Ich hatte das Gefühl diese schrecklichen Visionen tausende Mal durchleben zu müssen, jede schlimmer als die zuvor. Es fühlte sich an wie Tage, wenn nicht sogar Wochen, jedes schreckliche Ereignis, das ich je Erlebt hatte, wurde mir erneut unter die Nase gerieben. Und wenige gab es davon nicht, meine Verbannung war noch das harmloseste gewesen.
Doch schlagartig hörte es auf. Der Schmerz verschwand als wäre er nie da gewesen, aber ich konnte meinen Körper kaum spüren. Mein erster Gedanke war, dass ich wahrscheinlich Tot sei. Das sich endlich jemand, vermutlich Adriana, dazu bereit erklärt hatte, mich zu töten und von meinen Qualen zu erlösen.
Aber diesen Gedanken verwarf ich, als ich die Augen aufriss.
Und direkt in Caressas Augen blickte, die mich so erleichtert ansahen, dass ich verwundert die Stirn runzelte. Vorsichtig wollte ich mich aufsetzten, aber Nathan drückte mich sanft an den Schultern wieder zuruck ins Bett.
"Bleib liegen Djin. Du bist gerade erst wach geworden." Ich schluckte, mein Hals war Knochentrocken und mein Rücken schmerzte ungemein. Langsam drehte ich den Kopf und sah Nathan an.
"Wie schlimm ist es?" krächzte ich heiser.
"Jen gehst du ein Glas Wasser holen?" fragte er, den Kopf in ihre Richtung gedreht, bevor er sich mir zuwandte.
"Naja, ohne Caressa, wärst du wahrscheinlich dem Tode geweiht gewesen." Ich warf Caressa einen Blick zu. Sie sah nicht gut aus. Ihre Haut war viel zu blass, wodurch die dunklen Augenringe noch mehr hervortraten.
"Aber das Fliegen kannst du in nächster Zeit vergessen." bestätigte Nathan meine Befürchtung und ich verzog das Gesicht.
"Wie lange?" stieß ich hervor. Jen kam mit dem Glas Wasser wieder und gab es Caressa, die sich an den Bettrand setzte und meinen Kopf anheben wollte.
"Ich kann das selber." murrte ich, aber Caressa warf mir einen giftigen Blick zu.
"Leg dein Ego mal schlafen und stell dich nicht so an. Vor wenigen Minuten warst du noch so gut wie Tot. Lass mich dir helfen, Djin." Den letzten Satz sagte sie etwas sanfter und ich musste ein Lachen unterdrücken. Wenn sie nur wüsste, wie sehr sie mir schon geholfen hatte. Ihre Stimme war es gewesen, die mich nach jeder Vision davon abgehalten hatte, den Verstand zu verlieren.
Also ließ ich zu, dass Caressa sanft meinen Kopf anhob und das Glas an meine Lippen setzte. Das kühle Wasser linderte sofort das Kratzen im Hals und machte es mir möglich wieder normal zu reden. Langsam ließ ich meinen Kopf wieder nach hinten sinken und schloss die Augen. Ich war unendlich Müde.
"Djin? Bist du noch da?" hörte ich Nathans besorgte Stimme.
"Ja." antwortete ich knapp.
"Also das Problem ist folgendes: deinen Flügeln an sich geht es gut, nur hat der Dolch einen Teil deines Rückenmarks zerstört. Ein Mensch wäre sein Leben lang gelähmt, aber bei dir wird es in vier Tagen bis zu einer Woche heilen. So lange musst du liegen bleiben." Ich riss die Augen auf und sah Nathan entsetzt an. Das war ein Scherz oder? Ich setzte mich ruckartig auf und ignoriere den stechenden Schmerz im Rücken.
Leider behielt Nathan recht. Es war mir eben nicht aufgefallen, da mein ganzer Körper eh wie betäubt war, aber ich konnte meine Beine nicht spüren.
"Ich bring dieses Arschloch um!" brüllte ich und schlug mit einer Hand gegen den Nachtschrank, welcher mit einem lauten Knall an der gegenüber liegende Wand in tausend Teile zerbrach.
"Djin.." fing Adriana an aber ich unterbrach sie.
"RAUS!" brüllte ich und sie verlor alle Farbe. Ich konnte vielleicht meine Beine nicht bewegen, aber ich hatte selten so eine Wut verspürt wie jetzt und meine Hände waren schon immer eine tödliche Waffe gewesen, nicht minder auch weil ich teilweise das Feuer beherrschte.
Fast alle verließen den Raum, selbst Nathan.
Nur Caressa blieb, war aber auch vom Bett aufgestanden.
Langsam ließ ich mich zurück in die Kissen sinken und schloss die Augen.
"Sie können nichts dafür Djin. Wir haben uns alle große Sorgen gemacht." Ein Teil meiner Wut verrauchte.
"Das weiß ich auch." knurrte ich leise.
"Wieso hast du sie dann so angeschrien?" behaarte sie weiter und am liebsten hätte ich die Augen verdreht.
"Ich war sauer und jetzt halt mir keine Moralpredigt, dass es falsch ist seine Wut an anderen auszulassen." Ich spürte wie die Matratze neben mir ein Stück einsank und öffnete die Augen. Caressa hatte sich wieder neben mich gesetzt.
"Ich hatte wirklich Angst, dass du stirbst." flüsterte sie und ich schnaubte.
"Teilweise dachte ich, ich wäre Tot. Und das wäre meine Bestrafung für alles was ich anderen angetan habe. Alles musste ich nochmal mit ansehen. Alle meine Fehler. Am anfang war es nur.. aus meiner Sicht." fing ich an zu erklären und Caressa hörte mir gespannt zu.
"Aber dabei blieb es nicht. Irgenwann fing ich an zu spüren was die Leute spürten, denen ich Leid antat. Ich spürte ihre Angst, Verzweiflung, ihren Schmerz." Bei der Erinnerung verzog ich das Gesicht. Es hatte mich nie interessiert, was andere fühlten, aber das was ich gespürt hatte wünschte man niemanden und wenn ich ehrlich war, war ich ein wenig angewidert von mir selbst, dass ich unschuldigen Leuten, das alles angetan hatte.
"Das muss schrecklich gewesen sein." flüsterte Caressa geschockt.
"Wie hast du das bloß ausgehalten? Das müssen doch ungeheure Schmerzen gewesen sein."
Mein Blick fiel aus ihre Hand, die meine umklammert hatte und auch Caressas Blick fiel auf sie.
"Das waren die schlimmsten Schmerzen, die man sich ausmalen kann. Weil es nicht nur der einer einzelnen Person gewesen war, sondern von sehr vielen."
Langsam verschränkte ich unsere Finger miteinander und immer noch blickten wir beide auf unsere Hände.
Caressas Haut war viel wärmer als ich sie in Erinnerung hatte. Wahrscheinlich lag es an ihren Kräften.
"Und ich hätte es normal nie ausgehalten." bestätigte ich und ich spürte wie ihr Blick zu mir wanderte.
"Wie hast du es geschafft?" fragte sie leise. Eigentlich wollte ich Lügen. Sie sollte nichts davon wissen. Stattdessen erwiderte ich ihren Blick und hörte mich sagen:
"Die Erinnerung an dich hat mich jedes Mal aus der Dunkelheit gezogen, Caressa."
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Guardians (Abgeschlossen)
ParanormalNathan ist Caressas Schutzengel. Doch sie kann ihn sehen, was Menschen normalerweise nicht können sollten. Carissa ist etwas Besonderes. Um sie zu Beschützen brauchen sie die besten Krieger des Himmels, da es auch andere auf die junge Frau abgesehe...