KAPITEL 17

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Mein Herz raste. Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Es gab eine Unperfektheit in der Schwärze, ein Loch durch die Finsternis. Durch dieses Loch konnte ich sehen.
Aber ich lebte. Die Zuckungen stoppten.
Ich war in diesem Befragungsraum, den ich durch SEINE Erinnerungen kannte. Ich war hier schonmal. Vor mir war ein Tisch, dahinter, auf einem mit Leder bezogenen Bürostuhl saß ER. Trank seinen Kaffee wie an jenem Tag.
"Guten Morgen" sagte er fröhlich.
"Bitte, lasst mich gehen! Und alle anderen auch!"
"Entschuldige, was verstehst du unter 'alle anderne'?" Genüsslich trank er aus seiner Tasse.
Ich schrie auf. So wütend war ich, er hat sie alle getötet, und will es jetzt leugnen.
"Meine Liebe, wozu brauche ich denn mehr als 10 Objekte?"
Zehn? Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Erleichterung, weil nur zehn anstatt 29 die absolute Hölle durchlebten? Aber mir wurde erst jetzt klar, wieviel zehn waren, und dass er ein erbarmungsloser Mörder war, der Schlimmeres verdiente als den Tod.

"Auch wenn ich deine Anwesenheit sehr genieße, habe ich dich natürlich nicht grundlos herbestellt. Ich habe einige Fragen."
Einige Fragen. Das hatte er das letzte mal auch gesagt, und daraufhin war ich am Ende meiner Kräfte. Zerstört durch meine Erinnerungen.
"Nein, bitte nicht" flüsterte ich.
"Ich zeige dir jetzt mal etwas, und du erklärst mir, wie das möglich ist. Einverstanden?"
Ich schüttelte meinen Kopf. Er ignorierte es.
Auf den Bildschirm hinter ihm erschien ein Video. Scheinbar davon ausgehend, dass ich noch komplett blind war, kommentierte er alles, was man sehen konnte.
"Das bist du, in deinem Zimmer. Dann stehst du auf, gehst zur Tür und öffnest sie. Nach einigen Versuchen zwar, aber trotzdem ist es dir gelungen. Bemerkenswert ist noch deine Gangart; du stoppt nach allen paar Metern und hörst auf, in die Leere zu starren sowie von Schmerzen geplagt zu werden. Dann gehst du weiter, als wäre nichts passiert."
Mein Hals war trocken, Worte blieben darin stecken. Was sollte ich schon sagen? Ich balancierte auf der Schwelle zwischen Leben und Tod? Und die Frau hat mir den Code einfach so gesagt?
Nein.
Lügen kam auch nicht infrage, man würde es raushören. Also schwieg ich.

"Meine erste Frage ist einfach: woher kanntest du den Code?"

Ich schluckte. Was sollte ich sagen? Ich wollte gar nichts sagen. Schweigen klang gut.

"So weit waren wir doch schonmal, ich flehe dich an, lass uns nicht von ganz vorne anfangen und zeig mir, dass du wenigstens sprechen kannst."

Nein. Ich wollte Schweigen, bis ich bekomme was ich will. Also schwieg ich.

"Ich verabscheue Gewalt, weißt du? Aber du lässt mir einfach keine Wahl, bei solch einem unangemessenen Verhalten sind primitive Mittel noch immer die effektivsten."

Er nahm seine Tasse und verließ den Raum.
Ich wusste was jetzt kam. Es war mir egal. Selbst die Angst vor Schmerz ließ mich weiter Schweigen. Irgendwann würde dies alles vorbei sein, und ob mit oder ohne happy end, wenigstens bliebe mir noch meine Würde. Ich wollte stark sein. Ich wollte mir selbst beweisen, dass meine Grenzen weiter gehen als ich bisher glaubte.
Jemand kam ich den Raum und legte mir dieses Armband um. Ich zitterte, als das kühle Metall meine Haut berührte.
Nein! Wollte ich das wirklich? Meinen Körper endlose Schmerzen aussetzen, um meine Würde zu bewahren? Aber es war, nach allem, das letzte, das mir blieb. Ich schaffe das. Ich bin stark.
"Letzte Chance."
Ich musste mir selbst beweisen, dass ich es konnte. Mein Herz klopfte immer schneller, meine Hände krampften sich zusammen. In meinem Bauch breitete sich die Angst aus, vergiftete mein Gehirn.

"Ganz sicher?"

Ich wollte meinen Kopf schütteln, stattdessen weinte ich.
"Ok, reden wir. " Die Worte verließen unkontrolliert meinen Mund.

"Ahh wunderbar! Du kannst also doch noch sprechen, das freut mich. Also, hättest du jetzt BITTE die Freundlichkeit, mit zu erklären, woher du den Code kanntest?"

Was sollte ich sagen? Die Wahrheit? Dass diese Frau Selbstgespräche führt?
Nein.
Ich werde Lügen. Das erste Mal richtig lügen.
Aber was sollte ich sagen?

"Ich habe wahllos Tasten gedrückt. Woher sollte ich denn Code Bitte kennen?"
Geschafft. Ich versuchte meine Erleichterung zu verbergen.

"Zufällig? Weißt du, wie Unwahrscheinlich das ist? " Er lachte.

Ich schüttelte mit meinem Kopf. In meinen Gedanken klang diese Ausrede noch ganz plausibel, aber jetzt, da die Wörter vor mir durch die Luft schwebten, realisierte ich, dass er recht hatte. Es war schon ziemlich unwahrscheinlich.

"Wie wärs mit der Wahrheit?"

"Eine Frau führte Selbstgespräche, kurz bevor sie meinen Raum verließ." Flüsterte ich.

"Nein! Ich hätte niemals erwartet, wie kreativ du bist! Aber leider, meine Liebe, bin ich ein sehr ungeduldiger Mensch, der sich nicht gerne mit Unwichtigem aufhält."

Er glaubte mir nicht. Was sollte ich tun?

"Ich weiß es nicht! Bitte, ich habe keine Ahnung woher ich den Code kannte!"

"Wer einmal lügt, dem glaubt man nie. Schonmal gehört? Lässt sich problemlos auf deine Situation übertragen. "

"Nein!" Schrie ich, "Ich habe nicht gelogen!"
Aber die Nadeln stachen bereits in meinen Arm. Ich schrie auf, schon lange bevor die Schmerzen begannen. Mein Körper wurde zerissen, jede Zelle implodierte. Jede Sekunde das selbe nochmal. Einem tödlichen Impuls folgend. Dan stoppte alles wieder, und ich rang schnaufend nach Luft.

"Und?"

"Ich habe alles gesagt, was ich weiß." Ich zitterte. Meine Stimme war heißer und zerkratzt, mir fehlte die Kraft zum Lügen.

"Wieso kannst du nicht einfach ehrlich mit mir sein? Das verletzt mich, weißt du?"

Ich legte meinen Kopf in meine Hände und weinte bittere Tränen der Verzweiflung. Ich wollte nie wieder diesen Schmerz verspüren, ich wollte weg. Ich was so nah dran gewesen, fast hatte ich spüren können, wie sich Freiheit anfühlte.
Und jetzt hatte sich nichts geändert. Alles war wie vorher, meine Lage aussichtslos und ich war schwach.
Zu schwach.

Mit einem Piepen verschwand seine Stimme. Ich atmete erleichtert auf. Ich wusste, dass das nicht das Ende war, aber erstmal brauchte ich eine Pause.
Eine Idee.

Aber mir fiel nichts ein. Keine rationale Erklärung, die er glauben würde. Ich musste hier weg. Das war das Einzige, an das ich denken konnte.

Ich stand auf, ging im Zimmer umher. Rüttelte an der Tür, schlug gegen. Nichts passierte.
Ich setze mich auf den Boden.
"Warum?" Flüsterte ich hinter meinem Tränen. Immer und immer wieder, bis sich die Tür langsam öffnete.

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