig lauter Stimme und sie zuckte erschrocken zusammen.

Zu Snapes Erleichterung folgte sie seinem Befehl schon im ersten Anlauf und ersparte ihm damit darüber zu sinnieren, wie er seinen Willen durchsetzen könnte. Liora brauchte lange, um sich hoch zu kämpfen und er konnte sehen, dass diese kurze Anstrengung ihr schon wieder den Schweiß auf die Stirn trieb. Er musste dieses dumme Spiel schnellstmöglich beenden. Sie sollte in ihrem Zustand nicht durch die Wohnung flüchten. Ganz im Gegenteil. Sie gehörte ins Bett und sollte lieber noch schlafen und den ein oder anderen Trank zu sich nehmen. Er wollte nach ihr greifen, um sie ins Schlafzimmer zu führen, doch sie schlug nach ihm und er zog seine Hand zurück.

„So, so ... eine Wildkatze also", murmelte er und konnte sich ein boshaftes Grinsen nicht verkneifen. Ganz automatisch fiel er zurück in seine Rolle als Fiesling und sie reagierte darauf genau was er erwartet hatte. Abweisend und unkooperativ. Ein Teil von ihm hatte gehofft, es würde recht leicht mit ihr werden, doch das konnte er wohl vergessen. Er kam nicht von seinen Gewohnheiten im Umgang mit Menschen los und sie sah nicht so aus, als würde sie sich in Ruhe seine Argumente und Erklärungen anhören wollen. Die Lage war schon verfahren, bevor er überhaupt die Gelegenheit gehabt hatte, einen sinnvollen Satz zu sagen. Snape fragte sich einen kurzen Moment sogar, ob es nicht doch besser wäre, mit diesem Problem zu Dumbledore zu gehen. Der Schulleiter war um einiges besser im Umgang mit Menschen und damit wäre das Problem für ihn aus der Welt.

Vorsichtig hob er die Hände, um ihr zu zeigen, dass er nicht vorhatte ihr weh zu tun. Es brachte nichts. Nicht das geringste Anzeichen von Entspannung war zu sehen. Er betrachtete misstrauisch ihre ängstlich geweiteten Augen und versuchte abzuschätzen, ob sie einfach weiter schreien würde, sobald er den Zauber löste. Die Gefahr bestand, doch hier unten im Kerker würde niemand sie hören, also entschloss er sich, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Er nahm den Zauber von ihr und Liora fasste sich verwundert an den Hals. „Wenn du schreist, werde ich dir weh tun, Mädchen. Glaub mir, du willst nicht, dass ich Hand an dich lege", drohte er finster und ging dann ein paar Schritte zurück, um ihr etwas Freiraum zu geben. Sie sollte sie nicht in die Enge getrieben fühlen.

Liora hatte ihre Hände noch immer am Hals und ließ sie nur langsam sinken. Er konnte ihr genau ansehen, wie sie versuchte die neue Situation zu begreifen und zu analysieren. Ebenfalls bemerkte er, dass sie ihre Chancen auf Flucht und Überleben einschätzte. Sie suchte nach Anhaltspunkten und nachdem ihr Blick ziellos im Raum umher gewandert war, fixierte sie ihn wieder. Die Angst wich einer kühlen Berechnung und er wüsste zu gerne, zu welchem Ergebnis sie gekommen war.

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