KAPITEL 5

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Der Geruch von Papier floss in meine Nase. Um mich standen alle Regale voll mit Büchern. Sie liebte lesen, das spürte ich. In dem Sonnenlicht, dass durch die Fenster fiel, konnte man Staub fallen sehen.
Die Regale türmten sich vor mir auf wie Hochhäuser. Am liebsten wäre ich durch die Reihen gestöbert, hätte nach Bücher gesucht und mich irgendwo hingesetzt um zu sie lesen, aber ich riss mich zusammen.
"Guten Morgen, kann ich ihnen helfen?"
"Ja, haben sie irgendwo Computer?"
Die junge Mann an der Empfangstheke erklärte mir den Weg, und so saß ich einige Minuten später vor einem der antiken Rechnern. Ich startete ihn, und mir wurde erstmal stundenlang gezeigt, welche Betriebssystem sich jetzt starten sollte. Dann Buchstaben und Zahlen auf dem Bildschirm. Endlich war der PC hochgefahren, aber die Anmeldung dauerte weitere gefühlte Stunden. Ungeduldig klopften meine Finger auf den Tisch und starrte auf den Bildschirm. Warum dauert das so lange?
Als ich dann endlich angemeldet war, weinte ich innerlich, da ich wusste, da ich noch den Browser starten musste. Glücklicherweise dauerte das gar nicht so lange.
Mir fiel auf, dass ich keine Ahnung hatte, wonach ich suchen sollte.
Jan Marcel Davids tippte ich in das Suchfeld unter dem Google- Schriftzug.
Die Maus verwandelte sich in einen sich blauen Kreis. Internet Explorer funktioniert nicht mehr. Möchten sie, dass online nach einer Lösung gesucht wird?
Meine wurden zu Fäusten. Wie ich diesen Computer hasste... ich ließ meinen Atem durch meine geschlossenen Zähne zischen.
Ich musste mich beruhigen, das hier war meine einzige Hoffnung. Also schloss ich den Browser und startete ihn wieder.
Ich gab dem Suchbegriff nochmal ein und drückte auf 'Suche starten'.
Ich fand einen Artikel einer Nachrichtenseite und als er geladen hatte begann ich aufgeregt zu lesen.

Opfer des selbsternannten 'Soulkillers' nehmen drastische Zahlen an
Mit Elina C. ist die Zahl der entführten Kinder auf zehn gestiegen. Jan D., das erste Opfer des sogenannten Soulkillers, wurde tot auf den Stufen seines Gymnasiums aufgefunden.
Und auf diesen Stufen lauert die Wahrheit, die die Polizei zu verbergen versucht- alle zehn Opfer sind aus der selben Klasse, und der Kriminelle geht haargenau nach der Klassenliste. Da fragt man sich, wieso die Polizei nichts tut, um diesen Verbrechen vorzubeugen. Ist sie einfach nur inkompetent oder is das alles Teil eines größeren Verbrechens, dessen Ausmaße wir nicht erahnen können?

Es war für alle ein großer Schock- die zerfetzte und misshandelte Leiche Jan D.s, die vor den Stufen des Anne-Frank Gymnasiums in Ottershöfen zu finden war. Die Polizei fand an seinen Überresten einem Zettel- einen Brief des Täters, in dem er sich selbst 'Soulkiller' nennt. Einige Tage später vemissten Eltern ihre Tochter, unauffindlich verschwunden. Weitere acht folgen.
Die große Wahrheit ist, das der Verbrecher nach einem einfachen und vorhersehbaren Muster vorgeht. Und da stellt sich natürlich die Frage, warum die Polizei nicht eingreift und die Opfer vor ihrem tragischen Schicksal beschützt.
" Wir hatten einfach zu wenig Zeit, zu reagieren. Natürlich dürfen wir nicht sofort mit dem Schlimmsten rechnen, und deswegen versuchten wir zuerst, alle rationale Gründe auszuschließen die außerdem noch zu dem Verschwinden der Jugendlichen geführt haben könnten." (Benjamin Hunt, Vorsitzender dieser Polizeiuntersuchung). Während die Polizei versucht, sich rauszureden, sitzen die Eltern der Opfer nur zuhause und warten darauf, dass endlich etwas getan wird.

Mein Herz pochte in meiner Brust. Ich druckte den Artikel aus, nur um ihn bei mir zu haben, um zu wissen, dass es wahr ist.
Sie waren in meiner Klasse gewesen, kein Wunder dass ich ihre Gesichter noch kannte.
Ich suchte nocheinmal die Bilder von den Opfern. Wie konnte es sein, dass diese Spezialeinheit Bilder von ihnen hatte, vom dem was er ihnen angetan hatte, und in diesem Artikel wird angedeutet, die Eltern würden noch verzweifelt auf ihre Kinder warteten?
Ich nahm die Seite aus dem Drucker und las mir alles nochmal durch. Meine einzige Hoffnung war der Glaube, dass die Presse nicht lügt um eine geile Story zu veröffentlichen. Wenn wahr ist, was hier steht, dann haben sie gelogen- und das war etwas, dass ich ohnehin schon wusste.
Anne Frank Gymnasium, Ottershöfen.
Jetzt hatte ich wenigstens eine Richtung.

Ich googelte die Busfahrverbindung nach Ottershöfen und machte mich auf die Suche nach der nächsten Haltestelle.

Mein Kopf lehnte an der Fensterscheibe. Immer wieder schlug meine Stirn gegen die Scheibe, immer dann, wenn der Bus über eines der tausenden Schlaglöcher fuhr. Ottershöfen lag am Arsch der Welt.
Kleine Waldstücke und Felder verschwanden mit dem Dreck der Fensterscheibe. Dann kam ein kleines Dorf, eine Bushaltestelle, vielleicht zwanzig Häuser, mehr nicht. Dann wieder Felder, Bäume, Kühe. Es war irgendwie malerisch, ungewohnt für meine Augen. Wie könnte ich hier wohnen, und doch nichts von der Landschaft wieder erkennen?

Ottershöfen hatte ganze zwei Bushaltestellen- Ottershöfen Ortseingang und Ottershöfen Stadtmitte. "Stadtmitte" war maßlos übertrieben, den dieses Dorf bestand aus einigen Häusern und Läden, unvorstellbar, dass es Stadtrecht hatte.
Ich stieg Stadtmitte aus. Es war ein hell gepflasterter Platz mit einigen eingezäunten Bäumen. Es gab mehrere kleine Läden, von denen jedoch fast alle geschlossen hatten. Ich holte den Plan aus der Tasche, den ich mir ausgedruckt hatte, und folgte den Straßen in Richtung der Schule.

Die war hässlich, ohne Frage. Dreckige, graue Wände, ein eingeschlagenes Fenster, Müll überall außer in den Mülleimern. Es wunderte mich, in diesem hübschen Dorf so einen Schundfleck zu sehen. Im Internet bin ich darauf gestoßen, dass es noch mehr Gymnasien in der Nähe gab als dieses. Warum war ich hier?

Es war so still. Zu still. Es war, als wäre ich diesen Weg niemals in absoluter Stille gelaufen. Also hatte ich Freunde- doch wer waren sie? Wer war ich?
Einige Bäume rauschten Wind, ich hörte ihre Ästen knacken und ihre Blätter rauschen. Ich zog diese Gefühle ein, die Geräusche und den Geruch. Als ob es wichtig wäre.
Vorsichtig stieg ich die Treppe hoch, mit dem Gedanken bei dem, was hier einmal gelegen hatte. Ich schloss meine Augen und sah plötzlich wieder das Bild vor mir. Seinen Kopf, seine grünen Augen. War das eine Erinnerung, oder stelle ich mir nur vor, dass es so aussah?
An der großen Tür hing ein Zettel- "Geschlossen, bitte weichen sie auf folgende Schulen aus;" ich überflog die Namen, doch sie brachten mir nichts. Ich konnte zu den Schulen fahren und dort nach meinen Freunden suchen, aber ein seltsames Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus. Vielleicht waren die anderen meine Freunde? Die anderen Opfer des Soulkillers? Dann ging es ihnen nicht anders als mir, sie würden mich niemals erkennen. Traurig über diese Erkenntnis ließ ich mich auf die Stufen der Treppen fallen, ohne auch nur eine Sekunde an das, was dort einst lag, zu verschwenden. Plötzlich kam mit mein Vorhaben naiv vor. Durch die Welt zu streichen um mich selbst zu finden, wie ein dummer Roman aus der Romantik. Aber das Leben ist nicht rosa, nicht optimistisch und nicht leicht.
Es stach in meinem Herzen, als ich merkte, dass ich komplett auf mich alleine gestellt war.

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