Kapitel 5 • Lucia

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Die Luft war weder heiß noch staubig. Das war kein gutes Zeichen. Hier war definitiv jemand. Tief in mir - und vermutlich auch nicht ganz so tief in Kenna - hatte der Verdacht gesessen, dass sie die Autos nur hier abstellten und das Schloss zur Täuschung platziert hatten. Aber als wir weiter gingen und anstatt in die Garderobe, in der wir jahrelang Verkäufer gespielt hatten, in einen Kontrollraum blickten, löste sich dieser Verdacht in Luft auf. "Was ist das?" fragte ich mehr mich selbst als Kenna. Ich betrat den Raum. Der große Computerbildschirm zeigte irgendwelche verwirrenden Codes und Zahlen an. Neben der Tastatur stand eine Flasche Cola und eine Packung Chips lag geöffnet da. Ein paar Chips lagen auch auf dem Schreibtisch verteilt und zwischen den Tasten waren deutlich orangene Krümel zu sehen. Es waren noch mehr Monitoren zu sehen, mit denen ich aber nichts anfangen konnte. Ein paar zeigten die Aufnahmen von Überwachungskameras an. "Los, lass uns weitergehen." murmelte Kenna.

Die Teppiche waren zwar schon alt, aber ich sah unsere Spuren darauf immer noch. Der dunkle Fleck da zum Beispiel. Da hatten wir mal absichtlich Traubensaft ausgeschüttet, weil wir einen Mordfall aufklären wollten und wir ja Spuren am Tatort brauchten. Oder an der Holzsäule waren unsere Initialen eingeritzt, KS und LZ. Unter den Sitzen waren teilweise geheime Briefe von mir und Kenna, die wir an unsere Nachfahren geschrieben hatten. Mittlerweile waren wir im großen Saal angekommen und schauten uns um. Mein Blick fiel auf die Bühne. Unglaublich. Da lagen mindestens ein Dutzend Pistolen, von Messern und anderen Waffen wollte ich gar nicht erst anfangen. Dann gefror mir das Blut in den Adern. "Kenna, sie sind hier. Lauf!" Das letzte Wort rief ich. Und dann rannten wir auch schon.

Ich stolperte beinahe über meine eigenen Füße, während ich mir einen Weg durch die Flure bahnte. Kenna keuchte hinter mir. Ich schnaubte bestimmt wie ein Ochse, aber das war mir egal. Ich wollte hier nur lebendig rauskommen. Ich rannte vorbei an den Sitzen, an der Säule und an dem Fleck auf dem roten Teppich. Ich konnte schon den Hintereingang sehen. "Lucia, mein-ich-" Ich wusste, was los war. Kenna hatte Asthma. "Kenna, du musst weiter laufen, als ob dein Leben davon abhängen würde, denn das tut es! Draußen kannst du den Inhalator benutzen, aber jetzt lauf!" Ich griff sie bei der Hand und rannte mit ihr. Die Tür kam immer näher. Ich konnte schon fast nach dem Türgriff greifen, da schlug eine Hand aus dem Dunkeln die Tür zu. 

Ich sah einen Jungen. Er hatte kurzes, blondes Haar und blaue Augen. Er war zwar klein, aber sah ziemlich gefährlich aus, mit der Narbe am Hals und dem Messer in der rechten Hand. "Umdrehen!" rief ich und riss Kenna in die andere Richtung. Doch auch am Ende des Flures stand jetzt ein Junge. Ich kannte diesen Jungen, er war der aus dem Café. Sein dunkelblaues Shirt sah irgendwie ungewöhnlich bedrohlich aus. Auch sein Tattoo hatte ich vorher nie gesehen, obwohl mir die zwei Balken an seinem Oberarm bekannt vorkamen. Beide kamen auf uns zu. Der Blonde packte Kenna und riss sie von mir weg. Ich schrie nach ihr, aber der andere Junge hielt mir die Hand vor den Mund. Ich suchte mit meinen Zähnen nach seiner Haut und biss zu. Er zog scharf die Luft ein, ließ aber nicht locker. "Bissiges Biest!" zischte er. Ich zerrte, zappelte mit den Armen herum. Er hob mich seitlich hoch und trug mich den Flur hinab. Ich strampelte mit den Beinen, aber er ließ mich nicht los. "Wartet, Wartet! Meine Freundin hat einen Asthmaanfall, sie braucht Hilfe!" Meine Stimme klang panisch und schrill. Der Junge, der mich trug, stoppte,, grub in seiner Tasche und warf dem Blonden einen Inhalator zu. Er hielt ihn Kenna vor den Mund und schon atmete sie wieder normal. Ich atmete erleichtert aus. Doch schon gingen die beiden weiter. Ich wehrte mich immer noch, aber es war hoffnungslos.

Der große Saal war plötzlich nicht mehr mit schönen Kindheitserinnerungen verbunden. Ich warf den Kopf in den Nacken und schaute auf die Bühne. Da saßen noch ungefähr acht andere Leute. Der Junge trug mich auf die Bühne und warf mich dann wie schweres Gepäck ab. Ich knallte auf den Boden und Schmerzen durchzogen meinen Körper. Ich wollte es nicht, aber ich weinte. Bei jedem Schluchzen zuckte mein Körper. "Warum so grob?" fragte eine weibliche Stimme. "Das blöde Weib hat mir in die Hand gebissen, die hat nichts besseres verdient." "Vielleicht hattest du es ja verdient?" fragte die Stimme und der provozierende Unterton war nicht zu überhören. "Gleich verdienst du dir mal was!" "Klappe halten!" Der, der jetzt gesprochen hatte, klang nicht halb so gut gelaunt. Aber ich kannte die Stimme. Es war der Blonde, der Kenna gehalten hatte. "Ach Liam, misch dich nicht ein." zickte die weibliche Stimme. "Und du musst mich nicht beschützen, dafür habe ich ja-" Sie verstummte. Ich hörte wieder schwere Schritte durch den Saal, dann die Treppe zur Bühne hoch. Bei jedem Schritt der Person klopfte der Boden unter mir und in meinen Ohren brummte es. Meine Arme wurden gegriffen und zusammengebunden. Ich konnte mich nicht wehren, ließ es einfach geschehen. Jemand beugte sich zu mir runter, und ich war mir sicher, dass es Thomas war. Er griff mich an der Schulter und drehte mich auf den Rücken. Ich öffnete meine  Augen. Ich spürte, wie angeschwollen sie waren. Ich musste wirklich furchtbar aussehen, so verheult. Meine Augen brannten ungewöhnlich stark, was bedeutete, dass meine Schminke nun unter meinen Augen hing.

Und wie richtig mein Verdacht mal wieder war. Thomas Sangster hockte vor mir und grinste mich gemein an. "Hi Lucia.".




Flashlight (German Thomas Sangster FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt