KAPITEL 11

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Regen prasselte leise an die Windschutzscheibe. Ich liebe Regen. Stumm sah ich den Tropfen beim Fallen zu, lauschte ihrer harmonischen Melodie.
Marié wollte mich zu dieser Hütte bringen, in Sicherheit. Ich wusste irgendwie, dass ich ihr vertrauen konnte.
"Vielen Dank nochmal" sagte ich.
"Dafür nicht, chérie" antwortete sie.
Immer wenn ich mit ihr sprach, breitete sich ein warmes Gefühl in meiner Magengegend aus, das Gefühl, nicht alleine zu sein in dieser zerstörten Welt.

"Sie 'atte 'aare wie du" sagte sie plötzlich.
"Wer?"
"Kat-arina. Meine Tochter."
"Ok" ich wusste nicht was ich antworten sollte oder warum sie mir das erzählte.
Ich drehte meinen Kopf und sah sie an.
Tränen liefen aus ihren Augen, während ihr Blick leer auf die Fahrbahn gerichtet war.
"Marié, ist alles in Ordnung?"
Sie schüttelte ihren Kopf.
"Ich... sie 'aben... sie ist TOT!"
"Das... ähm... das tut mir Leid" flüsterte ich.
"Was ist passiert?"
"Sie kam eines Tages zu mir, so wie du. Dann sagte sie, sie 'abe Angst um ihr Leben, jemand würde ihr folgen. Ich war so dumm!"
Sie weinte immer stärker, und, so egoistisch wie es klingt, hatte ich Angst, dass sie einen Unfall baute.
"Sie sind nicht Schuld" flüsterte ich.
"Doch!" Schrie sie.
"Es war meine Schuld! Ich sagte ihr, es wäre nicht wahr, und am nächsten Tag war sie... einfach... nicht mehr da!"
"Tut mir leid."
Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich biss auf meine Lippe und starrte schweigend aus dem Fenster, um nicht zu ihr sehen zu müssen.

Plötzlich liefen auch meine Tränen. Warum musste der Tod mich immer einholen, egal wie schnell ich rannte? Warum konnte ich nicht fliehen, in eine Welt ohne Trauer und Schmerz? Vielleicht weil sie nicht existiert. Weil es kein hell geben kann ohne Dunkelheit.

"Du verlässt mich doch nicht, oder?"

Sie war das Einzige, was mir blieb, die einzige Person, an der ich mich festhalten konnte um nicht zu Fallen.
Nein, niemals könnte ich sie verlassen, denn wenn ich das täte, verlierte ich meinen Glauben.
An die Menschheit.
An das Glück.
An den Sinn in meinem Leben.

"Niemals" flüsterte ich.
Marié nahm meine Hand in ihre und drückte sie.
"Danke" wisperte sie. So leise, dass es fast durch den Gesang des Regens verloren ging, aber troztdem laut genug dass ich es hören und spüren konnte. Tief im Inneren, verspürte ich das Gefühl, welches Menschen "Herz" nennen.

Schweigend verbrachten wir den Rest der Fahrt, mit dem Wissen, nicht alleine zu sein. Es war, als hätte mein Herz wieder gelernt, glücklich zu sein.
Und Vertrauen gefunden, dass doch alles wieder gut werden kann.

Ich schreckte hoch, als das Auto hielt. Ich musste eingenickt sein.
"Wo sind wir?" Fragte ich verschlafen.
"Fast da"
Beruhigend.
Ich schob den Gedanken beseitigt und starrte aus dem Fenster. Wir waren in einem Wald, rechts und links trohnten sterbende Fichten. Es hätte aufgehört zu regnen, aber Tropfen, die sich von den Ästen perlten, hämmerten noch immer gegen das Autodach.
Vor uns war ein großes Tor. Marié öffnete ein Fenster und schob eine Karte in den Schlitz.
"Eine Hütte?" Zweifelte ich,
"Sie scheint abgesichert zu sein wie eine Villa!"
Doch sie schüttelte kühl ihren Kopf.
"Es ist keine Zeit zu fragen" meinte sie.
Die Verbundenheit, die ich zuvor verspürte, war verschwunden. Wie ein Luftballon, der in den Himmel absteigt und immer kleiner wird, bis man ihm nicht mehr sehen kann.

Langsam öffnete sich das Tor. Dahinter kam ein Gebäude zum Vorschein, welches aussah wie eine Schule. Nur dass es keine Fenster hatte. Eigentlich war es nur ein Betonklotzt, wie als wäre er einem Horrorfilm entsprungen. Er lag im Schatten alter Bäume, ohne jede Ähnlichkeit mit einer Schule.
Am Eingang standen einige Soldaten mit großen Gewehren Wache.
"Was ist los? Wo bringen sie mich hin?"
"Jetzt nicht!"
"Sie haben gelogen!"
Ich spürte einen Stich und meinem Herzen, wie einen Pfeil, der meine komplette Brust durchbohrte. Warum war ich so naiv gewesen und hatte einer fremden Frau blind vertraut?
"Was haben sie getan?" Schrie ich, mit Tränen in meinen Augen.
"Sie haben mich verraten!"
"Ich weiß, ich weiß, Schätzchen. 'ör auf zu jammern, jetzt bringt das eh nichts mehr."
Verzweifelt drückte ich die Autotür auf und ließ mich nach draußen fallen. Ich schrie auf vor Schmerz als ich auf dem Boden aufkam, aber das Adrenalin im meinen Blut ließ mich Dinge tun, die ich niemals für Möglich gehalten hätte. Also stand ich auf, zitternd und leidend, und lief los.
"Willst du enden wie Jan?" Schrie Marié, falls das überhaupt ihr richtiger Name war.
Ich blieb stehen, einige Meter von Auto entfernt.
"SIE haben ihn getötet?" Tränen liefen an meiner Wange hinunter.
"Auf der Flucht erschossen" sagte sie stolz.
Ich musste kotzen. Eine ekelhafte, stinkende Flüssigkeit landete auf dem Boden vor mir.
"Aber... sein Kopf..." stotterte ich. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Sie hatte meinen Schwachpunkt gefunden, weswegen meine Beine ihren Dienst desatierten. Jeder Atemzug stach in meiner Brust, jeder Schritt ließ dem Schmerz in meinem Bein eskalieren und jede Sekunde die ich lebte explodierte mein Kopf.
"So macht es doch viel mehr Spaß!" Rief sie.
"Du hättest dein Gesicht sehen sollen, als du ihn auf der Schultreppe liegen gesehen hast"
Sie lachte. Es war ein schrilles, böses Lachen einer verrückten Frau.
Einer Frau, der ich vor Minuten noch mein Leben anvertraut hätte.

Ich wollte einfach weg. Weg von ihr und weg von diesem Ort.
Es war mir egal ob ich erschossen werden würde.

Also drehte ich mich um und rannte.

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