KAPITEL 7

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War heute Sonntag? Bestimmt war heute Sonntag. Oder Samstag. War irgendwas wichtiges? Mein Wecker hat noch nicht geklingelt, und ich hörte meine Mutter noch nicht in der Küche poltern. Das heißt ich konnte ausschlafen. Ich seufzte innerlich und kuschelte mich in die Decke. Aber warum hatte ich meine Jalousien nicht runtergezogen? Ich hasse es, wenn es hell ist, wenn ich aufwache. Oder vom Licht geweckt werde, so wie jetzt. Man könnte sich nicht einfach wieder umdrehen und weiterschlafen... Doch, irgendwas wichtiges war, ich ...

Scheiße! Ich riss meine Augen auf. Natürlich war ich nicht zuhause, nicht in meinem Bett, und es war ganz bestimmt nicht Sonntag.
Ich war immernoch im Krankenhaus. In Gefahr.

Ich schmiss die Decke zur Seite und setzte mich auf. Irgendwas hämmerte von innen gegen meinen Kopf, als wolle es eine Wand durchbrechen. Ich versuchte es zu ignorieren. Ich musste es tun, damit ich abhauen kann. Und vielleicht meine Freunden retten- falls sie nicht schon längst tot sind.
Vorsichtig setzte ich meine nakten Füße auf den Boden. Ich zog sie sofort wieder hoch, um sie vor der schmerzenden Kälte zu schützen.
"Hey, du bist ja schon wach!" sagte eine bekannte Stimme hinter mir. Ich zuckte zusammen und drehte mich ruckartig um. Keine gute Idee, mein Kopf schien förmlich zu explodieren.
"Ganz ruhig, du musst dich doch schonen!" Sagte die Frau. Es war die gleiche Schwester von gestern. Sie hatte ihr Versprochen wirklich eingehalten und war hier, kurz nachdem ich aufgewacht bin.
Sanft schob sie mich an der Schulter zurück ins Bett.
Mein Oberschenkel brannte. Plötzlich. Einfach so.
"Wie geht es uns denn?" Langsam ging mir diese Frau echt auf die Nerven. Sie behandelt mich wie ein Kleinkind. Und als wäre sie meine Mutter. "Geht" murmelte ich genervt. Sie nickte. "Deine Mama war vorhin da, hat dir beim Schlafen zu gesehen."
"Ok" Konnte sie nicht wieder gehen? Mich in Ruhe meine Überlebenspläne schmieden lassen?

Moment, da war doch was!
"Ähm... welcher Tag ist heute?" Fragte ich sie.
"Du musst dir doch keine Sorgen machen, wir behalten dich eh noch eine Weile hier."
"Na super"
"Wie bitte?"
"Ach nichts. Ich würde es trotzdem gerne wissen. Es beunruhigt mich, nicht zu wissen welcher Tag heute ist."
"Wenn das so ist," sie grinste, "es ist Freitag."
Freitag. Gestern also Jans Leiche.
Bilder. Immer wenn ich nur an seinen Namen dachte, kamen sie. Ich wollte es nicht sehen, schüttelte mich. Blinzelte, aber die Bilder blieben. Allein der Geruch seines Blutes könnte mich jetzt noch zum kotzen bringen.
"Was ist los? Was ist mit dir?"
Seine toten grünen Augen. Glanzlos.
"Hallo! Tamira, richtig?"
"Thalia" sagte ich knapp und starrte auf einen Punkt in der anderen Ecke des Zimmers. Fühlte mich beobachtet von seinen glanzlosen Augen. Tot. Ich blendete alles aus, bis auf diesen Punkt. Ich dachte nur an ihn. Die Bilder verschwanden. Yes!
"Thara, du hast eine Gehirnerschütterung, Halluzinationen sind also völlig normal."
Was? Seit wann denn das?
"ThaLIA" knurrte ich.
"Oh, ja sorry."
Ich lies meinen Blick durch den Raum schenken und entdeckte eine Uhr an der Wand. Sie tickte nicht, aber der Sekundenzeiger bewegte sich. 15:53 zeigte sie an.
Meine Augen weiteten sich vor Schreck. Nein! Wenn sie mich morgen holen kommen, hab ich kaum noch Zeit, mich vorzubereiten. Abgesehen davon, dass ich wahrscheinlich eh nicht laufen konnte.
"Ich.... würde mich gerne noch ein bisschen ausruhen" sagte ich, um sie loszuwerden.
"Ja ich denke, das wäre das beste" nickte sie und verließ das Zimmer.
Ich wunderte mich, dass diese Lüge funktioniert hatte. Lag wahrscheinlich daran, dass sie zum Teil wahr ist. Mein Oberschenkel brannte wie Feuer und das Pochen in meinem Kopf ist noch schlimmer geworden.

Ich hatte ein wenig Angst vor dem, was jetzt kommen würde. Kommen musste.
Ich schob die Decke von meinen Knien und betrachtete meine Beine.
Es war gar nicht so schlimm. Zumindest hatte ich es mir schlimmer vorgestellt, besonders da es so schmerzte.
Großteinteils waren es nur blaue Flecke, Schürfwunden und einige Narben, die aussahen als wären sie genäht worden. Das konnte natürlich nicht der Grund sein, dass Oberschenkel so brannte. Aber mir bleib eh nichts anderes übrig, als zu fliehen. Vorrausgesetz ich will überleben.
Als ich meine Beine über den Bettrand schwang, würde alles noch schlimmer. Ich biss auf meine Lippe und stieß einen undefinierbaren Laut aus.
Ich setzte meine Füße auf den Boden. Die Kälte könnte das Feuer nicht ersticken. Ich stützte ich mich meine Beine und krallte meine Hände um den Bettrand. Ich spürte alles. Schmerzen an Orten, von denen ich nicht wusste dass sie schmerzen konnten.
Jeder Atem stach in meiner Brust.
Ich musste es riskieren. Menschenleben hingen von mir ab. Es ist meine Schuld wenn sie alle sterben, nur weil ich tatenlos rum saß und schlief.

Also stützte ich mich mit meinem Arm an der Bettkante und drückte mich hoch. Schnell realisierte ich, dass ich mein rechtes Bein nicht belasten konnte. Es brannte nicht nur, sondern wenn ich es belastete, schien es zu explodieren. Mein linkes Bein zitterte unter meinem Gewicht, und es schmerzte auch, nur eben nicht so stark.
Ich schmeckte Blut.
Dann ließ ich das Bett los und stand einige Sekunden. Mein Kopf pochte im Takt einer tödlichen Melodie. Ich versuchte alles, um mein rechtes Bein zu entlasten. Erst jetzt merkte ich, dass ich meine Lippe aufgebissen hatte. Den eisernen Geschmack des Blutes ignorierte ich.

Mein linkes Bein brach unter dem Gewicht meines Körpers zusammen. Ich fluchte leise. Es fühlte sich an, als wäre ich von einem Hochhaus gesprungen. Ich schrie.
Auf dem Boden liegend, machtlos.
Früher hatte ich es nie so gesehen. Dass der Tod die Erlösung ist. Aber jetzt... ich wollte endlich nichts mehr fühlen müssen.
Vielleicht konnte ich mir irgendwann selbst vergeben, dafür, dass ich sie nicht retten konnte.
Das sie wegen meiner Machlosigkeit sterben mussten.

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