KAPITEL 8

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Wenn es einen Anfang gibt, muss es auch ein Ende geben. Und dieses Ende wird mich erlösen, von allem.
Ich könnte mich verstecken, vor mir selbst.
Vor meinen Gefühlen. Meinem alten Ich.
Aber gleichzeitig hatte ich einen neuen Wunsch- Rache. Sie hielt mich am Leben. Ungewollt. Aber der Gedanke, dass sie zahlen müssen, für alles, ist stärker als die Hoffnung auf Erlösung.
Ja, es muss immer ein Ende geben. Aber nicht mein Leben wird enden.

Irgendwann schlief ich immer ein, ohne davor das Gefühl von Müdigkeit zu verspüren. Dann wachte ich auf, im Bett, zugedeckt. Allein gelassen mit dem Gedanken, nicht alleine zu sein.

Aber heute war alles anders. Ich lag noch immer im Bett, die Augen geöffnet, aber ich sah nichts. Es war dunkel- jemand hatte das Licht ausgemacht. Es war schön, diese schreckliche weiß nicht sehen zu müssen. Es war viel zu lange nicht dunkel gewesen.
Ich lag dort und hörte den Geräuschen zu. Ich hörte das Quietschen des Bettes bei jeder Bewegung, das leise Klicken der Neon Röhren. Ich stellte mir vor, was ich mit ihnen anstellen würde, wenn ich es könnte.
Wie ich sie erwürgen würde.
Oder erstechen.
Vergiften?
Verprügeln?
Erhängen?
Keine der Ideen entsprach meiner Vorstellung der perfekten Rache. Die, die sie verdienten.
Es war so dunkel, dass ich nicht einmal Umrisse erkennen konnte. Ich fuchtelte mit meiner Hand vor meinem Gesicht rum, wie eine Verrückte, aber sah immer noch nichts. OK, ich war verrückt. Lassen wir diese Vergleiche.
Seufzend kuschelte ich mich in die Decke. Ich fühlte mich zum ersten mal gut. Ich musste diesen Raum nicht sehen, denn alles war schwarz. Wie als wäre nichts um mich herum. Leere. Stille. Einsamkeit.
Ich genoss es.
War frei.

Bis ich plötzlich realisierte, das man das Klicken der Neonröhren hören konnte. Obwohl es dunkel war.
Niemand hatte das Licht ausgeschaltet.

Hektisch strich ich über meine Augen. Irgendwas klebte an ihnen. Es war wie eine getrocknete Flüssigkeit. Ich kratze ein wenig davon weg und berührte es mit meiner Zunge. Sofort spuckte ich, um diesen Geschmack wegzubekommen. Es war Blut, eindeutig. Blut.
Warum um alles in der Welt bluteten meine Augen? Vorsichtig berührte ich die äußere Seite meines Auges. Kein Reflex. Keine feuchte, schmerzende Fläche. Nichts.
Scheiße!
"Warum?" Schrie ich in die Schwärze.
"Was habt ihr getan?"
Ich war blind. Könnte wahrscheinlich nie wieder die Sonne aufgehen sehen, oder jemanden in die Augen schauen.
Selbst wenn ich hier rauskäme.
"Lasst mich sofort hier raus!"
Ich schrie, ohne darüber nachzudenken.
"Ihr habt sie getötet."
"Ihr habt mich blind gemacht!"
"Schweine!" Ich hatte noch nie richtig geflucht.
"Arschlöcher"
"Verfickte Hurensöhne"
Eine Weile schmiss ich noch weitere Worte, die ich einmal irgendwo aufgeschnappt hatte, in die Leere. Ich bemerkte jedoch schnell die Eintönigkeit dieser Auseinandersetzung.
Jedes Wort hallte an der Wand zurück.
Zebrochen. Kalt.
Wie meine Seele. Wie ich.

Ich war blind. Ich wollte es nur nochmal wiederholen, ich war blind! Sie haben mir, von allem, was mir noch übrig war, die Fähigkeit genommen, zu sehen.
Für immer.
Ich werde nie mehr sehen können.
Sie werden dafür bezahlen. Das schwöre ich mir selbst, sie werden Bezahlen. Für alles.Ob ich sehen kann oder nicht, trotzdem werde ich dafür sorgen, dass ich meine Rache bekommen.

So lag ich dort, in mitten der Leere, des Nichts. Ich bewegte mich nicht. Ich fühlte nicht. Ich lag dort, und hörte den Geräuschen zu. Sie klangen viel lauter als zuvor. Ich hörte meinen Atem und sein leises Echo. Das gleichmäßige Klackern der schrecklichen Neonröhren. Alles war gleich. Nichts Neues. Wie immer. Es war schon zur Gewohnheit geworden, hier zu sein, nichts zu tun. Nichts zu sein.
Plötzlich hörte ich ein Klacken, aber nicht wie das der Röhren sondern leiser und höher.
Danach fiel ich in die Leere, ich fiel in sie hinein und tauchte weg, in sie Stille, das Nichts.

Auch das war normal geworden- ohne Müde zu sein schlief ich irgendwann ein. Diesen Klacken jedoch, daß war neu... Vielleicht hörte ich es jetzt nur zum ersten Mal, da ich davor nie auf Geräusche geachtet hatte. Oder ich hatte es mir einfach eingebildet.
Ich glaubte nicht, dass es wichtig wäre, weiter darüber nachzudenken.
Aber was war schon wichtig? Wenn man weiß, dass man des Rest seinen relativ kurzen Lebens an diesem Ort verbringen muss, erschien nichts wichtig.
Zum Beispiel die Zeit, im normalen Leben bestimmt sie jeden Tag. Hier jedoch... ist sie volkommen irrelevant.
Oder Bedürfnisse, selbst wenn ich länger als einige Tage hier bin, musste ich noch nie auf die Toilette (die nicht existiert) oder hatte Hunger beziehungsweise Durst.
Es ist, als wäre mein Körper schon tot.
Als würde nur noch meine Seele existieren.
Alles unwichtig.

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