KAPITEL 3

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Er fiel zu Boden. Seine Finger suchten nach Halt, griffen nach nichts außer Luft.
"Was hast du getan?" Fragte er. Seine Stimme klang erstickt. Die Farbe seiner Augen wechselte von weiß nach rot und Schaum lief aus seinem Mund. Sein Kopf zuckte, dann starrten seine Augen ins Leere und er fiel.
"Lügner"
Ich schloss die Tür und rannte. Jetzt erst begann ich zu realisieren, was ich getan hatte. Ich hatte getötet.
War das gerecht? Er wollte mich töten, also hab ich mich nur verteidigt, oder nicht?
Aber warum?
Was bringt es ihm, mich umzubringen? Wer bin ich gewesen und was hatte ich getan?
Bin ich... böse ?

"Thalia?" Ich blieb stehen. Es war die Stimme einer jungen Frau, eine bekannte Stimme.
Ich drehte mich um und sah in die freundlichen Augen einer älteren Frau. War das meine Mutter? Irgendetwas in mir hoffte es.
Sie trug eine kleine Brille und lächelte, sodass man ihre weißen Zähne sehen konnte. Es war ein niedliches Lächeln.
"Endlisch 'ab ich dich gefunden" sagte sie. Dieser Akzent, ich kannte ihn. War dass ein gutes Zeichen? Dass ich mich an die Stimme meiner Mutter erinnern konnte? Meine Mutter war Französin? Sie kam auf mich zu und umarmte mich. "Wie geht es dir, ma chère?"
Ich roch ihr blumiges Parfüm. Auch das kam mir bekannt vor.
"Geht so"
"Wir 'aben dich so vermisst! Alors, on y va, dein Vater wartet."
Ich nickte. Mein Vater.
Mein Herz begann zu pochen. Gerade lernte ich die Menschen kennen, mit denen ich den Rest meines Lebens in Kontakt bleiben werde. Meine Eltern. Und ich wollte sie nicht enttäuschen. Ich wollte ihre Liebe erwidern, auch wenn ich sie nicht kannte.
Mein Vater war ein großer Mann mit einem hübschen Gesicht und einigen grauen Strähnen, die unter seinen schwarzen Haaren hervorlugten. Er hatte wunderschöne blaue Augen, und ich konnte nicht aufhören, in sie zu starren, so schön waren sie. Auch wenn meine Mutter vieles Vertrautes an sich hatte, war mir dieser Mann komplett fremd. Ich versuchte mich zu erinnern, merkte aber, dass ich nur Erinnerungen erfand, also ließ ich es.
Wir standen uns gegenüber, und er schien unentschlossen, ob er mich umarmen wollte oder nicht. Anscheinend war unser Verhältnis nicht das beste. Zögernd legte er seinen Arm um mich und drückte mich an ihn. Er roch nach Alkohol und Rauch. Ich kannte diesen Geruch. Aber er machte mir Angst. Schnell löste ich mich aus dieser unangenehmen Position.
Niemand sagte etwas, als wir in das Auto stiegen, und ich war dankbar dafür. Es war ein kleiner, roter Nissan. Schweigend setzte ich mich auf den Rücksitz. Ich wusste nicht, was ich fühlen sollte. Glück, da ich wenigstens meine Mutter wiedererkannte? Das waren meine Eltern, es gab also keinen Grund, sich vor ihnen zu fürchten. Und doch tat ich es.

Wir wohnten in einem kleinen Haus in einem Neubaugebiet. Es wirkte wie aus einem Spielfilm, die "perfekte" Familie. Aber nichts an dieser Gruppe von Personen, an diesem Ort, an meinem jetzigen Leben war auch nur ansatzweise perfekt.
Es war ein modernes Haus in hellen, fröhlichen Farben. Es war ordentlich, alles schien am richtigen Platz, als ob niemand hier wohnte.
"Wir wussten nicht, ob du jemals widerkommst, aber wir 'aben deine Sachen nicht angerührt. Eigentlich wollten wir diesen Tag feiern, aber wenn du willst können wir das verschieben. Du siehst fertig aus, ma chère."
Sie sahen mich an, als erwarteten sie eine Antwort.
"Ich würde mich gerne ein wenig ausruhen" sagte ich leise. Sie nickten verständnisvoll und ich ging zur Treppe, auch wenn ich keine Ahnung hatte, welches Zimmer meins war. Bei dem dritten Raum, dessen Tür ich öffnete, schien ich Glück zu haben. Das Zimmer war nicht klein und nicht groß, eigentlich die perfekte Größe, um sich wohlfühlen. Vorsichtig setzte ich mich auf das Bett. Es war so weich! Ich zog die Decke an mich, sah mich in dem Zimmer um und überlegte, ob mir irgendwas an diesem Zimmer bekannt vor kam.
Der Schreibtisch. Ich hatte Stunden mit Hausaufgaben an diesem Tisch verschwendet.
Die violette Wand. Ich hab sie selbst gestrichen... mit... nein, ich muss sie alleine gestrichen haben.
Ich erinnerte mich an Bilder, Bilder von meinen Freunden und mir. Sie waren nicht mehr da.
Ich sah aus dem Fenster. Die Sicht war ungewohnt, es war unser kleiner Garten, und gegenüber davon die Rückseite des nächsten Hauses. Früher war da doch... nein, wahrscheinlich täusche ich mich.
Ich legte mich auf die weiche Matraze und schloss meine Augen. Ich bin zuhause, sagte ich zu mir selbst. Und ich würde es solange tun, bis ich es selber glaubte.

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