KAPITEL 23

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Ich schreckte hoch. Er hielt mich immernoch in seinen Armen. Mein Herz hämmerte in meiner Brust als gäbe es kein Morgen. Vielleicht gibt es das auch nicht. Meine Knie wurden weich, wie als wären sie aus Watte. Ich fühlte mich so leicht als könnte ich schweben.
Er war da. Ich spürte ihn in meinen Armen, fühlte sein Herzschlag nahe meiner Brust. Ich versuchte, meine Hände sowie weg wie möglich von ihm zu halten, um ihn nicht zu verletzen, und doch presste ich ihn so nah an mich wie möglich.

Ein Auto kam immer näher. Er nahm meinen Arm und zog mich in Deckung, hinter die Bäume.

*"Sie"*

Sie sah die Wache in dem Häuschen an.
"Raphael Cook" sagte das Schildchen an seiner Brust. Hat er auch eine Familie? Tut er das alles, im sie zu schützen?
Oder war er einfach böse? Mochte er es, zu töten? Machte es ihn glücklich, anderen Leid zufügen?
Hass kochte in ihren Venen. Hass auf diese Menschen, aber insbesondere Hass auf sich selbst. Sie hatte ihren Sohn eine Behandlung gegeben, ohne derer Durchführung er nicht mehr lange zu leben hatte. Sie selbst hatte sich hierfür entschieden, sie ist schuld. Sie war kein bisschen besser als die Menschen, die sie so hasste.
Sie gab der Wache ihre Sicherheitskarte, und dieser gab ihr eine Packung Medikamente. Sie waren Teil der Rettung ihres Sohnes.
Innerlich schrie sie, zitterte und litt.
"Danke" sagte sie und lächelte.
"Auf Wiedersehen" sagte die Wache fröhlich und winkte, als sie ihren Wagen durch das geöffnete Tor fuhr.
Da konnte sie ihre Tränen nicht mehr halten. Wie Bäche liefen sie über ihr müdes Gesicht.
"Warum hab ich nicht nein gesagt?" Flüsterte sie, und mit jedem Mal stieg der Hass auf sich selbst.

Nachdem das Auto durch an dem Wachhäusschen gehalten hatte, öffnete sich das Tor.
"Das ist unsere Chance!" Zischte ich.
Aber Sam hielt mich zurück. "Das schaffen wir niemals" flüsterte er.
Ich seufzte, ließ mich entmutigt auf den Boden fallen.
"Was dann?"
Er sah mich an. Mein zerstörtes Gesicht spiegelte sich in der Schwärze seiner Augen.
"Ich hab eine Idee"
Dankbar nickte ich. "Erzähl!"
Aber er nahm einfach meinen Arm und zog mich einige Meter an der Mauer entlang. Als er merkte, dass ich ohne seine Hilfe auch laufen konnte, ließ er los.
"Wo gehen wir hin?"
"Wart's ab"
"Ich mag keine Überraschungen"
"Ich auch nicht"
Ich sah ihn fragend an. "Also...?"
"Nichts also. Du wirst schon sehen" sagte er.
Er hielt an einer Lichtung neben der Mauer.
Ich kam näher. "Was jetzt?"
Er seufzte. "Thalia, ich..."
"Was ist los?"
Traurig trafen seine Blicke meine. Er kam auf mich zu, so nah, dass sich fast unserer Nasen trafen. Seine warme Hand strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht. Ich wollte meine Hände in seine legen, aber das würde ihn verletzen, und das würde ich mir niemals verzeihen. Nicht nocheinmal.
Ein warmes Gefühl breite sich in meinen Körper aus. Ich war so glücklich hier zu sein mir ihm. Ich konnte alles vergessen, an nichts denken außer ihn und mich.
Drei Worte flossen durch mein Gehirn. Irgendetwas zwang mich, sie zu sagen. Ich begann zu schwitzen, wurde rot. Aber er sah es nicht. Drei Worte. Die einfachsten drei Worte der Welt, und doch die Schwierigsten.
Ich wollte sie sagen. Jetzt.
"Ich.... ich liebe dich" flüsterte ich.
Er legte seine Arme um mich. Was kam jetzt? Warum sagte er nichts?
Sein Kopf lag auf meine Schulter. Es fühlte sich gut an. Dann flüsterte er leise in mein Ohr.
"Ich dich auch"
Meine Herz machte Luftsprünge. Blut floss nicht, es schwebte durch meine Adern.
Mein Bauch löste sich auf, in warme, flatternde Schmetterlinge.
Und dann küsste er mich.
Ozeane aus Wärme durchzogen meinen Körper. Ich konnte schweben, so hoch und weit, wie ich wollte, und doch wollte ich nirgends anders sein als hier. Bei ihm.

*Unbekannt*

Hinter den Bäumen, auf einer kleinen Lichtung in hunderten Meter Entfernung, stand unsere Mission. Sie bemerkte uns nicht, alles also nach Plan.

"Beacker, bereit für den Schuss?" Es kam es dem Mikrophon in meinem Ohr.
"Roger" sagte ich und legte mich auf den Boden.
Ich enspannte mich und sah durch das Zielrohr meiner Sniper. Dann stoppte mein Atem und ich schoss.

Ich wusste nicht, warum sie gestorben war. Wer sie war. Ich wusste nur, dass mein Boss es mir befahl, und das ist Grund genug. Leise baute ich meine Waffe auseinander und packte sie in den Koffer, der neben mir lag.
Der Junge begann zu schreien, als ob er nichts davon gewusst hätte. Als ob es nicht klar gewesen wäre, dass sie sterben muss.

Das süße Kribbeln in den Finger, nachdem man ein Menschenleben beendet hatte, setzte ein.
Ich lächelte. Es war ein schöner Schuss gewesen.

Sam ließ mich los. Er nahm meine Hand. Ich wollte sie zurückziehen, hatte Angst, dass er verletzt würde, aber er hielt sie fest.
"Es tut mir so leid" sagte er, Tränen in den Augen.
"Was ist -"
Mein Satz wurde abgebrochen von einem schmerzenden, hellen Ton. Ich nahm meine Hand, wollte mein Ohren zu halten, aber es kam von innen.
"Thalia, ich..." Sam sah mich an, sein Gesicht verzogen vor Schmerz.
Der Ton verstummte. Alles verstummte.
Ich fiel, wurde von der Dunkelheit mit offenen Armen empfangen. Da war ich also wieder. Tod.
Ich spürte die Kontrolle über meinen Körper verschwinden, die Freiheit meines Geistes wachsen. Aber ich wollte nicht weg. Ich wollte bei ihm bleiben, mit ihm sein.
Warum musste alles, was ich liebte verschwinden? Warum musste ich gehen?

*Sam*

Nein! Bitte, bleib bei mir!
Ich schrie ihren Namen, obwohl ich wusste, dass es zwecklos war.
Verzweifelt sah ich auf sie hinab. Ihre wunderschönen Haare, die den Geruch des Waldes angenommen haben. Ihre großen, grünen Augen, die in den Himmel starrten. Gott, ich wünschte, es hätte anders geendet. Ich spürte einen Stich in meinem Herzen, als ich realisierte, dass ich ihr schönes Lächeln nie mehr sehen durfte. Dass ich nie mehr die Kraft spüren durfte, die unter ihrer süßen Schüchternheit lauerte. Dass sie tot war. Für immer.

Ich kniete mich neben sie. Ihr Körper strahlte Hitze aus, trotz der Kälte ihres Todes. Fetzen ihres Gehirn liegen neben ihrem Blut auf dem Gras.

Ich wollte nur noch weg. Weg von ihrer Leiche, und doch wollte ich sie nicht alleine lassen, wollte sie beschützen, bei ihr sein auch wenn es zu spät war. Plötzlich hörte ich ein leises Knacken. Es kam von ihrer Leiche. Die Blätter neben und unter ihr fingen Feuer. Dann zuckte sie, wie ein Fisch auf trockenem Land. Ihre Kleidung brannte weg, hinterließ schwarze Flecken auf ihrer Haut.
Ich ging rückwärts, stolperte über Wurzeln und Steine bis ich Deckung hinter einem umgefallenden Baum fand.
Ich sah Soldaten rumlaufen, die versuchten, das Feuer zu löschen. Sie beachteten mich nicht. Also wäre ich gar nicht da. Es kam mir so unecht vor, als sie den Flammen zum Opfer fielen. Wie als wäre alles nur ein Film, und ich sah von weit weg zu.

Das Feuer breitete sich aus, und in seiner Mitte- sie. Noch immer zuckend wie ein sterbene Garnele. Die Flammen wurden blau, wie als läge sie auf einer übergroßen Herdplatte. Ich ging zurück, in Deckung von ihrem Feuer.

Bäume knackten, fielen den Flammen zum Opfer. Das grüne Gras färbte sich schwarz.
Sie zerstörte das falsche Paradis.

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