Kapitel 74

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Die Geräusche um mich herum verstummten, so wie alles andere auch. Wäre jetzt eine Gruppe Dämonen auf uns zugekommen, hätte ich es wahrscheinlich nicht bemerkt, da meine ganze Aufmerksamkeit auf der Frau vor mir lag. Ohne Zweifel konnte sie meinen Herzschlag spüren, der definitiv viel zu schnell war. Immerhin lag ihre Hand auf meiner Brust. Da wir so dicht beieinander standen, berührten unsere Körper sich fast und mir wurde warm.
Verdammt, ich konnte, nein ich durfte nichts für diese Frau empfinden. Ich durfte nicht zulassen, dass sie mir so unter die Haut ging. Es war für uns beide nicht von Vorteil und abgesehen davon sind Gefühle immer gefährlich. Sie können schamlos gegen dich verwendet werden. Vorallem wenn man so viele Feinde hatte wie ich. Das hatte ich bei Aurora gesehen.
Es fügte mir beinahe körperliche Schmerzen zu, aber ich schloss meine Finger um ihre Hand, schob sie von mir weg und machte einen Schritt nach hinten.
"Wenn das das Problem ist, kann ich mich auch unsichtbar machen. Dann kannst du mich auch nicht sehen, so wirst du durch mich nicht ständig daran erinnert." Mir war klar, dass Caressa es nicht so gemeint hatte, aber ich versuchte einfach davon abzulenken. Wieso hatte Caressa überhaupt so etwas gesagt? Empfand sie etwas für mich? Ich hoffte es nicht, da ich mich nicht in der Lage sah, ihr zu geben was sie dann wollen würde. Andererseits hab es einen kleinen Teil in mir der sich genau das wünschte. Diesen verdrängte ich aber.
"So meinte ich das nicht." nuschelte Caressa leise und sah mir in die Augen.
Ich sah ein Aufflackern von etwas, was verdächtig nach Trauer aussah, auch wenn sie es gut überspielte.
Sie tat mir Leid. Für uns alle war es nicht leicht, aber sie traf es am schlimmsten.
"Wir sollten wieder rein gehen." Ihre Stimme zitterte ein bisschen und ohne ein weiteres Wort ging sie an mir vorbei zur Hütte.
Du bist ein Arschloch! Ich schnaufte. Als wüsste ich das nichts selber. Mit leicht gesenkten Kopf folgte ich ihr. In der Hütte angekommen, kam Nathan uns schon entgegen.
"Wo wart ihr?" fuhr er uns an, hielt aber seinen Blick streng auf mich gerichtet. Ich schenkte ihm ein freches Grinsen.
"Wir waren draußen. Frag lieber nicht was wir da gemacht haben." Caressa, die gerade aus einer Falsche trank, verschluckte sich und fing an zu husten, worauf hin ihr Gesicht sich rot färbte. Nathan schnaufte.
"Verarsch mich nicht Djin." Seine Stimme klang eiskalt, ungefähr so wie meine, kurz bevor ich jemanden den Kopf abriss. Ich wusste wie empfindlich er bei dem Thema war und konnte es mir einfach nicht verkneifen ihn noch mehr zu reizen, als er es sowieso schon war.
"Woher willst du das wissen?" Ich sah ihn herausfordernd an. Nathan warf mir ein kühles Grinsen zu.
"Caressa würde das nicht tun, weil sie Stolz hat."
Adriana packte mich am Arm, als ich gerade auf meinen kleinen Bruder losgehen wollte. Ich wusste nicht was ich getan hätte, hätte ich ihn erreicht.
Und das schlimmste war, ich war nicht mal sauer auf ihn, sondern auf mich selber. Weil der Arsch auch noch recht hatte. Caressa hätte etwas viel besseres verdient, in allen Sachen. Selbst als Schutzengel.
"Okay Jungs jetzt beruhigen wir uns wieder. Wir sind alle ziemlich gereizt, aber es bringt keinem was, wenn wir uns jetzt gegenseitig die Köpfe abreißen." Dabei sah sie mich streng an. Ich riss mich von ihr los.
"Von mir aus. Wenn ihr mich sucht, ich bin im Keller." knurrte ich. Lieber in diesem verschissenen Keller, als hier oben.

Das Licht hier unten flackerte, aber wenigstens funktionierte es überhaupt. Seid einer geschlagenen Stunde saß ich schon hier unten und meine Wut war abgeklungen. Und ich hatte tatsächlich nichts beseres zu tun, als einen alten Tennisball an die Wand zu werfen, zu fangen und wieder zu werfen. Traurig.
Einmal hatte Nathan sich über den Krach beschwert, was ich als Anreiz nahm, weiter zu machen.
Ich hörte wie sich die alte Holztür öffnete und zögerliche Schritte nach unten kamen.
Ich wusste sofort, dass es Caressa war.
"Hey." sagte sie zögerlich, als hätte sie Angst, ich könnte explodieren.
Als ich nicht antwortete, redete sie einfach weiter.
"Ich will nicht lange stören, ich dachte du willst vielleicht was Essen." Sie stelle einen Teller mit Brötchen und Aufschnitt auf einen alten Tisch und ich musste ein Lachen unterdrücken.
Es war bestimmt sechshundert Jahre her, dass mir jemand einfach so etwas zu Essen machte, auch wenn es nicht wirklich aufwendig war.
"Du störst nicht. Danke." Sie sah mich überrascht an. Dann lächelte sie leicht.
"Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass du mir den Teller nachwirfst oder so was." Ich schnaufte und drehte meinen Kopf zu ihr um.
"Erstens dürfte ich es nicht und zweitens würde ich es auch nicht tun. Schließlich hast du mir nichts getan." Sie nickte.
"Kommst du gleich wieder mit hoch? Nathan hält Wache, und Adriana schläft. Mit Jeremie will ich nicht ganz alleine sein." Ich hob eine Augenbrauen.
"Ich glaube nicht, dass er dir was tun würde."
"Ich weiß. Trotzdem." Ich seufzte und stand auf. Sie hielt meinem Blick stand und musste dabei den Kopf fast in den Nacken legen, weil sie so klein war in Gegensatz zu mir und ich so dicht vor ihr stand.
Sie sah so süß aus, wenn sie mich so ansah. Leicht verunsichert, aber vollkommen offen und ehrlich. Ohne zu wissen warum legte ich ihr eine Hand auf die Wange und drückte meine Lippen auf ihre Stirn. Ich konnte hören wie ihr kurz der Atem stockte, weshalb ich leicht grinsen musste. Sie schien damit nicht gerechnet zu haben.
Mein nächster Kuss landete auf ihrer Nasenspitze, wodurch Caressa kurz leise auflachte. Ich stellte fest wie sehr ich dieses Geräusch liebte.
"Caressa?" flüsterte ich leise. Unsere Münder waren sich so nah, dass sie sich quasi schon berührten, aber es war auch noch kein richtiger Kuss.
Keiner wagte es den letzten Millimeter zu überwinden. Aber genauso wenig wandte sich keiner ab.
"Mh?" kam es nur von ihr zurück.
"Ich kann das nicht."
"Doch." widersprach sie sofort.
Jede Faser meines Körpers wollte Caressa endlich küssen.
Und mein Kopf schrie mich pausenlos an, dass es nicht ging und uns nur Probleme machen würde.
Was sollte ich tun?
Die Entscheidung wurde mir aber von Caressa abgenommen, die ihre Hände in meinen Nacken legte und zu sich zog. Ein leichtes Zittern ging durch meinen Körper.
Nichts hatte sich je so gut angefühltund sofort fing ich an den Kuss zu erwidern. Ich konnte spüren wie Caressa leicht lächelte.
Die leise Stimme in meinen Kopf brüllte mich an, dass das ein riesiger Fehler war, den ich später bereuen würde.
Ich ignorierte sie. Im Moment gab es nichts was mich dazu bringen konnte Caressa nicht weiter zu küssen.
Nichts außer....
"Caressa! Wo bist du?" schallte Nathans Stimme durch die Hütte und sofort wurde ich zurück in die Realität gerissen.
Auch wenn es mir in diesem Moment total widerstrebte, löste ich mich von Caressa und schob sie sanft weg.
Sie schien Nathan nicht gehört zu haben, denn sie sah mich verwirrt an und wollte gerade was sagen als Nathan den Keller betrat.
"Du solltest was schlafen Caressa. Das war für alle anstrengend." Caressa nickte nur und ging mit roten Kopf an Nathan vorbei. Als Caressa den Raum verließ hatte ich schon die Hoffnung, Nathan hatte nicht mitbekommen.
Sie wurde aber zunichte gemacht, als Nathan ausholte und mich unvorbereitet an der Nase trat, welche ein lautes Knacken von sich gab.
"Fuck! Wofür war das denn?" stöhnte ich und wischte mir das Blut weg. Normalerweise hätte er das zurück bekommen, aber irgendwie hatte ich es ja verdient.
"Das weißt du ganz genau. Lass sie in Ruhe Djin! Oder Gabriel erfährt davon." knurrte Nathan und verschwand.
Scheiße. Wenn er Gabriel davon erzählte war ich am Arsch.
Nachdem meine Nase sich wieder geheilt hatte, ging ich hoch in den kleinen Raum der uns als soetwas wie ein Wohnzimmer diente. Caressa saß in eine Decke gekuschelt auf einem altem Sessel und blätterte in einen Buch. Als sie mich hörte hob sie den Kopf und sie riss ihre Augen auf.
"Was ist passiert? Deine Nase ist blau." Sie stockte kurz.
"Hat Nathan dich etwa geschlagen?" fragte sie geschockt. Ich drehte den Kopf weg.
"Lass gut sein Caressa." Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Hütte und trat meinen Wachdienst an.

Guardians (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt