Schulalltag

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Es dämmerte draußen bereits, als Lupin sich nochmal Tee nach schenkte und dann die Beine übereinander schlug. Wie schon so oft hatte Liora ihn heute Abend besucht, um eine neue Pergamentrolle mit Übersetzungen abzuliefern. Es war wirklich ein Segen, dass sie in den alten Sprachen und Ritualen so bewandert war, denn alleine würde er es nie schaffen sich durch den Berg an Papieren und alten Büchern zu arbeiten. Sie sprang ein, wenn er nicht weiter kam oder sehr schnell eine Lösung brauchte. Die Zusammenarbeit klappte gut und so hatte er die Chance immer wieder nach ihr zu sehen und sich ein Bild vom aktuellen Zustand der jungen Frau zu machen.

Er hatte die Übersetzung in aller Ruhe gelesen und ihr an interessanten Passagen immer wieder Fragen gestellt, doch im Gegensatz zu sonst, hatte Liora kaum zugehört und ihr Blick glitt immer wieder in weite Ferne. Sie erschrak sogar einmal, als er sie ansprach und diese Abwesenheit war es, die ihm Sorgen bereitete. Etwas beschäftigte die junge Hexe und verhinderte, dass sie sich auch nur ein paar Minuten richtig konzentrierte. „Möchtest du darüber reden?", fragte er schließlich und Liora runzelte die Stirn, bevor sie den Kopf langsam in seine Richtung drehte. Sie saß bisher fast reglos auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch und bis auf das Drehen des Kopfes, war auch jetzt keinerlei Bewegung zu sehen.

„Worüber?", antwortete sie und Lupin hob eine Augenbraue. Also wollte sie in die Rolle der Ahnungslosen schlüpfen. Der Versuch war kläglich, doch zumindest zeigte sie überhaupt eine Reaktion. Schon zu oft hatte er einfach frustriert aufgegeben, denn Liora konnte genauso verbohrt und stur sein wie ihr Lehrer. Sie öffnete sich nicht, wehrte ab, schwieg und wenn ihr die Ideen ausgingen, lächelte sie und tat so als wäre alles in Ordnung. Er hasste es, dieser Farce zusehen zu müssen.

Seiner Meinung nach brauchte Liora jemanden zum Reden. Jemand, der sie und ihre Situation verstand, doch Snape blockierte jede Möglichkeit ihr zu helfen. Er hatte Dumbledore überzeugt, dass es klüger war Liora im Dunkeln zu lassen über die wahren Hintergründe von Snapes Entscheidungen und Taten und solang keine andere Anweisung vom Schulleiter kam, war es unmöglich ein vernünftiges Wort mit Liora zu sprechen. Sie würde alles abstreiten. Ihm gefiel das Spiel, das hier im Gange war deswegen nicht und es passte ihm von Anfang an nicht, dass Snape die rothaarige Hexe wie eine Spielfigur auf dem Feld positionierte. Sie glaubte noch immer, in einem dunklen Machtspiel gefangen zu sein und Lupin war überzeugt, wenn sie nicht bald mit jemandem sprach, würde sie durchdrehen.

„Über das, was dich beschäftigt. Darüber würde ich gerne mit dir sprechen.", meinte er schlicht und sie ließ die Schultern hängen. Vermutlich hatte sie schon erwartet, dass er es wieder versuchen würde, denn ihre Augen nahmen einen leidenden Ausdruck an. Doch was sollte er tun? Ihr Verhalten weiterhin ignorieren? Der Tee in ihrer Tasse, die sie mit beidem Händen festhielt, war schon lange kalt und sie hatte bisher nicht einen Schluck genommen. Ihr sonst fröhliches Lächeln, hatte er heute noch nicht einmal gesehen und die Sorgenfalten auf ihrer Stirn waren auch kein besonders positives Zeichen. Das konnte er nicht absichtlich übersehen! Nicht so kurz vor den Prüfungen und schon gar nicht, weil er wusste welche Last auf ihren Schultern lag.

„Mich beschäftigt momentan sehr viel. Es ist alles gerade in bisschen verworren und ich brauche einfach mal Zeit um den Kopf frei zu bekommen. Die Prüfungen stehen an und ich fühle mich noch nicht gut genug vorbereitet. Das ist alles.", sagte sie leise und sah ihn entschuldigend an. „Möchtest du nicht einfach darüber reden? Vielleicht kann ich dir helfen alles zu entwirren. Dann wird es leichter.", bot er an, in der Hoffnung sie würde ihm ausnahmsweise einen Einblick in die sonst so strikt abgeriegelte Welt geben, in der es nur sie und Snape gab. Doch wie schon so oft schüttelte sie nur den Kopf. „Ich habe alles im Griff. Ich sollte nur etwas mehr Zeit mit den Büchern verbringen und mich nicht so häufig ablenken lassen.", behauptete sie. Lupin gab ein ungläubiges Brummen von sich und Liora presste die Lippen aufeinander. Er war sicher, dass sie reden wollte, doch er wusste auch, was sie daran hinderte.

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